50 Jahre Protest gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens

Wolf Wetzel
Ein Artikel von Wolf Wetzel

Wenn ich bei Veranstaltungen meine politische Herkunft beschreibe, sage ich u.a., dass ich durch die Startbahnbewegung geprägt wurde, fast so etwas wie eine zweite Sozialisation. Oft schaue ich dabei in fragende Gesichter und muss dann gegebenenfalls ein wenig ausholen. Tatsache ist wohl, dass das, was in den 80er Jahren zu den politischen Kristallationspunkte zählte (Häuserkampf, Anti-AKW-Bewegung, internationalistische Bewegungen etc.), heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Das trifft auch auf die Startbahnbewegung zu, die in den 80er Jahren mehr als ein regionales Phänomen war. Ins Gedächtnis haben sich oft nur die Schüsse auf Polizeibeamte während einer nächtlichen Demonstration am 2.11.1987 eingebrannt. Von Wolf Wetzel[*].

Nun gibt es eine Möglichkeit, etwas mehr als Google-Wissen abzurufen: Aus Kreisen der Bürgerinitiative wurde ein Buch herausgegeben, das ›50 Jahre Protest gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens‹ dokumentiert, mit über 25 AutorInnen und einer ganzen Menge an Bildern, die diesen langen, zähen und sehr abwechslungsreichen Widerstand illustrieren. Dass die tödlichen Schüsse an der Startbahn, vor allem ihre (Aus-)Deutung, auch unter den Beteiligten ein zentrales Ereignis sind, zeigte sich auch auf der Buchvorstellung, die am 4.1.2016 im Rathaus in Walldorf stattfand.

Obwohl heute mehr als 25 Jahre dazwischenliegen, hatte man das Gefühl, als wäre es gestern gewesen. Manche Wortbeiträge erinnerten mich an Stellungnahmen, die in den ersten Wochen nach den tödlichen Ereignissen abgegeben wurden. Was in der ersten Aufregung verständlich ist, ist jedoch mehr als 25 Jahre später Ausdruck einer politischen Vereisung, Ausdruck einer nie stattgefundenen Diskussion.

Um so fataler sind die politischen Konsequenzen, die scheinbar daraus gezogen wurden. Auch bei der Buchvorstellung war mehrmals davon die Rede, dass die tödlichen Schüsse das Anliegen dem FlughafenausbaugegnerInnen bis heute schwer schade, ihr Anliegen diskreditiere. Sie hätten der Startbahnbewegung den Todesstoß versetzt. Schuld an allem seien ›die Autonomen‹: Sie hätten dafür gesorgt, dass die Falle der hessischen Landesregierung zugeschnappt sei (womit die Gewaltfalle gemeint ist) und dass die Protestbewegung »ins Unrecht gesetzt werden konnte«. Diese Meinung vertritt Gerhard Krum in seinem Beitrag: »Schmeißt die Zwillen weg« (S.54) noch heute.

Dass die Fragen: Wie kann man einen Protest erfolgreich gestalten? Gewährleistet ein friedlicher Protest einen solchen Erfolg? Sind es die guten Argumente gegen ein solches ›Projekt‹, die den ›Steinen‹ zum Opfer fallen? noch heute aktuell und am allerwenigsten beantwortet sind, hat mich bewogen, meinen Beitrag in diesem Buch darauf zu konzentrieren:

Tödliche Schüsse . Über 25 Jahre später …

Zu Recht besteht Gerhard Krum in dem Beitrag ›Feuer frei? Nachdenkliches zu den Todesschüssen an der Startbahn West‹ (S.52/53) darauf, die Schüsse auf Polizisten während einer nächtlichen Aktion am 2.11.1987, an der sich über 300 StartbahngegnenInnen beteiligten, weder den gewalttätigen Verhältnissen, noch einem Psychopathen zuzuschreiben. Das ist in der Tat auf die eine oder andere Weise geschehen, vor allem in den ersten Wochen – als die allermeisten über das Wer, das Wie und Warum rätselten.

Da der hier dokumentierte Text gerade einmal einen Monat nach den Ereignissen geschrieben wurde (12/1987), reflektiert er nicht die Auseinandersetzungen und Positionen, die danach eingenommen wurden. So wurde u.a. ein Ermittlungsausschuss gegründet, der über drei Jahre alles zusammengetragen und begleitet hatte. Doch nicht nur diese mühsame und kontinuierliche Arbeit ist zu erwähnen, sondern auch der gemeinsame, monatelange Diskussionsprozess vieler Startbahngruppen, mit dem Ziel, eine politische Einordnung und eine gemeinsame Haltung zu den bevorstehenden Prozessen und den darin involvierten Angeklagten einzunehmen. All das findet sich in der vierseitigen ›Plattform zum 2.11-Prozess‹, die 1988 breit publiziert wurde und tatsächlich eine tragfähige Basis für die kommenden Jahre bot.

