Anmerkungen zum TTIP-CETA-Antrag des Parteivorstands an den Parteitag der SPD
Die SPD-Führung will den bevorstehenden Bundesparteitag offenbar nutzen, um die Positionen der Partei zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA aufzuweichen. Die Delegierten sind gut beraten, den entsprechenden Antrag des Parteivorstands abzulehnen. Von Thorsten Wolff.
Was optimistisch stimmen darf: Teile der SPD sehen Freihandelsabkommen im Allgemeinen und das EU-US-Abkommen TTIP sowie das EU-Kanada-Abkommen CETA kritisch. Und zwar mit guten Gründen. Der Widerstand dagegen ist etwa im Arbeitnehmerflügel, in der Parteijugend, in einigen Landesverbänden (allen voran Berlin) und auch in der Parlamentarischen Linken groß.
Der innerparteiliche Widerstand war schon vor etwas mehr als einem Jahr so stark, dass die Parteiführung im Vorfeld des Parteikonvents vom 20. September 2014 eine Mehrheit gegen TTIP ernsthaft befürchten musste. Eine solche konnte Gabriel damals nur durch eine Finte abwenden: Gemeinsam mit dem DGB erarbeitete sein Bundeswirtschaftsministerium ein Positionspapier, das Gabriel anschließend als SPD-Position beschließen ließ. Da das Papier damit von einem Verband mitgetragen wurde, dem viele TTIP-Kritikerinnen und –Kritiker in der Partei nahestehen, bröckelte der Widerstand. Gabriel bekam seine Mehrheit.
Ein klares “Nein” der SPD wäre damals sicherlich wünschenswert gewesen. Inhaltlich aber ist der damalige Beschluss durchaus in Ordnung: Zwar wird etwas weltfremd auf angebliche Chancen und Vorteile des Freihandels verwiesen. Zugleich aber finden sich darin jede Menge roter Linien, die ein durchaus realistisches Bild von den Gefahren des Freihandels zeichnen. Einige Beispiele: Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards dürfen nicht gefährdet werden; das Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzniveau ist weiter zu verbessern; keine gegenseitige Anerkennung von Standards und Zulassungsverfahren, wenn dadurch das Schutzniveau abgesenkt wird; internationale Übereinkünfte und Normen in den Bereichen Umwelt, Arbeit und Verbraucherschutz sind zwingend zu ratifizieren und umzusetzen; Schutzrechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen nicht als Handelshemmnisse interpretiert werden; das demokratische Recht, Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen zu schaffen, darf nicht gefährdet, ausgehebelt oder umgangen werden; Finanzmarktregulierung sollte durch TTIP ausgeweitet werden usw. Insbesondere stellt der SPD-Beschluss fest, dass Investitionsschutzvorschriften “in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich” sind.
So weit, so gut. Doch schon in den darauffolgenden Monaten spielte der Konventsbeschluss für Gabriel faktisch keine Rolle mehr. Er begann, ihn rhetorisch und politisch zu verwässern. In einem Mitglieder-Rundschreiben vom 28. Januar 2015 und in einer Zeitungsanzeige anlässlich der großen Demonstration für einen fairen Welthandel am 10. Oktober 2015 in Berlin ist etwa von einer Absage an Sonderklagerechte für Investoren nicht mehr die Rede; Standards sollen zwar noch erhalten werden, aber ihre Gefährdung ist kein Ausschlussgrund mehr. Weitere Abweichungen, die zugleich Aufweichungen sind, finden sich zuhauf.
Der Antrag, den die Parteiführung nun dem Parteitag vorlegt, reiht sich ein in diese Schritte des Verwässerns und Relativierens. Dies wird deutlich, wenn man ihm den Konventsbeschluss vom 20. September 2014 gegenüberstellt – einige Beispiele:
Investorenschutz und Schiedsgerichte
Im Konventsbeschluss steht:
Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbegriffen, wie „Faire und Gerechte Behandlung“ oder „Indirekte Enteignung“ abzulehnen.
