Haben Lehrer/innen es nötig, gegen Geld Lobbyarbeit für die Deutsche Versicherungswirtschaft zu betreiben – und dazu ihre Schulen und Schüler zu missbrauchen?
Gestern wurde in Stuttgart der Lehrerpreis des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) verliehen. Er ist mit insgesamt 23.000 € dotiert und wurde an Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe I und II aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Bayern während der Bildungsmesse didacta überreicht. Wofür? Der GDV hat zusammen mit Partnern vielfältige Materialien für komplette Unterrichtseinheiten zur privaten Altersvorsorge vorbereitet. Die gibt es hier: www.safety1st.de . Interessierte sollten sich diese verschiedenen Unterrichtsmaterialien anschauen. Sie enthalten die gängigen Propagandaelemente: Dass die gesetzliche Rente nur noch das Existenzminimum sichere, dass ihr größtes Problem der demographische Wandel sei, dass sich die Alterslast zum Beispiel vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2050 fast verdoppele (wie „dramatisch“ die Alterung vor dem Jahr 2000 war, wird wie üblich unterschlagen). Und dann wird für Privatvorsorge geworben, um „spätere Versorgungslücken“ auszugleichen. Dass sich mit der Privatvorsorge nichts an den demographischen Relationen ändert, wird natürlich nicht gesagt.
LehrerInnen, die diese Grundlinien der privaten Versicherungswirtschaft besonders engagiert im Unterricht umsetzen, werden mit Geldpreisen belohnt. Albrecht Müller.
Darauf ist der GDV dann auch mächtig stolz. Und der Bundeswirtschaftsminister übernimmt die Schirmherrschaft. Hier der Link zur Pressemitteilung des GDV zur gestrigen Preisverleihung. Siehe auch Anhang.
Dass es in Deutschland schon Lehrer gibt, für die die Teilnahme an einer solchen Lobbyveranstaltung kein Problem darstellt, kann ich mir irgendwie denken, obwohl ich das bereits für eine grobe Missachtung unserer demokratischen Ordnung halte. Dass es Schulleitungen und ganze Kollegien gibt, die es ohne Murren hinnehmen, dass die Schüler und damit auch die Schulen für die Absatzförderung von Finanzprodukten benutzt werden, verstehe ich nicht.
Wenn Ihnen in den genannten Bundesländern Lehrerteams begegnen, die am Wettbewerb der Versicherungswirtschaft teilgenommen haben, dann sollten Sie – als Kolleginnen/en, als Eltern oder als Kommunalpolitiker – die mit dem GDV zusammenarbeitenden Lehrerinnen und Lehrer zur Diskussion auffordern. Es sollte in der Öffentlichkeit klar werden, was hier gespielt wird und wozu unsre Kinder missbraucht werden.
Seltsamerweise werden die Preisträger weder in der Pressemitteilung des GDV noch sonstwo auf der Webseite des Preisverleihers genannt. Das ist eigentlich unüblich. Normalerweise werden Preisträger öffentlich genannt, weil dies bei normalen Preisen eine Ehre ist. Offenbar spüren sowohl die Preisträger als auch der Gesamtverband, dass dieser Preis eher ehrenrührig ist.
Wie auch immer, ich habe beim GDV um Namensnennung gebeten. Ich wollte die Damen und Herren fragen, ob zum Beispiel in ihrer Unterrichtseinheit demnächst auch der Zusammenhang zwischen dem gerade veröffentlichten einzigartigen Rekordgewinn der Allianz AG (8 Mrd. Euro nach Steuern) und dem Treiben der Preisträger an ihren Schulen vorkommt. Mich würde auch interessieren, ob in ihren Unterrichtseinheiten die politische Korruption vorkommt, die mit der Umstellung auf die Privatvorsorge verbunden ist (Informationen dazu z.B. siehe hier oder hier. Mich würde einfach und ganz ehrlich interessieren, wie eine prämierte Umsetzung der Vorgaben des GDV aussieht.
Noch einmal die Bitte an Sie in Ihrer Eigenschaft als Eltern, Großeltern, Kommunalpolitiker oder einfach als Bürger/innen einer Kommune, die Schulträger ist: Prüfen Sie, ob in Ihrem Bereich diese Lobbyarbeit stattgefunden hat. Sensibilisieren Sie bitte die einschlägigen Personen und Gruppen.
Oft ist nur Ahnungslosigkeit und mangelnde Sensibilität ausschlaggebend für die Beteiligung an einer solchen Lobby-Veranstaltung. Dann hilft Sensibilisierung.
Anhang:
21.02.2008 | Pressemeldungen
Gewinner des GDV-Lehrerpreises „Vordenker gesucht“ ausgezeichnet
Altersvorsorge als Unterrichtsthema? Die Siegerbeiträge des ersten Lehrerpreises des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft und der Stiftung Jugend und Bildung zeigen: es geht! Kreativ, jugendgerecht, schulalltagstauglich und fachlich fundiert haben sich die bundesweit insgesamt 20 Teilnehmerteams mit diesem Thema auseinandergesetzt. Die eingereichten Konzepte sehen Unterricht in Deutsch, Politik, Wirtschafts- und Arbeitskunde, Religion/Ethik, Geschichte, Biologie, Mathematik, Englisch, Französisch und sogar Sport vor.
„Die Fähigkeit zur finanziellen Lebensplanung ist ein Bildungswert mit hoher Rendite für die Selbstverwirklichung der Einzelnen und die freiheitliche Gesellschaft insgesamt” appelliert der Präsident des GDV, Dr. Bernhard Schareck. Das Bundeswirtschaftsministerium begrüßt ausdrücklich die Initiative der Versicherungswirtschaft: “Vordenker gesucht” leistet einen wichtigen Beitrag zur Vorsorgebildung. Der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos hat deshalb die Schirmherrschaft für den Wettbewerb übernommen.
Die mit insgesamt 23.000 Euro dotierten Preise wurden heute an Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe I und II aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Bayern während der Bildungsmesse didacta in Stuttgart überreicht.
Ansprechpartner:
Heidemarie Orlob
Tel.: 030 / 20 20 – 55 70
[email protected]