Allen Beteiligten war klar, dass die Schüsse keineswegs eine irgendwie geartete Konsequenz aus dem militanten Widerstand waren. Sowohl in der Vorbereitung, als auch in den vielen Aktionen davor, bestand Konsens darin, dass der Einsatz von Schusswaffen weder klammheimlich noch unausgesprochen gedeckt wird. Im Gegenteil: Wir wussten sehr wohl, dass eine Eskalation der (Gegen-)Gewalt weder die Ohnmacht befriedigt, noch eine Antwort auf den politischen Stillstand sein kann.

Die Diskussionen über Grenzen und Notwendigkeit von (Gegen-)Gewalt, die Weigerung, politische Schwierigkeiten und Ohnmachtserfahrungen ›militaristisch‹ zu überspringen, wurden vor dem 2.11.1987 geführt. Dass sich an den gefundenen Konsens nicht alle halten, markieren Grundverständnis und Bruchstelle von Bewegungen zugleich.

Selbstverständlich haben die ›Schüsse‹ bis heute ihre Spuren, ihre ›Geschichten‹ hinterlassen. Am allergefährlichsten sind die Schlüsse, die ohne jede Diskussion, durch Auslassung der konkreten Umstände und eigener Verortung gezogen wurden und werden.

Und es gibt eine Art, die den tragischen Umständen am 2.11.1987 überhaupt nicht gerecht wird: Wenn man mit dem stillen Verweis auf die ›Schüsse‹ ein Leichentuch über alle anderen Ereignisse, Brüche und Streitpunkte legt.

Diese sind bis heute virulent – nicht nur im Protest gegen den weiteren Ausbau des Frankfurter Flughafens. Man kann genauso gut den Stuttgart-21-Protest in Erinnerung rufen oder die jahrzehntelange Widerstandsgeschichte gegen die ›Castortransporte‹ im Wendland.

Dann nähert man sich Fragen, die der 2.11.1987 weder ausgelöst, noch zu verantworten hat: Wie reagiert man auf die massive staatliche Repression, die in dem besagten Artikel in Ansätzen dokumentiert ist? Was macht man, wenn alle politischen Mittel (Hüttendorf, Demonstrationen, Platzbesetzungen, Volksbegehren, Aufklärung) gegen eine Wand aus Beton fahren?

Was macht man, wenn die Antwort auf den Protest, der eine breite Unterstützung (30.000 bei dem Versuch, die Rodung zu verhindern, 200.000, die einen Volksentscheid befürworteten) genoss, nur noch mehr Repression ist, am allerwenigsten die Bereitschaft, die Zustimmung zu einer weiteren Startbahn mit demokratischen/politischen Mitteln zu suchen?

Ohnmacht, Erschöpfung und Ratlosigkeit waren vor den ›Schüssen‹ spürbar und die Frage, wie man den Bürgerkrieg der Herrschenden »nicht annimmt«, war lange vor dem 2.11.1987 eine unbeantwortete: Wie steigt man in den Ring, ohne getroffen zu werden? Wie kann man gewinnen, ohne in den Ring zu steigen?

Wie der Artikel zurecht ausführt, hat ein großer Teil der Startbahnbewegung den Widerstand aufgegeben, als die Startbahn 18 West im Jahr 1984 eingeweiht, im wahrsten Sinne des Wortes durch den Wald und die Köpfe der Menschen geprügelt wurde.

Danach gab es tatsächlich einen »Führungswechsel«, ein Großteil der alten BI-Strukturen löste sich auf, ein kleiner Teil wollte den Widerstand auf parlamentarischer Ebene ›fortführen‹ – in Gestalt von grünen Listen und Beteiligung an (Landtags-)Wahlen.

Der Artikel führt weiter aus, dass dann – an der Startbahn – die »verbissenen« Rituale begannen: Jeden Sonntag raus, jeden Sonntag mit Präsenz und Nadelstichen das Projekt teuer(er) machen, was Gerhard Krum wie folgt kommentierte: »Die Politik der Nadelstiche war von Anfang ein Kampf um eine verlorene Sache.«

Es lohnt sich, bei dieser Betrachtung kurz zu verweilen.

Rituale sind in ihrer negativen Konnotation, Handlungen, die sich nur selbst gefallen und genügen, die keine Wirkung, keine Ausstrahlung über die daran Beteiligten hinaus haben und an den tatsächlichen Verhältnissen nichts ändern, nichts ändern wollen.

Dass der Ansatz, an der Startbahn zu bleiben, diese auch im Betrieb nicht in Ruhe zu lassen, rituell und sinnlos war, ist ein mehr als zweifelhaftes Fazit. Vor allem dann, wenn man die verschiedenen politischen Strategien/Optionen miteinander vergleicht, die 1984 zur Disposition standen: Was hat der ›parlamentarische Widerstand‹ gebracht? War er erfolgreich oder ein Ritual, das bestenfalls risikoärmer und auskömmlicher war?