Im Antrag der Parteiführung heißt es hingegen:
dass wir zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten einen öffentlich-rechtlichen Mechanismus wollen, und keine privaten Schiedsgerichte mehr;
Das bedeutet: Der Konventsbeschluss schließt jede Form von Schiedsgerichtsverfahren und Investitionsschutzvorschriften aus. Der Antrag der Parteiführung aber lehnt nur noch private Schiedsgerichte ab, Klagemöglichkeiten für Investoren und Investitionsschutzvorschriften fordert er grundsätzlich sogar ein.
Öffentliche Daseinsvorsorge
Im Konventsbeschluss steht:
Für den Bereich der Daseinsvorsorge sollen keine Verpflichtungen in Deutschland übernommen werden.
Im Antrag der Parteiführung heißt es hingegen:
- dass die Entscheidungsfreiheit regionaler Körperschaften über die öffentliche Daseinsvorsorge unberührt bleibt
- dass bewährte europäische Standards bei […] der Daseinsvorsorge […] erhalten bleiben.
Weil Leistungen der Daseinsvorsorge ein Eckpfeiler für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft sind, müssen sie auch künftig ohne Einschränkungen durch Handelsabkommen wie bisher erbracht werden können.
Das bedeutet: Der Konventsbeschluss fordert, den Bereich der Daseinsvorsorge gänzlich und ohne Ausnahmen aus dem Freihandelsabkommen auszunehmen. Der Antrag der Parteiführung hingegen lässt Regelungen durch Freihandelsabkommen zu, soweit sie die Entscheidungsfreiheit regionaler Körperschaften (und nur dieser!) und die Standards in diesem Bereich nicht einschränken und solange die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge keinen Einschränkungen unterliegt (Daseinsvorsorge hat mehr Aspekte als nur deren Erbringung!).
Einnahmeausfälle durch den Wegfall von Zöllen
Im Konventsbeschluss steht:
Wenn die Zölle aber beseitigt werden, so soll der Einnahmenverlust der EU ausgeglichen werden.
Im Antrag der Parteiführung hingegen wird diese Forderung nicht erhoben und das Thema nicht angesprochen.
Das bedeutet: Eine erneute Entlastung von Unternehmen, die wie Steuersenkungen wirkt und die finanziell nicht an anderer Stelle ausgeglichen wird.
Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards
Im Konventsbeschluss steht:
Das Freihandelsabkommen darf Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards nicht gefährden. Einen Dumping-Wettbewerb, bei dem Staaten und Unternehmen sich Vorteile über Sozial- und Umweltschutzdumping verschaffen, lehnen wir ab. Deshalb muss im Rahmen des Handelsabkommens darauf hingewirkt werden, Mitbestimmungsrechte, Arbeits-, Gesundheits- und Verbraucherschutz- sowie Sozial- und Umweltstandards zu verbessern.
Im Antrag der Parteiführung heißt es hingegen:
dass die Abkommen keine Verschlechterung von sozialen, arbeitsrechtlichen, ökologischen oder kulturellen Standards bedeuten oder Umwelt- und Arbeitnehmerschutzrechte als „nichttarifäre Handelshemmnisse“ interpretiert werden können, dass weitere Verbesserungen dieser Normen möglich sein müssen
Das bedeutet: Zweierlei. Erstens ist der Konventsbeschluss strenger, weil er schon die “Gefährdung” von Standards ausschließt – und nicht nur die tatsächliche Verschlechterung. Der Konventsbeschluss fordert also schon ein Nein, wenn nur die Möglichkeit besteht, dass Standards unter Druck geraten. Zweitens fordert der Konventsbeschluss Verbesserungen der Standards durch das Freihandelsabkommen, der Antrag der Parteiführung hingegen möchte Verbesserungen nur ermöglichen, nicht erzwingen.
