M100 bleibt sich treu
Auf Schloss Sanssouci in Potsdam fand auch in diesem Jahr wieder eine exquisite Medienkonferenz statt, das sogenannte M100 Sanssouci Colloquium, das sich auch gerne selbst „Medien-Davos“ nennt. Alles, was Rang und Namen hat in der Medienwelt, trifft sich hier – natürlich nicht bei den tagsüber stattfindenden Diskussionen, aber zu den Medienevents am Abend. Unsere Kolumnistin Sabine Schiffer kennt die Konferenz aus eigener Anschauung und kommentiert die jährlich stattfindenden Preisverleihungen kritisch. Von Sabine Schiffer[*]
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Während in der Orangerie von Schloss Sanssouci einige Journalisten und Wissenschaftler über das Tagungsthema diskutieren, werden in Nebenräumen bereits die längst vorbereiteten Pressestatements unter die über die Konferenz berichtenden Medien gebracht. Auch ich war vor einigen Jahren als Statist zu dieser Konferenz geladen – es sollte um Meinungsfreiheit und Islam gehen: 2009 lautete eine Studie, die der Konferenz das Thema gab „ Muslims in the European Mediascape“. Flemming Rose von der dänischen Jyllands Posten verteidigte die sogenannten Mohammed-Karikaturen und die Redaktionslinie seiner Zeitung. Hinweise auf ein wachsendes antimuslimisches Ressentiment schrieb er ebenso in den Wind wie einen Hinweis darauf, dass Satire, sowie Meinungs- und Pressefreiheit herrschaftskritisch einzusetzen seien und sich nicht gegen Schwache zu richten hätten. Der Appell einiger Diskussionsteilnehmer verhallte damals wie heute.
Die Auszeichnung mit dem M100 Media Award 2015 für das französische Magazin Charlie Hebdo passt in die Ausrichtung der Konferenz, die – 2005 von der Stadt Potsdam initiiert, unter der Ägide von Lord Weidenfeld geführt – seit Jahren immer wieder antimuslimische Akzente setzt. So ehrte 2010 Angela Merkel persönlich den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard für seine höchst umstrittene Bombenkopfzeichnung bereits als Flaggschiff der Satire-, Meinungs- und Pressefreiheit. Man stelle sich eine Bombe mit gezündeter Lunte auf dem Kopf von Jesus oder Moses vor, oder aktuell könnte man sich eine solche Zeichnung mit Uncle Sam oder Wladimir Putin denken. Ob die Verbildlichung von Feindbildern ein Ausdruck von Meinungsfreiheit darstellt, wäre eine interessante Diskussion für die genannte Konferenz und findet dort vielleicht sogar statt – nur gehören deren Statements nicht zu den PR-Verlautbarungen der Pressekonferenz und schon gar nicht zu Key-Note Reden, Preisverleihungen und Gala-Diner. Kurt Westergaard ließ auf der diesjährigen Konferenz Kopien der genannten Zeichnung für die Kollegen von Charlie Hebdo verteilen.
Immerhin gab es in diesem Jahr eine kritische Debatte über die Verleihung des M100 Medienpreises. Als Opfer eines grausamen Anschlags im Januar diesen Jahres, bei dem renommierte Zeichner sowie der Chefredakteur von Charlie Hebdo ums Leben kamen, schien das Magazin Charlie Hebdo geeignet, um als Symbol für Meinungs- und Pressefreiheit geehrt zu werden. Da jedoch kürzlich eine Ausgabe mit Karikaturen des ertrunkenen syrischen Jungen Aylan erschien, die einige Irritationen hervorriefen, kam man um eine Erörterung ob der Ausrichtung des Magazins nicht umhin. Als exemplarisch für die flache mediale Auseinandersetzung mit dem Thema kann das kritisch anmutende Interview auf Deutschlandradio Kultur vom 17. September gelten. Dort lautet die „Frage des Tages“: „Hat “Charlie Hebdo” den M100 Media Award verdient?“
Die Antwort kann man ahnen, natürlich – denn Satire müsse provozieren und zum Nachdenken anregen. Dies wiederholt der Chefredakteur Gérard Biard auch auf der Pressekonferenz. Man kann prüfen, ob die Zeichnung des ertrinkenden Kindes neben einer Jesusfigur, die übers Wasser läuft, dem entspricht, was Biard zur Verteidigung sagt: Man greife nicht Muslime oder den Islam an, lediglich Islamismus. Neben der Zeichnung heißt es: „Christen gehen auf dem Wasser, muslimische Kinder gehen unter.“
Die Provokation ist jedenfalls angekommen, denn so hohe Sicherheitsstandards wie dieses Mal gab es beim M100-Treffen noch nicht. Der wohlwollende und einhellige Tenor der Berichterstattung über das Event, von Bild über rbb, Tagesspiegel bis zur FAZ, mag sich auch dadurch erklären, dass die Jury für den Preis aus den Vertretern genau der großen Medien besteht: Stefan Aust, Stephan-Andreas Casdorff, Ulrich Deppendorf, Kai Diekmann, Mathias Döpfner, Peter Frey, Roger Köppel, Giovanni di Lorenzo, Mathias Müller von Blumencron, Andrea Seibel, Wolfram Weimer, um nur einige Namen zu nennen.
