Ist der politische Wechsel noch möglich, wenn er auch politische Inhalte betreffen soll? Spanien? Großbritannien? Portugal? Griechenland?
Die Ergebnisse der Wahl in Spanien hinterlassen wieder einmal den Eindruck, es sei möglich, auch in Zeiten der Vorherrschaft des Neoliberalismus und militärisch geprägter Sicherheitspolitik Alternativen durchzusetzen. Vorsicht scheint geboten zu sein. Immerhin hatte in Griechenland mit Syriza eine fortschrittliche Partei die Wahl deutlicher gewonnen als Podemos in Spanien. Was wurde politisch daraus? Weitgehend die Fortsetzung der Austeritätspolitik. Unter dem Druck neoliberal geprägter deutscher und europäischer Politiker. In Portugal haben sich auf Umwegen die linken Gewinner der Wahl durchgesetzt. Mühsam. Und vermutlich bedroht vom Druck von außen und medialem Druck von außen und innen. In Großbritannien hat sich ähnlich wie in Spanien mit Unterstützung einer Volksbewegung Corbyn als Vorsitzender von Labour durchgesetzt. Daran, dass diese Veränderung politisch inhaltlich nicht wirksam wird, arbeiten Konservative und Medien gemeinsam. Die Medien sind ein wesentlicher Machtfaktor. Sie können Mehrheiten von Wählerinnen und Wählern ins Leere laufen lassen. Der Journalist Owen Jones hat dies im britischen Guardian drastisch beschrieben.
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Da wir von den weiteren Entwicklungen beim versuchten Politikwechsel in Großbritannien wenig erfahren, haben wir Sabine Tober gebeten, den Artikel von Owen Jones zu übersetzen. Dankeschön.
Zwei Absätze will ich vorweg zitieren:
„Egal, was man von Jeremy Corbyn, seinem Führungsstil oder seiner Politik halten mag: Vor drei Monaten hat er in einer offenen und demokratischen Wahl einen erdrutschartigen Sieg errungen und ist zum Führer der größten Oppositionspartei des Landes aufgestiegen. Und seitdem ist er einem fast universellen Medienhass und –hohn ausgesetzt.“
„Es ist schlimm, dass unsere Presse oft eher wie eine aggressive politische Maschine aussieht als wie ein Mittel der Bildung und Information. Aber schließlich ist unsere Presse im Besitz einer sehr kleinen Gruppe von Moguln, die unbestreitbar sehr ausgeprägte politische Ansichten haben.“
Dem ähnelt die Lage bei uns. Und neu ist die Lage auch nicht, siehe dazu diesen Beitrag in den NachDenkSeiten vom13. August 2015 („Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“). Das tatsächlich vorhandene Bündnis aus neoliberal geprägten Medien und konservativen Parteien einschließlich der neoliberal geprägten ehedem linken Parteien wie Blair-Labour, SPD und französische Sozialisten verhindert jeden tatsächlichen politischen Wechsel. Mal sehen, ob das jetzt in Spanien anders läuft.
Es folgt die Übersetzung des Artikels von Owen Stones:
How can we have a more balanced debate about Jeremy Corbyn and Labour? – Wie können wir zu einer ausgeglicheneren Debatte über Jeremy Corbyn und Labour kommen?
Owen Jones, The Guardian, 15.Dezember 2015
Die Attacken der Medien gegen den Vorsitzenden der Labour Party machen es wohlmeinenden Kommentatoren so gut wie unmöglich, konstruktive Kritik zu üben.
Dank unserer so herrlich unfreien Presse ist es nicht möglich, sich vernünftig über Jeremy Corbyn, Labour oder auch nur über Politik ganz allgemein zu unterhalten. Am Montag habe ich ein Video-Interview mit der Labour-Abgeordneten Jess Phillips gepostet, das letzte in einer Serie zwangloser Unterhaltungen mit Politikern, unter anderem kürzlich mit dem schillernden Tory-Abgeordneten Jacob Rees-Mogg und dem rechten Heißsporn Peter Hitchens. Das Echo auf das Interview war allgemein sehr positiv.
Phillips direkte Art allerdings rief eine starke Reaktion in der Presse hervor. Sie hatte Corbyn und seinem Team gesagt, “sobald es sich zeigt, dass ihr uns mehr schadet als nutzt, werde ich euch nicht in den Rücken fallen; Ich werde euch das Messer in den Bauch stoßen“.
Was sie damit meinte, war, dass sie nie ein heimlicher Gegner sein würde, sondern immer offen und freimütig. Aber nach ein paar schreienden Schlagzeilen über Phillips und Messer gab es einen bösen Backlash. In den sozialen Netzwerken wurde sogar angeregt, die Polizei einzuschalten.
Hier ist das Problem. Egal, was man von Jeremy Corbyn, seinem Führungsstil oder seiner Politik halten mag: Vor drei Monaten hat er in einer offenen und demokratischen Wahl einen erdrutschartigen Sieg errungen und ist zum Führer der größten Oppositionspartei des Landes aufgestiegen. Und seitdem ist er einem fast universellen Medienhass und -hohn ausgesetzt.
