CDU: Raus aus Pisa! Ein Ausstieg mit einer falschen Begründung
Die taz vom 1. Dezember meldet, dass Niedersachsens Schulminister Bernd Busemann (CDU) aus dem Schul-Leistungstest aussteigen und auf ein nationales Vergleichssystem setzen will. Die Kultusminister der unionsgeführten Bundesländer forderten den Rauswurf des Pisa-Koordinators bei der OECD, Andreas Schleicher.
Man kann sich leicht ausmalen, warum die konservativen Schulpolitiker sauer auf Schleicher und auf Pisa sind, werden dort doch regelmäßig integrierte Schulsysteme als vorzugswürdig dargestellt und dem von Konservativen mit Zähnen und Klauen verteidigten deutschen dreigliedrigen Schulsystem vorgehalten, dass es weltweit zu den sozial selektivsten gehört. Statt aber neue nationale Vergleichstest einzuführen, gäbe es ganz andere und wichtigere Gründe aus Pisa auszusteigen. Zugleich ein Hinweis auf das Buch von Jochen Krautz, Ware Bildung. Wolfgang Lieb
In seinem lesenswerten Buch „Ware Bildung“ liefert der Pädagoge Jochen Krautz von der Bergischen Universität Wuppertal eine fundierte inhaltliche Kritik an der von den global Players auf dem Feld der Bildungsdienstleistungen entwickelten und von der Wirtschaftsorganisation OECD vermittelten „Bildungstests“. Sie wurden bisher an 58 Staaten verkauft und befriedigten seit 2000 in mehreren Wellen, sozusagen im Abonnement die von der Bildungs-Spar-Politik ablenkende Nachfrage nach Schulleistungstest auf für die internationalen Assessment- und Testing-Firmen höchst profitable Weise. (Siehe den Beitrag von Karl-Heinz Heinemann).
Statt „No child left behind“ lautet heute die Devise „No child left untested“.
Krautz kritisiert zu Recht, dass mit Pisa vorbei an der Fachöffentlichkeit und an den Bürgern in Deutschland ein neuer Bildungsbegriff eingeführt wurde. Die OECD habe sich mit ihrer Pisa-Studie angemaßt, einen eigenen Bildungsbegriff zu definieren und als normative Setzung den nationalen Bildungssystemen überzustülpen. Die Wirtschaftsorganisation habe so die nationalen Curricula unterlaufen und an nationalen Bildungsvorstellungen und – traditionen vorbei, Bildung als „funktionales Anwendungswissen“ definiert.
Pisa habe „Basiskompetenzen“ von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich getestet. Von Bildung sei in diesem Test gar nicht die Rede. Die Art von Wissen, die Pisa abfrage ziele auf rein zweckorientiertes Denken und ökonomische Verwertbarkeit von funktionalem Wissen. „Pisa zielt auf den homo oeconomicus“, so Manfred Fuhrmann in seiner Untersuchung unter dem Titel „Der europäische Bildungskanon“. Es sei nur konsequent, wenn Pisa selbst in der Regel von „Kompetenzen“ und nicht von Bildung spricht. Dass die Tests „ein didaktisches und bildungstheoretisches Konzept mit sich führen, das normativ ist“ und ausdrücklich auf die jeweils unterschiedliche „curriculare Validität“ verzichtet, wird vom Pisa-Konsortium ganz offen formuliert. Die als objektiv empirische Forschung gehandelten Testergebnisse, sagten deshalb nichts über den Erfolg der bisher in Deutschland geltenden Maßstäbe.
„Die Behauptung einer ´Bildungskatastrophe` lässt sich aus Pisa also nicht ableiten. Vielmehr wir hier in katastrophaler Weise Bildung umgedeutet“, schreibt Krautz. Pisa gehe – auch nach eigener Aussage – von einem funktionalistischen Begriff von Wissen, Lernen, Können aus. Was man lerne, müsse zu etwas dienen und zwar zu etwas konkret Anwendbaren, das man messen könne. Das widerspreche aber fundamental der deutschen Bildungstradition, den Richtlinien und Lehrplänen, die eben die Schülerinnen und Schüler gerade nicht „abzwecken“ sollten. Pisa messe „Bildungserfolge“ nicht gemäß diesen nationalen Lehrplänen, sondern an eigenen Maßstäben.
