Grönemeyer bei Jauch – wer auch nur in Richtung einer Reichensteuer denkt, wird von den Medien gnadenlos plattgemacht
Das politische Deutschland schwankt in der Flüchtlingsfrage zwischen „Das Boot ist voll“ und „Wir schaffen das“. Wie „wir“ das schaffen sollen, ist in der öffentlichen Debatte jedoch erstaunlicherweise kein Thema. Dabei sollte klar sein, dass die hohen Flüchtlingszahlen nicht nur kurz-, sondern vor allem mittel- und langfristig auch immens hohe Kosten für den Staat mit sich bringen. Wer den sozialen Frieden erhalten und die gesellschaftliche Akzeptanz von Flüchtlingen nicht vollends vernichten will, sollte sich daher tunlichst Gedanken darüber machen, wer die Mehrkosten schultern wird. Der Sänger Herbert Grönemeyer hat dies in der ARD-Talkshow Günther Jauch getan – „man kann sich auch überlegen, ob man nicht den Besserverdienern in Deutschland etwas ans Geld geht“, so Grönemeyer. Nach diesem – eigentlich harmlosen – Satz brach jedoch die publizistische Hölle über den Barden zusammen. War er gerade eben noch der gefeierte Musikstar, galt er nach diesem Satz als „wirr“, „bizarr“, „populistisch“ und „niveaulos“. Auch die sozialen Netzwerke kochten nur so vor heiligem Zorn gegen den „Heuchler“ und „Phrasendrescher“. Armes Deutschland! Wenn diese Meinungen repräsentativ sein sollten, ist der Rechtsruck wohl bereits vollzogen. Von Jens Berger.
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Deutschland liebt seine Mythen. Einer dieser Mythen ist die gelungene Aufnahme und Eingliederung von Millionen Flüchtlingen aus den ehemals deutschen Ostgebieten nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei wird jedoch in erstaunlicher Regelmäßigkeit verschwiegen, wie dieses Unternehmen finanziert wurde. Dazu ein kurzer Auszug aus meinem Buch „Wem gehört Deutschland?“:
Wahrscheinlich hätte sich an der Vermögensverteilung für Sachgüter nichts weiter verändert, wäre die junge Bundesrepublik nicht durch die stete Zuwanderung der Vertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten und die Zuwanderung aus der jungen DDR an ihre wirtschaftliche Leistungsgrenze geraten. Jedem Vertriebenen standen schließlich Entschädigungszahlungen zu – und die mussten finanziert werden.
Daher verabschiedete Bonn im Jahre 1952 das Lastenausgleichsgesetz. Diejenigen, die auch nach Krieg und Währungsreform noch über ein erhebliches Vermögen verfügten, wurden mit einer einmaligen Vermögensabgabe zur Kasse gebeten. Dies betraf vor allem das Immobilienvermögen, aber auch Landbesitz und Betriebsvermögen wurden mit dem geschätzten Wert zum Stichtag 21. Juni 1948, also einen Tag nach der Währungsreform, mit einbezogen. Die Höhe der Vermögensabgabe betrug 50 Prozent des anrechenbaren Gesamtvermögens. Dabei galt ein Grundfreibetrag von bis zu 5.000 D-Mark, soweit das Gesamtvermögen die Summe von 25.000 D-Mark nicht überstieg.
Die Schuldsumme aus der Vermögensabgabe musste in 120 vierteljährlichen Raten auf maximal 30 Jahre gestreckt abgezahlt werden. So betrug die maximale Belastung nur 1,67 Prozent pro Jahr und konnte ohne große Probleme aus dem Cashflow mit laufenden Einnahmen getilgt werden, ohne dass die Vermögenssubstanz angegriffen wurde. […]
Man kann sich das im Grunde wie eine Zwangsanleihe vorstellen. Der Fonds zahlte die Leistungen (Entschädigungen für Kriegsverluste) sofort aus und war damit zunächst hoch verschuldet. Diese Schulden entsprachen den Forderungen an die Vermögenden und wurden von diesen via Vermögensabgabe über einen längeren Zeitraum ausgeglichen. Am Ende löste sich der Fonds auf.
Das Geheimnis der erfolgreichen Eingliederung von Millionen Flüchtlingen – und nebenbei die wichtigste Initialzündung des „Wirtschaftswunders“ – war also eine Vermögensabgabe in Höhe von 50% mit vergleichsweise hohen Freibeträgen. Heute wäre so etwas unvorstellbar und – zumindest in dieser Höhe – steht eine Vermögensabgabe momentan ohnehin nicht zur Debatte. Wer die zahlreichen Flüchtlinge der Gegenwart aber auch nur halbwegs gescheit integrieren will, der wird dies unter Berücksichtigung der Schuldenbremse nie und nimmer aus dem laufenden Haushalt finanzieren können. Hinzu kommt, dass Ausgabenstreichungen in anderen Bereichen nicht nur volkswirtschaftlich negativ zu bewerten wären, sondern auch eine verheerende Öffentlichkeitswirksamkeit hätten. Auf wen wird sich der Hass der Menschen denn richten, wenn ihnen Leistungen und Zuschüsse wegen „der Flüchtlinge“ gestrichen werden? Gegen die verantwortlichen Politiker? Oder gegen „die Flüchtlinge“?
