(Ex-)VW-Chef: Ein Fall für TTIP
In Wolfsburg gibt es Wölfe, Martin Winterkorn aber ist ein (Unschulds-)Lamm, das sich opfert. So ungefähr muss man die Rücktrittserklärung von Martin Winterkorn als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG verstehen, wenn er erklärt, er sei „bestürzt“, dass „Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren“, sein Rücktritt erfolge „im Interesse des Unternehmens, obwohl er sich „keines Fehlverhaltens bewusst“ sei.
Zugegeben: Eigene Kenntnis und Verantwortung einzugestehen könnte den Ex-Chef teuer zu stehen kommen. Denn die zwischenzeitlichen Ermittlungen der US-Staatsanwaltschaft könnten sich auch gegen ihn persönlich richten und die gefälschten Abgaswerte werden dem VW-Konzern empfindliche Geldbußen und Zusatzkosten für Rückrufaktionen, Nachrüstung u.ä. einbringen, die der Aufsichtsrat verpflichtet ist, im Namen der Gesellschaft als Schaden gegen Winterkorn geltend zu machen, sollte ihm persönliches Verschulden nachzuweisen sein. Dass sich Winterkorn also keines „Fehlverhaltens bewusst“ ist, ist kein moralisches, sondern ein juristisches statement: Ich habe meine Pflichten als Vorstandsvorsitzender erfüllt. Von Erik Jochem
Zu diesen Pflichten als Vorstandsvorsitzender – und da wird die Geschichte doppelbödig – gehörte es, Entscheidungen danach abzuwägen, wie viele Kosten sie verursachen.
Gesetzestreue lässt sich manchmal in Heller und Cent ausdrücken und schmälert den Gewinn. Wer wäre da nicht versucht – nachzurechnen ? Dumm nur, dass auch der Gesetzesverstoß seinen Preis hat – wenn man erwischt wird.
Der homo oeconomicus als der Winterkorn bezahlt wurde, war den Aktionären gegenüber verpflichtet, die beiden Preise (die ihm als Vorstandsvorsitzender und Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung möglicherweise bekannt gewesen sein könnten) – in erster Linie also das Risiko, erwischt zu werden – kühl abzuwägen.
Und ganz egal, was hinterher alle Politiker, einschließlich der im Aufsichtsrat von VW, sagen: Mit der Einhaltung moralischer Standards und der Einhaltung von Gesetzen ist den finanziellen Interessen der Aktionäre eben nicht in jedem Fall gedient. Aus deren Sicht besteht Winterkorns Fehler als Manager – wenn es Winterkorns Fehler war – ausschließlich darin, die Wette (falls er sie abgeschlossen hat), nicht erwischt zu werden, verloren zu haben.
Ob nun Winterkorn persönlich verantwortlich ist oder nicht, sprechen wir im VW-Abgasskandal also nicht über einen Betriebsunfall oder moralisches Versagen, sondern über ein Strukturprinzip unserer Wirtschaftsordnung. Je größer ein Konzern wird, desto lohnender (und auf Grund möglicher politischer Einflussnahme erfolgversprechender) wird es, die gültigen Spielregeln zu umgehen oder gleich selbst im eigenen Interesse festzulegen.
Dass Winterkorn selbst weit davon entfernt ist, ein Lamm zu sein, zeigt seine nachhaltige Unterstützung für TTIP.
Sein Traum: Wären die US-Abgasnormen erst nach dem wohl bevorstehenden Abschluss der TTIP-Vereinbarung beschlossen worden, hätte er ihre Einführung durch Einreichung einer Klage – also gewissermaßen mit einem Federstrich – wegen Geschäftsschädigung des VW-Konzerns verhindert.
Dann hätte VW die Umwelt legal verpestet. Man kann das Fortschritt nennen. Fragt sich nur für wen.