Hamburg: Wenn drei Parteien die vierte ausgrenzen, gewinnt die CDU
Der Hamburger Wahlabend bot nicht viel Spannendes. Von Anfang an war klar, dass es auf einen Einzug der Liberalen in die Bürgerschaft für eine Regierungsbildung angesichts der starken Verluste der CDU nicht ankam. Deshalb gab es für den öffentlich-rechtlichen Fernsehjournalismus in den Wahlsendungen nur zwei Themen, die den Abend beherrschten: Erstens, kommt es zur ersten schwarz-grünen Koalition auf Länderebene? Das wichtigste Thema aber war: Hat Kurt Becks Äußerung, dass die hessische Kandidatin Andrea Ypsilanti als Ministerpräsidentin kandidieren könnte, der SPD geschadet? Die Kampagne der letzten Woche gegen eine Parlamentsmehrheit jenseits des „bürgerlichen Lagers“ hatte Erfolg: Kurt Beck leistete Abbitte, und Ole von Beust bleibt wie selbstverständlich Erster Bürgermeister, obwohl eine Mehrheit ihn abgewählt hat. Wolfgang Lieb.
Die Wahlergebnisse bieten keinerlei Überraschung: Die CDU hat mit 42,6% deutliche 4,6% verloren. Die SPD hat mit 34,1% mäßige 3,6% auf ihr zweitschlechtestes Ergebnis zugelegt. Die Grünen/GAL haben mit 9,6% 2,3% eingebüßt Die FDP hat sich von 2,8% auf 4,7% etwas verbessert, aber deren Hoffnungen nach den ersten Hochrechnungen auf einen Einzug in die Bürgerschaft sind zerstoben. Die Linke hat aus dem Stand 6,4% gewonnen und sitzt nun in 10 von 16 Landtagen. Über 37% sind gar nicht erst zur Wahlurne gegangen, das ist mit 62,2 % die geringste Wahlbeteiligung in Hamburg überhaupt.
Ein „großartiges Ergebnis“ verkündeten Pofalla (CDU), Beck (SPD), Niebel (FDP) oder Bartsch (Linke) uni sono, und selbst die Grünen konnten sich noch darüber freuen, dass sie in Hamburg drittstärkste Kraft geblieben sind.
Was das Thema Schwarz-Grün in Hamburg angeht, so wurde diese Koalition auf ARD und ZDF geradezu herbeigeredet. Obwohl diese Option von 54% der Hamburger für schlecht befunden wird, darf man wohl davon ausgehen, dass sie die wahrscheinlichste ist. Von Reinhard Bütikofer über Anja Hajduk und Steffi Lemke bis zu Christa Goetsch (GAL) wurde sie jedenfalls nicht ausgeschlossen und allenfalls darauf verwiesen, dass es diese Koalition natürlich nicht zum „Nulltarif“ gebe.
Unsere öffentlich-rechtlichen Journalisten ließen kein Argument aus, um ihren grünen und schwarzen Gesprächspartnern dieses Bündnis schmackhaft zu machen.
Der Generalsekretär der CDU, Roland Pofalla, fand das natürlich „interessant“, von Beust geht es ohnehin nur noch um eine „Regierung ohne Kommunisten“, und selbst der FDP-Generalsekretär Dirk Niebel konnte noch eine Zeit lang von „Jamaika“ träumen.
Man kann gewiss sein, dass der Druck in den Printmedien noch zunehmen wird, so dass es keiner allzu seherischen Fähigkeiten bedarf, um vorauszusagen, dass der künftige Hamburger Senat schwarz-grün sein wird. Es sei denn, die SPD bietet der CDU einen noch billigeren Tarif.
Die wichtigste journalistische Frage des ganzen Abends war aber, ob die „Irritationen“ um eine Äußerung von Kurt Beck über eine Kandidatur von Andrea Ypsilanti als hessische Ministerpräsidentin der SPD geschadet habe. Im Verlauf des Fernsehabends konnte man zunehmend den Eindruck gewinnen, als habe nicht die CDU deutlich über 4 Prozent verloren, sondern als sei der Zugewinn der SPD zu gering ausgefallen, ja als sei Kurt Beck schuld, dass es in Hamburg nicht zu Rot-Grün gekommen ist.
Da spielte es plötzlich keine Rolle mehr, dass Ole von Beust mit 52% Zustimmung seinem Herausforderer Michael Naumann mit 38% im direkten Vergleich haushoch überlegen war (siehe Kandidaten, Themen, Kompetenzen im ZDF). Keiner fragte danach, warum angesichts des Kompetenzvorsprungs der CDU Ole von Beust nicht die absolute Mehrheit verteidigen konnte.
Nein, spekuliert wurde über fiktive „Verluste“ der SPD, Naumann habe doch schließlich 38% erwartet. Und daran, dass dieses Wunschergebnis nicht eingetreten ist, mussten natürlich Kurt Beck und seine angebliche „Verunsicherung“ der Wählerinnen und Wähler schuld sein.
