„Wettbewerbsfähigkeit“ – das (ökonomische) Unwort der vergangenen Jahre
Das Wort „Gutmensch“ ist in dieser Woche zum Unwort des Jahres 2015 erklärt worden. Dass es ein Begriff rund um die Flüchtlingsdebatte werden würde, war abzusehen, denn diese überlagert derzeit alle anderen Themen. Auf Platz zwei landete mit „Hausaufgaben“ dann ein Wort aus der Euro- und Griechenlandkrise. Um zum „Unwort des Jahres“ gekürt zu werden, muss ein Begriff folgende Kriterien erfüllen: erstens gegen die Prinzipien der Menschenwürde und Demokratie verstoßen, zweitens einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren und drittens euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sein. Darüber hinaus sollte der Begriff eine gewisse Aktualität aufweisen und allgemein bekannt sein. Von Thomas Trares [*]
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Nimmt man diese Kriterien zum Maßstab, dann hätte die Jury in den vergangenen Jahren gut und gerne auch das Wort „Wettbewerbsfähigkeit“ zum Unwort des Jahres wählen können. Dieser Begriff ist nämlich Sinnbild einer falsch verstandenen Wettbewerbsideologie, die im Laufe der Jahre einen Keil zwischen die Staaten der Eurozone getrieben und in manchen Länden gar eine Schneise der sozialen Verwüstung hinterlassen hat. „Wettbewerbsfähigkeit“ ist zudem das wirtschaftspolitische Credo von Bundeskanzlerin Angela Merkel, das seinen Ausdruck in Merkels Vision von einem „wettbewerbsfähigen Europa“ gefunden hat.
Reduzieren lässt sich das ökonomische Weltbild der Kanzlerin auf folgende Formel: Eine Volkswirtschaft ist umso erfolgreicher (wettbewerbsfähiger), je eher sie in der Lage ist, Güter und Dienstleistungen auf den internationalen Märkten abzusetzen. Oberstes wirtschaftspolitisches Ziel ist von daher, hohe Exportüberschüsse zu erzielen. Die Löhne dagegen sind niedrig zu halten, um die Exportchancen (Wettbewerbsfähigkeit) nicht zu gefährden.
Diese Vorstellung von Wirtschaft ist gleich in vierfacher Hinsicht fehlerhaft: Erstens offenbart sie ein falsches Verständnis von der Funktionsweise einer Währungsunion, zweitens verwechselt sie Volkswirtschaft mit Betriebswirtschaft, drittens liegt ihr ein antiquiertes wirtschaftspolitisches Ziel zugrunde und viertens steht diese Form der Wettbewerbsideologie auch auf ethisch wackligem Fundament.
Doch der Reihe nach: Der Sinn und Zweck von Wechselkursen ist es, ökonomische Unterschiede zwischen den Ländern auszugleichen. Deutschland mit seinem starken Exportsektor und seiner auf Stabilität pochenden Bundesbank wertete vor Einführung des Euro stets auf, die vermeintlich flatterhaften Südländer mit ihren hohen Inflationsraten und eher gering ausgeprägten Stabilitätskultur werteten ab. In einer Währungsunion steht der Wechselkurs als Ausgleichsmechanismus aber nicht mehr zur Verfügung. Nun müssen Preise und Löhne diese Funktion übernehmen. Das heißt, in einer Währungsunion lässt sich die Stärke einer Volkswirtschaft nicht mehr am Wechselkurs, sondern an der Entwicklung der Löhne und Preise ablesen, sprich: im ökonomisch starken Deutschland mit seinen Exportüberschüssen müssten die Löhne und Preise stark steigen, in Ländern mit Handelsdefiziten müssten sie fallen oder zumindest weniger stark steigen.