Eine Umfrage in dieser Woche zeigt, dass ein Viertel der Bevölkerung der Meinung ist, Corbyn “erweise sich als guter Vorsitzender der Labour Party“. Schon richtig, 46% sahen das nicht so (und, ja, die Umfragen waren in letzter Zeit etwas schwankend), aber für die Medien waren das 100%. Das Viertel der Bevölkerung, das Corbyn positiv sieht, ist in den Medien so gut wie gar nicht vertreten. Kann das in einer Demokratie gesund sein?
Das ist denn auch der Kontext, in den die Reaktion auf mein Interview gehört. Einige fanden es schon schlimm, dass ich Phillips überhaupt interviewt habe, ich hätte sozusagen den Medienangriffen Vorschub geleistet. Das ist natürlich lächerlich. Es ist total ungesund, nur Ansichten zu hören, mit denen man völlig übereinstimmt, und so zu einer bitteren Sekte zu werden. Die “Corbynistas“ werden nun aber als eine irrationale, hasserfüllte Bande dargestellt, die gegen jeden und alles angeht, das ihr nicht zusagt. Das wird weitgehend aus extremen – und unentschuldbaren – Übergriffen abgeleitet: Ich nun bin jemand, der mit rechten Schmähungen geradezu überhäuft wird, aber ich werde nie sagen, dass die dafür Verantwortlichen repräsentativ für die Rechte sind. Die meisten Corbynistas sind verständlicherweise frustriert, weil ihre Ansichten von den Medien missachtet werden, und weil sie praktisch nirgendwo repräsentiert sind.
Für nicht feindlich gesinnte Kommentatoren stellt das ein Problem dar. Ich habe einiges an der Führung von Labour auszusetzen, wenn auch ohne böse Absicht und als rein konstruktive Kritik. Weil ich der Linken Erfolg wünsche – warum auch sonst sollte ich das tun? Die Notwendigkeit, Koalitionen von Mittel- und Geringverdienern zu bilden; Nicht nur offene Türen einzurennen; Ein glaubwürdiges und schlüssiges alternatives Wirtschaftsprogramm zu entwickeln; Falsche Beschuldigungen von Landesfeindlichkeit zurückzuweisen; und so fort.
Wenn man aber so etwas äußert, dann nimmt die Rechte das als Zeichen, dass “selbst die Linke das Vertrauen verliert“. Und einige auf der Linken sehen solche Anregungen und Kritik gleich als Zugeständnis an die aggressive Medienkampagne, weil für sie alles jenseits blinder Loyalität schon Verrat ist.
Wegen der unerbittlichen Attacke der Medien läuft jede ausgewogene Debatte über die Corbyn-Führung Gefahr, abgewürgt zu werden. Die Tatsache, dass die Medien so stark von einer Meinung beherrscht sein können – und dabei auch noch so aggressiv sind – ist ein Armutszeugnis für die so genannte freie Presse. Ich bin Kolumnist: Meine Artikel erscheinen auf der Meinungsseite. Aber die Medien sind voll von Kolumnisten, und nur zu häufig landet deren Arbeit schon mal im Nachrichtenteil der Zeitung. Konstruktive Kritik der Labour Party wird um ihrer selbst willen gebraucht. Und doch ist das eine fast unmögliche Aufgabe.
Auf meine Rüge der britischen Medien gab es eine sehr nahe liegende Reaktion. Ich solle doch lieber dankbar sein: In anderen Ländern gäbe es überhaupt keine von der Regierung unabhängige Presse; Journalisten mit abweichender Meinung hätten Verfolgung, Gefängnis oder noch Schlimmeres zu erwarten. Das klingt mir wie das Argument, man könne nicht über Armut in England reden, wenn es doch in Afrika Leute gibt, die verhungern. Dass die Dinge anderswo noch viel schlimmer sind, entschuldigt nun ja nicht all das, was bei uns schief läuft, selbst wenn es – daran gemessen – beträchtlich weniger gravierend ist.
Es ist schlimm, dass unsere Presse oft eher wie eine aggressive politische Maschine aussieht als wie ein Mittel der Bildung und Information. Aber schließlich ist unsere Presse im Besitz einer sehr kleinen Gruppe von Moguln, die unbestreitbar sehr ausgeprägte politische Ansichten haben.
Eine der Hauptfunktionen der Presse ist die eingehende Überprüfung der politischen Parteien. Wenn aber die Presse auf ihren Titelseiten hauptsächlich glühende Verteidigungen der Haushaltspläne der Regierung bringt und routinemäßig über die Opposition herfällt, dann sind die Folgen für unsere Demokratie besorgniserregend. Und das ist es, was so viele Corbyn-Unterstützer verärgert, auch wenn einige von ihnen ihren Frust in wenig hilfreicher – oder geradezu ausfälliger – Weise zum Ausdruck bringen.
Das Empfinden, Bürgerrechte zu verlieren, legitime Ansichten zu haben, die offiziell als etwas ganz anderes gehandelt werden, dieses Gefühl findet schließlich seinen Ausdruck in bitteren Ausbrüchen in den sozialen Netzwerken. Eine ausgeglichene, vernünftige Debatte über Corbyns Führungstil scheint utopisch zu sein – sollte sie aber nicht.