Gerade im Rückblick auf diese Phase der Startbahnbewegung wäre doch das erste ehrliche Fazit, dass beide, miteinander verfeindete Strategien erfolglos waren. Weder vor Ort noch in irgendwelchen Stadtparlamenten konnte am Faktum des Flughafenausbaus etwas geändert werden.

Und selbstverständlich ist die Frage der Ohnmacht, das gegen die Wand rennen, kein spezielles Problem der Startbahnbewegung der 80er Jahre! Und genau so wenig ist die Frage der Mittel eine gelöste! Der Versuch, den Widerstand gegen die Startbahn West im legalen Bereich (Stichwort ›legitimer Widerstand‹) zu halten, in der Hoffnung, dass die Breite der Bewegung und die Wirkung der Argumente bei den politisch Verantwortlichen ankommen, ist leicht belegbar nicht aufgegangen. All das passierte lange vor den ›Schüssen‹ am 2.11.1987.

Und selbstverständlich muss sich auch die Restbewegung – nach 1984 – damit auseinandersetzen, dass die Strategie, den Preis für den Flughafen letztendlich unbezahlbar zu machen, nicht aufging. Das lag natürlich auch daran, dass man sich nicht wirklich vergegenwärtigte, dass der Flughafen/FRAPORT über einen Etat verfügt, der so hoch ist wie der der hessischen Landesregierung und letztendlich noch auf diesen direkt oder versteckt zugreifen konnte.

Die politisch wichtige Frage jedoch, die sich bei allen Großprojekten in dieser Größenordnung stellt ist doch, was ein David anders, besser machen kann/soll, gegen einen Goliath, der in der Zuspitzung immer mit Bürgerkrieg droht, einem also die Waffen aufzwingt, die man selbst nicht hat (und will).

Und natürlich ist die Frage der Mittel keine der 80er Jahre und schon gar keine, die gelöst wurde. Man kann mit aus Wut geworfenen Steinen Rituale einleiten oder auch mit Demonstrationen. Beides kann ins Leere laufen!

Und damit sind wir mitten im Protest der Gegenwart – gegen die neue Landebahn Nord, gegen das dritte Terminal. Haben diese Proteste aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt? Schaffen sie es, der Gefahr der Ritualisierung ein Schnippchen zu schlagen?

Wenn es an den (falschen) Mitteln liegt, warum sind ›friedliche‹ Proteste nicht erfolgreich – weder in Stuttgart gegen Stuttgart-21, noch im Kelsterbacher Wald, gegen die reibungslos durchgezogene Nordbahn?

Wer ehrlich ist, weiß, dass auch der 500. Spaziergang im Terminal 1 an der erlebten Hilflosigkeit nichts ändern wird – schon gar nicht die Pläne der Flughafenbetreiber durchkreuzen kann.

Die Spaziergänge im Terminal sind politisch und organisatorisch eingepreist. Jetzt müsste man andere Wege, andere Methoden wählen, um aus diesem politischen Stillstand herauszukommen.

Das ist nicht einfach – nicht viel anders als 1984, als man vor der Frage stand: Wie antwortet man auf die Einweihung der Startbahn 18 West, die man nicht verhindern konnte.

1984 hat ein Teil der Startbahnbewegung ihre Parlamentarisierung als Ausweg, als Lösung gewählt. Diese Option ist heute offensichtlich mehr als hinfällig und verbraucht.

Der andere, weniger geschützte Weg ist die Konfrontation und die Einsicht, dass noch gar nichts gewonnen ist, wenn man recht hat, wenn man sich im Recht fühlt, wenn man auf das Recht verweist.

Um diese schwierige Frage geht es. Es fehlt dabei nicht an Ideen und Möglichkeiten. Alle wissen, dass die wirkliche Grenze keine politische, keine ideologische ist. Es geht schlicht um die Frage: Wie viel Risiko will ich, wollen wir, müssen wir eingehen? (Tödliche Schüsse – 25 years later, S.56-59)


[«*] Wolf Wetzel war seit 1980 aktiv in der Startbartbahnbewegung. Er war am Ermittlungsausschuss (1987-91) und an dem Grundsatzpapier zur Startbahnbewegung und den anstehenden Prozessen beteiligt. 2008 publizierte er die Erzählung ›Tödliche Schüsse‹, die auf über 15 Interviews mit damals Beteiligten fußt und mit langen Einblendungen die verschiedenen Phasen der Startbahnbewegung einfängt: Tödliche Schüsse – Eine dokumentarische Erzählung, Unrast Verlag, Münster 2008

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