Diese simple Logik steht aber nicht nur in klarem Widerspruch zu Merkels Vorstellung von Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch zur gängigen Praxis in Deutschland. Denn in keinem anderen Land der Währungsunion haben sich die Lohnstückkosten in der Vergangenheit so schwach entwickelt wie hierzulande. Der Kosten- und Preisvorteil gegenüber den Ländern Südeuropas beläuft sich inzwischen auf etwa 25 Prozent. Die Folge sind massive Ungleichgewichte im Euroraum: hohe Exportüberschüsse und eine schwache Binnenwirtschaft in Deutschland, Importdefizite, steigende Verschuldung, Stagnation und Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa.
Wettbewerbsfähigkeit per se muss aber nichts Schlechtes sein. Unternehmen, die gute Produkte herstellen, sollen gute Gewinne einfahren, Unternehmen, deren Produkte niemand haben will, sollen vom Markt verschwinden. Das ist die Grundlage wirtschaftlichen Fortschritts. Wettbewerbsfähigkeit ist jedoch ein Ziel aus der Betriebswirtschaftslehre und lässt sich nicht einfach auf eine Volkswirtschaft übertragen. Ein Exportüberschuss ist nicht das Gleiche wie ein Betriebsgewinn, und ein Außenhandelsdefizit ist nicht mit einem Unternehmensverlust zu vergleichen. Anders als bei einem Unternehmen sagt die Tatsache, ob ein Land Überschüsse oder Defizite erwirtschaftet, nur wenig über dessen Wohlstand aus. Die USA etwa weisen schon seit Jahren Fehlbeträge im Außenhandel auf, haben aber dennoch ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als Deutschland.
Zudem fehlt dem Merkelschen Mantra der Wettbewerbsfähigkeit jegliche wissenschaftliche Grundlage. Das Ziel den Exportüberschuss zu maximieren, ist schon seit gut 200 Jahren aus der Mode. Im Merkantilismus, wie die Wirtschaftspolitik im Zeitalter des Absolutismus genannt wird, kannte man noch das Ziel einer „aktiven Handelsbilanz“. Die Welt begriff man als statisch, Wirtschaftswachstum gab es so gut wie keines. Ein Land konnte also nur wachsen, wenn es dem anderen etwas wegnimmt. Heute ist man sich in der Volkswirtschaftslehre jedoch darin einig, dass im Außenhandel ein „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“ anzustreben ist. Dieses Ziel ist im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 verankert. Demnach sollten sich Ex- und Importe im Laufe der Jahre die Waage halten. Übermäßige Überschüsse und Defizite werden dagegen als destabilisierend angesehen.
Die Wettbewerbsideologie auf die Ebene von Staaten zu übertragen, ist aber auch ethisch eine höchst fragwürdige Angelegenheit. Denn der Wettbewerb produziert per definitionem Gewinner und Verlierer. Unternehmen kann man im Handelsregister ein- und wieder austragen, Staaten jedoch nicht. Staaten sind keine Verlierer. Griechenland lässt sich nicht im Mittelmeer versenken und als Schwellenland-Start-up in der Karibik wieder aufbauen. In den Beziehungen der Staaten zueinander gilt nicht das Wettbewerbsprinzip, sondern das des Ausgleichs. Leistungsbilanzen müssen sich ausgleichen, nicht auseinander entwickeln. Dafür sorgten früher die Wechselkurse, heute sollten sich die Lohnstückkosten angleichen.
Deutschland jedoch hat in den vergangenen Jahren auf Basis einer falschen Wettbewerbsideologie andere Länder niederkonkurriert, seine Arbeitslosigkeit exportiert und eine „Beggar-thy-Neighbour-Politik“ in Reinkultur betrieben. Wer sich wie die Axt im Walde verhält, der muss sich auch nicht wundern, wenn einem diese Länder beispielsweise in der Flüchtlingskrise die Gefolgschaft verweigern. Also: Warum nicht mal die Parole „Wettbewerbsfähigkeit“ zum Unwort des Jahres ausrufen?
[«*] Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.