Aufruf für ein „Zentrum gegen Krieg“
Der Willy-Brandt-Kreis, eine Vereinigung von Freundinnen/en Willy Brandts, hat den folgenden Aufruf formuliert und an die Bundestagsmitglieder geschickt. Der Aufruf kritisiert die Konzentration auf eine Zentrum gegen Vertreibung und fordert stattdessen ein Zentrum gegen den Krieg. Gerne helfen wir bei der Verbreitung des Aufrufs und des Schreibens an die MdBs. Siehe unten. Albrecht Müller.
Das geplante und anhaltend umstrittene Zentrum gegen Vertreibung unterliegt, entgegen den Intentionen des Parlaments, der Gefahr, als Instrument der Anklage missverstanden zu werden. Dieser Missdeutung, die auch in Polen und Tschechien sehr bald laut geworden ist, sollte begegnet werden. Geht es hier wirklich nur um das Recht auf eine Klagemauer, um Verständnis und Versöhnung, oder geht es um die Zuweisung von Schuld und Unrecht Richtung Osteuropa, mit dem Ziel einer Bewusstseinsverschiebung, die schließlich auch eine Eigentumsverschiebung ermöglichen wird?
Vertreibung ist eine von vielen entsetzlichen Kriegsfolgen. Genauso gut könnte man ein Zentrum gegen Gebietsannexionen befürworten, eins gegen die Geringschätzung des Lebens von Soldaten, gegen Massaker an Zivilisten, gegen Bombenopfer und Ruinen, eins gegen Zwangsarbeit und Gefangenenlager, gegen Hunger und Typhus, ein Zentrum gegen Vergewaltigung, gegen Verrohung der Sitten, gegen „ethnische Säuberungen“, gegen Ver-geltung und Strafe der Sieger.
All dies sind im letzten Jahrhundert immer die fatalen Folgen von Kriegen gewesen, je schrecklicher der Krieg, je fataler. Verurteilt man aber die Folge und nicht die Ursache, so greift man zu kurz, ja weckt Illusionen. Man suggeriert, nach Angriffskriegen könnten deren unvermeidliche Folgen vermieden werden.
Für die Zukunft folgt daraus nicht das Unrealistische: Vertreibungen nach Kriegen sind zu verbieten. Sondern: Wer Vertreibungen verhindern will, muss Kriege verhindern.
Wir brauchen kein Zentrum gegen Vertreibung. Wir brauchen ein Zentrum gegen Krieg. Das den Jüngeren veranschaulicht, weshalb Krieg geächtet und künftig zu meiden ist. Jede Art von oben erwähnten Kriegsleiden könnte hier einen Raum bekommen, nicht nur die, die heute noch entschädigungsrelevant sind. In diesem Kontext könnte auch das im Koalitions-vertrag vereinbarte sichtbare Zeichen gegen Vertreibung seinen Platz finden.
Am Eingang wäre eine Warnung von Bertolt Brecht von 1952 denkbar: „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungskraft für kommende Leiden, ist fast noch geringer.“
Die Mitglieder des Willy-Brandt-Kreises:
Egon Bahr, Elmar Brähler, Daniela Dahn, Hans-Joachim Gießmann,
Günter Grass, Dieter Klein, Irina Mohr, Klaus Noé, Rolf Reissig, Edelbert Richter, Axel Schmidt-Gödelitz, Friedrich Schorlemmer, Klaus Staeck, Christoph Zöpel.
Sowie die Erstunterzeichner:
Michael Brzoska und Reinhard Mutz, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, Lühr Henken, Hamburger Forum für Frieden, Völker-verständigung und weltweite Abrüstung, Willi Hofmeister, Ostermarschkreis Ruhr, Jörg Huffschmid, Wissenschaftlicher Beirat von Attac, Willi van Ooyen, Ostermarschbüro, Johannes Pfäfflin, Psychotherapeutischer Arbeitskreis für Betroffene des Holocaust e.V., Peter Pogany-Wnendt, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Werner Ruf und Peter Strutynski, Bundesausschuss Friedensratschlag, Horst Schmitthenner, “Politikwechsel”, Horst Trapp, Friedens- und Zukunftswerkstatt Frankfurt a.M., Markus Weingardt, Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft FEST, Henning Zierock, Arno Gruen und Konstantin Wecker, Kultur des Friedens.