Im Klartext: Pisa testet Fähigkeiten, die die Schüler nicht oder nicht schwerpunktmäßig gelernt haben, weil sie nicht unmittelbarer Gegenstand des Unterrichts waren. „Die festgestellte Mittelmäßigkeit deutscher Schüler bezieht sich…eben nicht auf das Gelernte, sondern auf das Getestete“, meint Krautz.
Man könne zwar bedauern, dass Mathematik in Deutschland eher als mathematische Allgemeinbildung und weniger anwendungsbezogen unterrichtet werde, aber wenn man das ändern wollte, hätte darüber eine offene Diskussion in der Fachöffentlichkeit geführt werden müssen. Mit Pisa habe man aber an den Fachleuten und an den Bürgern vorbei, die Bildungslandschaft umgekrempelt.
Ich erspare Ihnen an dieser Stelle Ausführungen über die Zweifel an der Wissenschaftlichkeit, über methodische Bedenken, über Messfehler und Fehler bei der Auswertung zu referieren und verweise dazu auf das Buch von Jochen Krautz.
Jenseits der Pisa-Ergebnisse, werde aus der Studie all das herausgelesen, was „geringere Ausgaben oder neue Geschäftszweige verspricht“. So werde etwa die Früheinschulung gefordert, obwohl die bei Pisa erfolgreichen Länder wie Finnland und Schweden erst mit 7 Jahren eingeschult werde. Pisa soll angeblich auch bewiesen haben, dass zentrale Prüfungen leistungssteigernd wirkten, Staaten ohne zentrale Prüfungen hätten aber im Durchschnitt der Tests sogar besser abgeschnitten.
Mit Pisa sei vor allem eins erreicht worden: das Bildungswesen sei „sturmreif geschossen worden“. Die schlechten deutschen Testergebnisse hätten „Schulen und Hochschulen äußerlich und vor allem innerlich bereit zur feindlichen Übernahme gemacht.“
Die Verunsicherung habe das Bildungswesen widerstandslos gegen die nun einsetzenden Rezepte von Radikal-Reformern gemacht. „Bertelsmann ante portas!“ müsse deshalb der Warnruf lauten.
Die Radikal-Reformer würden all die Schwächen des Bildungswesens (die es zweifellos gibt) sehr genau kennen. Sie setzten an den existierenden Problemen an und verstünden dank entsprechender PR, ihre falschen Lösungen als richtige Antworten auf die realen Probleme zu verkaufen.
Man habe in letzter Zeit den Eindruck, dass private Lobby-Gruppen wie die Bertelsmann Stiftung oder Wirtschaftsverbände die besseren Schulministerien seien.
Diesen Eindruck haben wir auf den NachDenkSeiten in zahlreichen Beiträgen mit vielen Belegen untermauert.
Es gäbe also wichtigere Gründe, als die von den CDU-Kultusministern vorgeschobenen, um aus Pisa auszusteigen.
Wichtiger als die Debatte und ein Streit um die Quantifizierung von Bildung und die Einführung immer neuer Tests, wäre etwa eine Debatte über die Qualität der Bildung an unseren Schulen und Hochschulen. Das würde aber eine Abkehr von wertblindem Konkurrenz- und Wettbewerbsdenken und ein Nachdenken über Bildungsinhalte voraussetzen. Über Bildungsinhalte wird jedoch seit Jahren nicht mehr gesprochen. Im Gegenteil, entsprechende Forschungsinstitutionen und Lehrstühle werden zugunsten von Testverfahren und von Testentwicklern abgeschafft oder ausgedünnt.
Bibliografische Angabe: Jochen Krautz, Ware Bildung, Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie, Diederichs Verlag, Kreuzlingen/München 2007