Roland Koch schraubt den Anteil der USA am Weltmarkt auf sagenhafte 19 Prozent hoch – durch Addition der Importe in die USA. Ein dreistes Stück Manipulation.
In dieser modernen Welt der permanenten Manipulation haben wir uns an sehr vieles gewöhnt. Was sich aber der hessische Ministerpräsident Roland Koch in einem Gespräch mit Hans D. Barbier unter der Moderation von Frank Schirrmacher am 6.2.2004 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung leistete, das ist neue Spitzenklasse.
Zum Hintergrund: Seit dem vergangenen Jahr läuft eine Kampagne zur Dramatisierung der Debatte um die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes mit dem Argument, Deutschland verliere beim Anteil am Welthandel. Teil dieser Kampagne und wissenschaftlicher Zeuge ist der Münchner Professor für Nationalökonomie und Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. Ein im vergangenen Herbst erschienenes Buch Sinns enthält eine dramatisch erscheinende Kurve zum angeblich sinkenden Anteil Deutschlands am Welthandel. Mit dem “Material” von Sinn arbeiten die Akteure der Kampagne; die gleichen angeblichen Facts tauchen in Reden von verschiedenen Politikern und nun auch in Regionalzeitungen immer wieder auf.
Aber die Behauptungen von Prof. Sinn und seiner Gefolgsleute stimmen nicht. Deutschlands Anteil am Welthandel – gemessen an den Exporten – ist in den letzten Jahren wieder gestiegen; wir haben im Jahr 2003 mit 10,2 die USA mit 9,9 überholt.
Um diese Peinlichkeit zu übertünchen, kommt der Nothelfer in der Amtsperson eines Ministerpräsidenten des Wegs und rechnet einfach die Importe zum Welthandelsanteil hinzu. Das kann man machen. Aber diese Zahl sagt dann nichts über die Wettbewerbsstärke eines Landes, im Gegenteil. Im Falle der USA zeigt der rasante Anstieg des Welthandelsanteils a la Koch nur, dass die USA ein gewaltiges Handels- und Leistungsbilanzdefizit von fast 500 Milliarden Dollar (2002: 480,9) haben; die US-Amerikaner kaufen auf den Weltmärkten weit über ihre Exportfähigkeit hinaus ein; in den letzten 10 Jahren, von 1993 bis 2002, summiert sich das Leistungsbilanzdefizit auf 2.332,4 !! Mrd. US$. Die USA leben in unverantwortlicher Weise über ihre Verhältnisse.
Bei Roland Koch sieht die Beschreibung dieser hoch problematischen Situation dann so aus: “Der Anteil der Vereinigten Staaten am Welthandel ist von 1991 bis 2002 von gut vierzehn auf mehr als neunzehn Prozent gestiegen, der deutsche Anteil ist von knapp zwölf auf acht Prozent gesunken.”
Die FAZ wirbt damit, dass ihre Leser kluge Köpfe seien. Roland Koch hält die klugen Köpfe aber offenbar für leicht manipulierbar und die beiden „alten FAZ-Hasen“ Barbier und Schirrmacher haben nichts unternommen, um ihre Leser vor dieser billigen Manipulation zu schützen.
Wenn man sich bei einem Vergleich zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der USA und Deutschlands an die Fakten hält, dann kommt man zu völlig anderen Schlüssen. Hier noch einige ergänzende Daten:
- In dem von Roland Koch genannten Zeitraum von 1991 bis 2002 ist aus einem Leistungsbilanz-Überschuss von 3,7 Milliarden Dollar für die USA das erwähnte Defizit von 480,9 Milliarden geworden. Für Deutschland hingegen wurde aus einem Defizit von 22 Milliarden ein Überschuss von 54 Milliarden Dollar.
- Einer der Gründe für die Verschiebung der Exportposition zu Gunsten Deutschlands dürfte die Entwicklung der Lohnstückkosten sein. Laut OECD sind die Lohnstückkosten in Deutschland zwischen 1995 und 2002 um 5,7% gesunken, die der USA sind um 12,5% gestiegen.
- