Gegen den Terror in Paris müssen wir den Frieden im Nahen Osten gewinnen.
Christoph Habermann hat für die NachDenkSeiten den Namensbeitrag von Edgar Morin, französischer Soziologe und Philosoph in „Le Monde“ vom 17. November 2015 übersetzt. Siehe unten. Vielen Dank. Anschließend finden Sie noch zwei Links auf eine Ansprache und ein Interview des früheren Bundespräsidenten Johannes Rau, die Christoph Habermann geschickt hat. Der damalige Bundespräsident äußert sich zu den Anschlägen vom 11. September 2001. Christoph Habermann war damals stellvertretender Chef des Präsidialamtes und ist ein Freund der NachDenkSeiten. Albrecht Müller
Nur eine allgemeine Befriedung kann die Gewalt im Nahen Osten und künftig in Frankreich überwinden
Übersetzung des Namensbeitrags von Edgar Morin, französischer Soziologe und Philosoph in „Le Monde“ vom 17. November 2015 von Christoph Habermann:
Das sind keine Attentate mehr. Mit einer massiven mörderischen Aktion, an sechs Orten gleichzeitig, ist die Strategie, der Krieg nach Paris gekommen. Es gab Anhänger des IS hier und da. Jetzt ist der IS bei uns. Es handelt sich nicht um einen Religionskrieg. Es handelt sich um den Krieg einer fanatischen Sekte, die aus dem Islam kommt, gegen jede Gesellschaft, auch jede islamische, die etwas anders ist als ein religiöser Totalitarismus.
Erinnern wir uns daran, dass der IS zwar seinen Ursprung im Islam hat, dort eine dämonische Minderheit, die glaubt gegen den Dämon zu kämpfen, dass es aber der Westen ist, besonders der amerikanische, der als Zauberlehrling die Kräfte der Verblendung befreit hat, die sich dann entfesselt haben.
Fügen wir hinzu, dass wir, auch wenn wir im Recht sind, aufhören uns für heilig zu halten. Prangern wir weiter ihre Abscheulichkeiten an, hier und im Nahen Osten, aber seien wir nicht blind für die unseren, im Nahen Osten. Denn auch wir nutzen, auf unsere westliche Weise, Gemetzel und Schrecken: Drohnen und Bomber treffen hauptsächlich nicht Militärs sondern die Zivilbevölkerung.
Wir können in Frankreich keinen Krieg gegen den IS führen ohne uns in einen militarisierten Polizeistaat zu verwandeln. Was ist also notwendig, um einen wirkungsvollen Krieg gegen den IS zu führen? Die Antwort ist einfach: Frieden schaffen im Nahen Osten.
Die fruchtbare Rolle Frankreichs wäre gewesen, die amerikanische Luftschläge, mit denen man unter keinen Umständen einen Krieg gewinnen kann, nicht durch eigene Schläge zu begleiten, nicht eine schwache Koalition zu begleiten, die nur einen Teil der Feinde des IS vereint, sondern uns für eine übergreifende Koalition der am wenigsten Barbarischen (einschliesslich Russland, Iran und uns selber) gegen den grössten Barbaren überhaupt einzusetzen. Wir hätten nicht die Absetzung von Bachar Al-Assad als Voraussetzung für das Ende der Massaker in Syrien verlangen sollen, sondern das Ende der Massaker als absolute Vorbedingung. Und da der syrische Tyrann von Russland gestützt wird, wie viele tausend oder hunderttausend Tote braucht es noch, bevor Bachar verschwindet?
Die gute Rolle Frankreichs hätte darin bestanden, die Herren Putin und Obama, die sunnitischen Nationen oder Organisationen und die schiitischen Nationen oder Organisationen zur Verständigung zu bewegen gegen den gefährlichsten gemeinsamen Feind, den IS, und zwar durch ein Ende des Tötens in Syrien und im Irak.
Unsere Aufgabe wäre es gewesen, nicht in den Chor der dummen Überheblichkeit einzustimmen, den Irak wiederaufzubauen, dessen Staat und Nation durch den Krieg von Bush dauerhaft zerstört worden sind, auch nicht vom Wiederaufbau Syriens zu träumen, sondern Friedensziele zu nennen, als einzig mögliche Reaktion auf das Kalifat des Schreckens eine Konföderation des Nahen Ostens, die die so unterschiedlichen Religionen, Formen der Religionsausübung und Kulturen anerkennt, und so dem Aderlass bei den Minderheiten ein Ende setzt.
Sagen wir schliesslich, dass der Krieg gegen den IS nur zu gewinnen sein wird, wenn es Frieden nicht nur in Syrien, sondern auch Frieden in den Vorstädten gibt. Nichts ist dauerhaft und tiefgreifend getan worden für eine wirkliche Integration in die Nation durch eine Schule, die das geschichtliche Wesen Frankreichs vermittelt, das multikulturell ist, und in die Gesellschaft durch den Kampf gegen die Diskriminierungen. Ergänzen wir, dass der Friede in Syrien das Hirngespinst der Säuberung und der Erlösung durch Selbsthingabe verschwinden lässt, die, Romantik und Fanatismus verbindend, junge Menschen auf das grauenvolle Schlachtfeld getrieben hat und treibt.
Quelle: Original in Le Monde (leider nicht vollständig abrufbar)
Von Edgar Morin erschien zuletzt auf Deutsch ein Buch mit Stéphane Hessel: „Wege der Hoffnung“, Berlin 2012
Ansprache von Bundespräsident Johannes Rau bei der Kundgebung “Keine Macht dem Terror – Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika” am Freitag, dem 14. September 2001 vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Quelle: Der Bundespräsident
Deutschlandfunk – Interview der Woche mit Bundespräsident Johannes Rau
Quelle: Der Bundespräsident
Anmerkung Albrecht Müller: Auf diese beiden Dokumente weisen wir hin, damit Sie vergleichen können, wie verschiedenen Bundespräsidenten reagieren können. Das gilt zumindest für die Frage, wie es zu Gewaltakten kommen kann.
Ansonsten werden einige unserer Leserinnen und Leser sich daran stören, dass der damalige Bundespräsident keine Zweifel zu Herkunft und Verlauf der Terrorakte am 11. September 2001 hatte oder äußerte.
Da können wir nur die Bitte äußern, dass man die Breite der Ansichten und Einsichten akzeptiert, ohne gleich Etiketten zu verteilen. Das gilt auch für die Übersetzung eines Diskussionsbeitrags von Präsident Putin, die als nächster Eintrag auf der NachDenkSeiten folgen wird.