Und 1130 Unterzeichner der online-Liste des Brandt-Kreises, darunter:
Johannes M. Becker, Zentrum für Konfliktforschung Universität Marburg, Frank Brietzke, Vertriebenen-Sohn, Reiner Diederich, Vorsitzender der KunstGesellschaft Frankfurt a.M., Hans-Peter Dürr, Physiker, Friedensnobelpreisträger, Carlos Foth, Staatsanwalt a.D., Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Margret Hamm, Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten, Josef Haslinger, Schriftsteller, Werner Heiden, Deutscher Friedensrat, Burkhard Homeyer, Kinder von Tschernobyl e.V., Hajo Jahn, Stiftung Verbrannte und Verbannte, Inge Jens, Editorin, Reinhard Kluge, Historiker, Helmut Kramer, Richter am OLG a.D., Klaus Mucha, Ag-gressionsforscher, Dieter Lachenmayer, Friedensnetz Baden-Würtemberg, Petra Moer-bitz, Richterin am Verwaltungsgericht, Norbert Müller, terre des hommes, Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestages Die LINKE, Ursula Peters, Großmütter gegen den Krieg, Ellen Rohlfs, Gush Shalom, Dirk Sager, Journalist, Ulrich Schneider, Generalsek-retär der Internationalen Förderation der Widerstandskämpfer, Siegfried Schröder, Teil-nehmer am Zweiten Weltkrieg, Martin Schult, Geschäftsstelle Friedenspreis des Deut-schen Buchhandels, Frido Seydewitz, GULAG-Häftling, Joachim Sensebusch, Vorsit-zender des Deutschen Kinderschutzbundes, Udo Stampa, Richter am Landessozialge-richt, Wilhelm von Sternburg, Schriftsteller, Wolfgang Sternstein, Friedens- und Kon-fliktforscher, Johano Strasser, PEN-Präsident, Stephan Tanneberger , Krebsforscher, Klaus Theweleit, Autor, Peter C. Walther, Initiative gegen Rechtsextremismus, Christian Wellmann, Friedensforscher, Hans-Eckardt Wenzel, Liedermacher, Johannes Wipper-mann, Polizeibeamter, Rainer Wochele, Autor, Vertriebener.
Willy-Brandt-Kreis
Friedrich Schorlemmer c/o Heinke Peters, Tarpenbekstr. 100, 20251 Hamburg
Vorsitzender des Willy-Brandt-Kreises e.V. Tel. 040/460 3703 e-mail: [email protected]
An die Abgeordneten
des Deutschen Bundestags
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Berlin 13.2.2008
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir übergeben Ihnen hiermit den Aufruf für ein Zentrum gegen Krieg in der Erwartung, dass unser Vorschlag bei Ihrer Beschlussfassung um das geplante „sichtbare Zeichen gegen Ver-treibung“ Berücksichtigung findet.
Es handelt sich um eine von Mitgliedern des Willy-Brandt-Kreises ausgegangene Initiative, der sich Erstunterzeichner aus Wissenschaft, Kultur und NGO´s angeschlossen haben und zu dessen Unterstützung sich weit über tausend Bürger in die unter www.brandt-kreis.de einsehbare Liste eingetragen haben. Den Text des Aufrufs finden Sie in der Anlage, die Ad-ressen der Unterzeichner liegen dem Willy-Brandt-Kreis vor.
Unser Aufruf ist noch vor den jüngsten Verhandlungen mit der polnischen Seite entworfen und abgestimmt worden. Selbst wenn damit Sorgen, wie sie im ersten Absatz des Aufrufs formuliert wurden, hoffentlich ausgeräumt oder jedenfalls gemildert worden sind, bleibt das zentrale Anliegen des Aufrufs unverändert. Auch nach den jüngsten Verhandlungen von Kulturstaatsminister Bernd Neumann wird auf polnischer Seite der Begriff „Zentrum gegen Vertreibung“ als ideologisch belastet abgelehnt. Der in dieser Frage von Anfang an engagierte Publizist Adam Krzeminski betont, es gäbe nun gegenüber dem sichtbaren Zeichen zwar „keine strikte Ablehnung mehr, aber auch keine direkte Zustimmung.“ Er spricht von wohlwollender Distanz.
Das ist für gute Nachbarschaft zu wenig. Um der belasteten Geschichte gerecht zu werden und ein einvernehmliches Miteinander zu erreichen, schlagen wir Ihnen und Ihren polnischen Partnern vor, den Schwerpunkt der geplanten Dauerausstellung zu modifizieren. Es kann nicht sein, dass die umfassendere Sicht auf Krieg und Frieden, auf Ursachen und Folgen für die Zukunft, dem geplanten Zentrum in Gdansk überlassen wird, während wir uns in Deutschland, von wo die Katastrophe ausging, auf unsere eigene Leidensgeschichte kon-zentrieren.
In der Hoffnung auf Ihre zustimmende Aufnahme unseres Vorschlages
Egon Bahr Bundesminister a.D. |
Friedrich Schorlemmer Vorsitzender WBK |
Daniela Dahn Stellv. Vorsitzende WBK |
Anlage: Aufruf für ein „Zentrum gegen Krieg“