Wurst macht Krebs? Von Korrelationen und Kausalitäten
Die zur WHO gehörende internationale Krebsforschungsagentur IARC hat sich in dieser Woche mit einer steilen These aus dem Fenster gehängt: „Wurst macht Krebs“, so verkürzt die These der Gesundheitsstatistiker, die sogleich von allen großen Medien aufgegriffen wurde – Panikmache inklusive. Ob Wurst wirklich krebserregend ist, lässt sich durch die Metastudie [PDF] der IARC nämlich überhaupt nicht sagen. Aus den Daten lässt sich allenfalls schließen, dass Menschen, die sehr viel verarbeitete Fleischprodukte verzehren, statistisch häufiger bestimmte Krebsarten bekommen. Das ist ein großer Unterscheid, der jedoch im alltäglichen Empörungswahn der Medien untergeht. Von Jens Berger
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Statistik ist ein Minenfeld. Mit Hilfe der Statistik kann man wissenschaftliche Aussagen untermauern. Man kann jedoch auch wissenschaftliche Aussagen produzieren, die einer ernsthaften Prüfung nicht standhalten. Wer sich kritisch mit der Materie auseinandersetzen will, sollte dabei zunächst den Unterschied zwischen einer Korrelation und einer Kausalität kennen. Eine Korrelation liegt dann vor, wenn man aus gemessenen Daten einen nachweisbaren, also statistisch signifikanten, Trend herauslesen kann. So gibt es beispielsweise eine klare Korrelation zwischen der Körpergröße einer Person und deren Gewicht – je größer man ist, desto schwerer ist man im statistischen Durchschnitt auch. Eine Kausalität wiederum liefert einen wissenschaftlich haltbaren Grund für diesen statistischen Trend. Wer größer ist, hat auch mehr Körpermasse und ist daher auch schwerer – dies ist eine recht eindeutige Kausalität. Doch nicht immer passen Korrelation und Kausalität so schön zusammen.
So gibt es beispielsweise auch eine regional „statistisch hoch signifikante“ Korrelation zwischen der Anzahl der Störche und der Geburtenrate [PDF]. Monokausal müsste man nun daraus schließen, dass der Storch die Babys bringt, was natürlich Unfug ist. Stattdessen herrscht hier eine sogenannte dritte, die Fachleute sprechen von einer „konfundierten“, Variable vor – die Struktur der Region. In ländlichen Regionen ist die Zahl der Störche größer als in städtischen Regionen und gleichzeitig bekommen Menschen in ländlichen Regionen statistisch gesehen mehr Kinder als in städtischen Regionen. Die Korrelation ist klar, die Kausalität kommt bei diesem Beispiel erst, wenn man um die Ecke denkt.
Mit dem „um die Ecke denken“ haben jedoch viele Wissenschaftler und noch mehr Journalisten so ihre Probleme. So wird beispielsweise seit Jahren behauptet, „Rauchen macht depressiv“ und „Raucher neigen häufiger zum Selbstmord“. Keine Frage, Rauchen ist Selbstmord auf Raten, aber das ist hier nicht gemeint. Die Macher der Studien, die von den Medien aufgegriffen wurden, haben vielmehr erkannt, dass unter Menschen, die an Depressionen leiden und Selbstmord begehen, wesentlich mehr Raucher zu finden sind als in der restlichen Gesellschaft. Die Korrelation ist da, aber wie sieht es mit der Kausalität aus? Macht Rauchen depressiv? Oder ist es nicht vielmehr so, dass depressive Menschen häufiger als gesunde Menschen zu Suchtmitteln wie der Zigarette greifen?
Ähnlich könnte es sich auch mit der Wurst-Studie des IARC verhalten. Diese Studie ist eine Metastudie, sie vergleicht also vorhandene Studien zum Thema und führt sie in eine große Vergleichsstudie zusammen. Eine der berücksichtigen Studien hat beispielsweise zum Ergebnis gehabt, dass von 1.000 beobachteten Menschen im Schnitt 61 im Laufe ihres Lebens an Darmkrebs erkranken. In der Gruppe der Menschen, die außergewöhnlich viel Wurst und verarbeitetes Fleisch essen (wir reden hier von durchschnittlich mehr als acht Würstchen pro Tag) erkrankten gemäß der Deutung der Wissenschaftler 66 Personen pro 1.000 Beobachteten und bei den Personen, die nur wenig Wurst und Fleisch essen, nur 56 Personen. Wenn diese Daten so stimmen sollten, wäre dies eine recht klare Korrelation. Aber wie sehr es mit der Kausalität aus?