Grönemeyers Satz „man [könne] sich auch überlegen, ob man nicht den Besserverdienern in Deutschland etwas ans Geld geht“ ist also gleich aus mehreren Punkten heraus vollkommen korrekt. Man sollte ihn jedoch ergänzen – nicht nur die „Besserverdienenden“, sondern auch die „Vermögenden“ sollten berücksichtigt werden. Wer denkt, Grönemeyers verständliche Forderung würde nun ernsthaft diskutiert, der kennt „unsere“ Medien nicht:
Es sei die “typische Unart von Prominenten, in populistischen, niveaulosen Pfützen zu fischen und sich schnellen und leichten Beifall abzuholen“, meint etwa der Tagesspiegel in seinem Leitartikel „Schlichter Populismus in der Flüchtlingsdebatte“. Die FAZ sekundiert, Grönemeyer habe einen „bizarren Auftritt“ gehabt und gezeigt, wie man „ein wahrlich nicht unbedeutendes Thema in hochfahrendem Habitus versaubeuteln kann“. „Wirre politische Ideen“ unterstellt Grönemeyer derweil das Magazin von web.de.
Zahlreiche weitere Kommentare der etablierten Medien sowie auf sozialen Netzwerken machen auch gleich auf neunmalklug und reiben sich daran, dass der „unverschämte“ Herr Grönemeyer ja selbst reich sei und in London lebt. „Dass Grönemeyer in all den Jahren dieser politischen Forderungen in London lebte, macht die offenbar beliebige Forderung nach einer Steuererhöhung in Deutschland nicht glaubwürdiger“, schlussfolgert, stellvertretend für zahlreiche andere Kommentare, beispielsweise die WELT.
Via Twitter hetzen in diesem Tonfall auch der Springer-Journalist und bekennende Porsche-Fan Ulf Poschardt (Die Paris Hilton des deutschen Journalismus) und seine blaublütige Springer-Kollegin Anna-Natascha Prinzessin von Bayern, geb. Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Dass diese beiden herausragenden Mitglieder ihrer Zunft nichts von einer Besteuerung der Vermögenden wissen wollen, versteht sich von selbst.
Man kennt diese Scheinargumente. Oskar Lafontaine dürfe nicht über eine Umverteilung von oben nach unten sprechen, da er ja selbst über ein ansehnliches Vermögen verfüge. Klaus Ernst predige Wasser und saufe Wein, da er einen Porsche fährt. Bei der Causa Grönemeyer kommt hinzu, das WELT und Co. schlicht Lügen unter das Volk bringen, um Stimmung gegen den Sänger zu machen. Grönemeyer ließ dazu via Facebook verkünden:
„Der Musiker Herbert Grönemeyer versteuert seine Einnahmen ordentlich, rechtmäßig, rechtzeitig und sozialverträglich seit Ewigkeiten schon in Deutschland, beim Finanzamt Berlin.“
Auf eine Entschuldigung der geifernden Pressemeute wird er jedoch vergeblich warten können. Nun ist er persona non grata und dies hat nicht nur etwas mit seinen Steuervorschlägen, sondern auch mit anderen Positionen zu tun, die in unseren Qualitätsmedien nicht gern gehört und stellvertretend vom Tagesspiegel als „intellektuelle Schlichtheit“ verunglimpft werden:
Grönemeyer versucht noch mehr. Zum Beispiel Weltpolitik zu analysieren. Seine Thesen: Amerika und England sind schuld an der schlimmen Situation im Nahen Osten. Amerika und England sind schuld am IS. Intellektuelle Schlichtheit. Als Liedzeilen gerade noch zu verwenden. Aber umstrittene und gewählte Politiker wie Bush und Blair vor ein Kriegsgericht zu stellen, da schleudert es den Sänger weit übers Ziel hinaus.
Die intellektuelle Schlichtheit ist eher beim Tagesspiegel zu verorten. Aber nicht nur dort. Erschreckend ist vielmehr, dass diese Thesen offenbar von der Mehrheit der Leser durchaus geteilt werden. Finden sich ansonsten unter derart einschlägigen Artikeln von rechtsaußen zahlreiche kritische Leserkommentare, so haben sich die Leser in der Causa Grönemeyer mehrheitlich den Meinungsmachern angeschlossen – mehr noch, die Leserkommentare überholen in diesem Fall die Artikel mühelos von rechts. Das Thema „Flüchtlinge“ spaltet nicht nur, es radikalisiert. Der Rechtsruck scheint bereits im vollen Gange zu sein.