Wie auch die Rednerliste verrät, versammeln sich hier nicht diejenigen, die sich um ihre Meinungsfreiheit Sorgen machen müssten. Im Gegenteil, es treffen sich die Meinungsführer und Mächtigen, wozu auch Politiker wie Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, Frank-Walter Steinmeier und Politagitateure à la Bernard-Henri Levy gehören. Zu den wechselnden Partnern der Konferenz gehört konstant die Bundeszentrale für politische Bildung, aber auch Reporter ohne Grenzen. In diesem Jahr war die NATO einer der Sponsoren. Und so war Jamie Shea, PR-Stratege für den Kosovo-Krieg, in diesem Jahr für eine kurze Ansprache bestellt.
Dass die Diskussionen zwischen den Teilnehmenden wenig mit den Abendevents zu tun haben, lässt sich auch daran ablesen, dass die Themen von Konferenz und Preis unterschiedlich sind. Während beispielsweise 2009 das offizielle Konferenzthema um Muslime und Medien kreiste, erhielt den Medienpreis Hans-Dietrich Genscher für seine Politik. In diesem Jahr lautete das offizielle Konferenzthema: „70 Jahre Potsdamer Abkommen: An einem neuen Scheideweg?“ Den Preis erhielt jedoch Charlie Hebdo aus den genannten Gründen. Bereits 2010 wurde genau diese Ausrichtung mit Kurt Westergaard geehrt, damals wurde der Preis von Angela Merkel persönlich übergeben – im Kontext der aufgeheizten Sarrazin-Debatte. Es wäre interessant (und ist mir nicht gelungen) zu erfahren, ob in diesem Jahr Edward Snowden in der Jury zur Diskussion stand. Denn wenn es um den Schutz von Meinungsfreiheit geht – gegen Macht und Bedrohung – dann gibt es im Moment kaum ein besseres Symbol als ihn. Hingegen wird der aktuelle Preisträger zu Recht dafür kritisiert, dass sich seine Veröffentlichungen zunehmend gegen Schwache richten. Im Gegensatz zur Diskussion im PEN-Club ob einer solchen Preiswürdigung blieb M100 in dieser Entscheidung ohne Dissens.
Die Riege der Preisträger seit 2005 spricht ihre ganz eigene Sprache von dem, was die Konferenz wirklich ausmacht. Ein Schlaglicht werfen – neben den bereits genannten – Namen wie Ingrid Betancourt, Mario Draghi, Vitali Klitschko und nicht zuletzt der Patriarch der Veranstaltung Lord Weidenfeld mit einem Ehrenpreis.
Nein, hier trifft sich nicht die Vierte Gewalt, die Macht und Mächtige kontrollieren will. Hier wird Politik gemacht und allenfalls finden hier Medienbriefings statt. Vielmehr jedoch geben die teils internationalen Kollegen aus der Medienbranche, diejenigen, die dem Journalismus noch verpflichtet sind, hier eine Kulisse von Komparsen ab, die genauso schmuckvoll sein soll, wie das Ambiente von Schloss Sanssouci.
[«* ] Dr. phil. Sabine Schiffer hat zur Islamdarstellung in den Medien promoviert. 2005 gründete sie das Institut für Medienverantwortung, das sie seither leitet. Sie doziert und publiziert zu den Themen: Vierte contra Fünfte Gewalt, Kriegsmarketing, Stereotype im Mediendiskurs sowie Medienbildung.