Gerade zu diesem überaus wichtigen Punkt schweigen die Autoren der Wurst-Studie. Es gäbe bestimmte Chemikalien (Nitritpökelsalz) und Zwischenprodukte (Nitrosamine), die man in Verdacht hat. Es könnte aber auch am Eisen bzw. dem Farbstoff der roten Blutkörperchen oder auch an den Darmbakterien liegen. Nichts Genaues weiß man nicht, daher stellt man lieber einen Generalverdacht auf. Könnte die Kausalität nicht letzten Endes auch wo ganz anders liegen? Natürlich. Es ist beispielsweise bekannt, dass die Darmkrebshäufigkeit auch mit Übergewicht, Bewegungsmangel, fettreicher Ernährung, regelmäßigem Alkoholkonsum und dem Rauchen korreliert. Auch hier gibt es wohlgemerkt nur eine Korrelation und keine Kausalität. Ist es denn nun wirklich überraschend, dass Menschen, die im Schnitt acht Würstchen pro Tag vertilgen, übergewichtig sind und sich daher vielleicht auch weniger bewegen? Wohl kaum. Da die exzessiven Wurstkonsumenten wahrscheinlich in diesen Gruppen zu verorten sind, könnte man auch folgern, dass Bewegungsmangel Darmkrebs verursacht. Das macht natürlich keiner, da es unsinnig klingt. Die böse Wurst passt da als Karzinogen schon besser ins öffentliche Bild.
Die Wurst-Studie des IARC ist als Metastudie auch eine internationale Vergleichsstudie. Ein Ergebnis lautet demnach auch: In Regionen, in denen viel Wurst gegessen wird, bekommen die Menschen häufiger Darmkrebs. Eine Erklärung dafür könnte natürlich auch sein, das Menschen in den Wurst-Esser-Regionen schlichtweg älter werden oder ganz einfach seltener an anderen Dingen sterben. Darmkrebs ist nämlich eine Krankheit, die in der Regel erst in einem sehr hohen Alter auftritt – jede zweite Erstdiagnose in Deutschland betrifft Menschen, die älter als 70 Jahre alt sind. Wären diese Menschen bereits mit 40 bei einem Arbeitsunfall, mit 50 an einem Herzinfarkt oder mit 60 an Lungenkrebs gestorben, hätten sie gar nicht erst das Alter erreicht, in dem man im statistischen Mittel an Darmkrebs erkrankt. Ob sie dabei nun Wurst essen oder nicht ist zweitrangig.
Selbst die IARC-Studie gibt zu, dass die beobachteten Wurst-Freunde sich im statistischen Mittel auch generell ungesünder verhielten, weniger Obst und Gemüse aßen, sich weniger bewegten, stärker zu Übergewicht tendierten und häufiger Alkohol und Zigaretten konsumierten. Warum also die Einengung auf die Wurst? Bis die IARC ein überzeugende kausale Erklärung für den Zusammenhang zwischen dem Wurstkonsum und der Darmkrebsanfälligkeit liefert, sind derlei Spielereien mit Korrelationen nicht sonderlich überzeugend. Interessant mag in diesem Zusammenhang auch sein, dass eine große Vergleichsstudie der Universität Oxford herausgefunden haben will, dass Vegetarier signifikant häufiger an Darmkrebs erkranken als Menschen, die Fleisch konsumieren. Auch hier besteht jedoch nur eine Korrelation und keine Kausalität.
Generell ist bei derartigen Studien Obacht geboten. Die amerikanischen Forscher Schoenfeld und Ioannidis haben sich einmal den Spaß gemacht und ein handelsübliches Kochbuch auf dessen aufgeführte Zutaten untersucht. Von 50 vorkommenden Zutaten standen 40 laut diversen Studien im Verdacht, die Krebswahrscheinlichkeit zu beeinflussen. Eine Analyse der Studien, die 2012 von der American Society for Nutrition veröffentlicht wurde ergab jedoch, dass rund drei Viertel dieser Studien überhaupt keine signifikanten Korrelationen hervorbrachten und daher wissenschaftlich wertlos waren – von der Kausalität ganz zu schweigen.
Es ist immer problematisch, wenn Wissenschaftler vermeintliche Ergebnisse veröffentlichen, die nicht haltbar sind, dafür aber von den Medien wie ein Lauffeuer verbreitet werden. Am Ende bleiben dabei nur noch Panik und am Ende Ratlosigkeit und Desinteresse über. Dabei besteht doch eigentlich gar kein Grund zur Panik. Wer Unmengen an Wurst konsumiert, lebt natürlich nicht gesund. Wer durchschnittlich acht Würstchen pro Tag vertilgt, für den dürfte eine leicht erhöhte Darmkrebswahrscheinlichkeit wohl das geringste zu erwartende Problem sein. Schon der alte Paracelsus wusste „Dosis sola facit venenum“ (auf deutsch: „Nur die Dosis macht das Gift“). Und mit dieser Weisheit dürften die allermeisten Menschen auch heute noch gut leben. Dafür braucht es keine alarmistischen Studien, die einen am Ende des Tages auch nur ratlos zurücklassen.