Ulrich Deppendorf legte sich noch vor der ersten Hochrechnung fest und sprach von einer „Niederlage für Beck“, der konservative, derzeitige Oberwahlforscher Rudolf Korte fabulierte über den „Beck-Effekt“. Der sonst immer als „Terrorismusexperte“ vorgestellte Elmar Theveßen verkündete im ZDF: „Es hat zumindest den Anschein, als habe SPD-Chef Beck die rot-grünen Chancen seiner Hamburger Genossen mit seinem Alleingang erledigt.“ Im Schlusstremolo malte Theveßen sogar folgendes Schreckensbild an die Wand: Falls es zum Beckschen Strategiewechsel käme, fände sich die SPD als „Juniorpartner einer extremen Linken um den Ex-Genossen Lafontaine“ wieder.
Peter Frey (ZDF) eröffnete die Generalsekretärrunde mit der Frage „Ist Kurt Beck schuld?“, und auch für Sabine Rau (ARD) hat die Debatte um Kurt Beck dazu beigetragen, dass die SPD unter ihrem erhofften Ergebnis blieb.
Jede und jeder eiferte an diesem Wahlabend in den öffentlich-rechtlichen Sendern um Absagen von SPD-Vertretern gegen die Linke. Keine oder keiner hatte irgendein Faktum in der Hand, umso mehr schien es ein vorgegebenes journalistisches Ziel zu sein, Behauptungen über negative Auswirkungen der in den Medien vor der Wahl inszenierten Debatte herauszukitzeln.
Diese Methode hatte Erfolg:
Nicht nur Pofalla konnte sich feixend die Hände reiben und Kurt Beck einen „schwerwiegenden Fehler“ vorhalten; er habe gar „ein Desaster“ angerichtet. Auch alle, die gestern Abend von der SPD vor ein Mikrofon geholt wurden, schlüpften ins Büßergewand: Vom abgehalfterten ehemaligen SPD-Verkehrsminister und heutigen Senior Adviser bei der Beratungsagentur KPMG, Kurt Bodewig, der meinte, die „Diskussion um Rot-Rot“ habe nicht geholfen, über den SPD-„Linken“ Niels Annen („kein Rückenwind“), das Mitglied der Hamburger Bürgerschaft Ingo Egloff („geholfen hat es nicht“) bis hin zum Spitzenkandidat Michael Naumann („Hilfreich war es sicher nicht.“) und dem SPD-Generalsekretär Hubertus Heil (das sei etwas „schief gelaufen“ und es hätte “Ungeschicklichkeiten” gegeben): alle Sozialdemokraten, die gestern zu Wort kamen, haben sich von Beck distanziert. Der Druck war offenbar so groß, dass selbst Kurt Beck für die „Irritationen“ Abbitte leisten musste: “Wenn ich selbst einen Beitrag dazu geleistet habe, bedauere ich das”, so musste der SPD-Chef am Wahlabend in Berlin zu Kreuze kriechen.
Ohne Parteitag gewinnen eben die Steinbrücks, die Steinmeiers und die Schatzmeisterin Hendricks.
Die rechten Abwehrreihen innerhalb der SPD haben ihren Parteivorsitzenden zurückgepfiffen und wohl auf Dauer beschädigt. Die „Verlässlichkeit“ (Naumann) der SPD wird Koch wie von Beust und allen von der CDU, auch wenn sie noch so große Wahlniederlagen einstecken, die Regierungsmacht gegen eine Mehrheit jenseits der Union garantieren.
Wenn man nämlich 5 bis 10 Prozent dieser Wählermehrheit ständig ausgrenzt, dann stellt eben die Union den Regierungschef, selbst wenn er nur ein zehntel Prozent vor der SPD liegt. Das ist das Ergebnis der vom SPD-Generalsekretär Hubertus Heil ins Spiel gebrachten Formel einer „Mehrheit jenseits von Union und Linkspartei“.
Die vom „bürgerlichen Lager“ angeschobene Medienkampagne hat ihr Ziel erreicht: Vom Wahlergebnis mit einer linken Mehrheit in der Hamburger Bürgerschaft war am Wahlabend nicht mehr die Rede. Ole von Beust bleibt wie selbstverständlich als Wahlverlierer „Erster Bürgermeister“ der Hansestadt Hamburg.
Ole von Beust hat nur noch ein Ziel, nämlich „Eine Regierung ohne Kommunisten und Linksradikale“. Theveßen redete von „Linkssozialisten und Altkommunisten“, Frey sprach von „diesen Leuten“ und vom „Aufstand der Anständigen“, Naumann will „auf keinen Fall“ usw. usf.. So viel kollektive Angst vor einer Partei gab es nach einer Wahl noch nie.
Die Linke muss sich nach diesem Wahlabend sehen wie Mephistopheles in Goethes Faust. Sie wurde geradezu zum „Leibhaftigen“ hochstilisiert. Aber vielleicht wird sie gerade dadurch „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“
Denn wie verhalten sich SPD und GAL, wenn die Linke Anträge zur Abschaffung von Studiengebühren, gegen das Kohlekraftwerk Moorburg, gegen die Elbvertiefung, für die Einführung eines Sozialtickets, für die Einheitsschule und zu weiteren Themen aus den Wahlprogrammen von Roten und Grünen in die Hamburger Bürgerschaft einbringt?
Entweder SPD und Grüne/GAL verkaufen ihre Seele an die CDU, oder sie besinnen sich auf das, was sie ihren Wählerinnen und Wählern versprochen haben.