Durchsetzung von Standards
Im Konventsbeschluss steht:
Die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards muss in Konfliktfällen genauso wirkungsvoll sichergestellt sein, wie die Einhaltung anderer Regeln des Abkommens.
Im Antrag der Parteiführung hingegen wird diese Forderung nicht erhoben und das Thema nicht angesprochen.
Das bedeutet: Investoren sollen laut Antrag der Parteiführung Klagerechte gegen Staaten erhalten (wenn auch “nur” vor einem öffentlichen Handelsgericht). Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Sozialverbände werden hingegen ihre Rechte gegenüber Staaten und Unternehmen nicht in gleicher privilegierter Weise durchsetzen können. Hier fällt der Antrag der Parteiführung einmal mehr hinter den Konventsbeschluss zurück.
Änderung und Kündigung
Im Konventsbeschluss steht:
Ein Abkommen sollte eine Klausel enthalten, die eine Korrektur von unerwünschten Fehlentwicklungen ermöglicht.
Im Antrag der Parteiführung heißt es hingegen lediglich:
das Abkommen eine Klausel enthalten soll, die eine Kündigung erlaubt.
Das bedeutet: Dass ein Freihandelsvertrag eine Kündigungsklausel enthält, ist eine Selbstverständlichkeit und eigentlich nicht der Rede wert. Üblicherweise sehen diese Klauseln sehr lange Kündigungsfristen vor, oft 20 Jahre. “Unerwünschte Fehlentwicklungen”, vor denen der Konventsbeschluss zu Recht warnt, sind daher durch eine Kündigungsklausel nicht zu beheben. Eine zusätzliche Klausel, die in solchen Fällen zeitnahe Korrekturen ermöglicht, ist daher sinnvoll. Durch ihren Antrag versucht die Parteiführung, die Forderung nach einer solchen aus dem SPD-Forderungskatalog zu streichen.
Auch über diese Punkte hinaus ist der Antrag des Parteivorstands kritisch zu sehen, und zwar aus (mindestens) den folgenden beiden Gründen:
Erstens taucht darin eine rote Linie der SPD nicht auf, die in der Vergangenheit immer wieder gezogen wurde (wenngleich nicht im Konventsbeschluss). Mehrere Abgeordnete und Gliederungen haben erklärt, die SPD stimme TTIP nur zu, wenn es mit den USA ein “No-Spy”-Abkommen gebe. Davon will der Parteivorstand offenbar nichts (mehr) wissen. Wie überhaupt das Thema Datenschutz in seinem Antrag faktisch keine Rolle spielt.
Zweitens wird das Abkommen CETA zwischen Kanada und der Europäischen Union (auch) im Antrag des Parteivorstands weniger kritisch behandelt als das TTIP-Abkommen zwischen den USA und der EU. Anders als bei TTIP soll es bei CETA lediglich im Bereich Investorenschutz/Schiedsgerichte noch Veränderungen geben (die aber, siehe oben, hinter dem Konventsbeschluss und dem eigentlich Notwendigen zurückbleiben). Dies ist umso unverständlicher, als Kanada seit Kurzem eine der Sozialdemokratie nahestehende, freihandelskritische Regierung hat.
Man kann den Delegierten des Parteitags – im Sinne der Glaubwürdigkeit ihrer Partei und im Sinne einer vernünftigen Außenhandelspolitik Deutschlands und Europas – nur empfehlen, den Antrag des Parteivorstands abzulehnen und sich auch nicht auf einen wie auch immer gearteten Kompromiss einzulassen. Die Partei hat mit dem Konventsbeschluss eine gute und eindeutige Grundlage, um über Pro und Contra zu TTIP und CETA zu entscheiden. Ein weiterer Beschluss ist schlicht unnötig. Er wäre zudem gefährlich, wenn er hinter den Konventsbeschluss zurückfällt, wie es der Antrag des Parteivorstands tut.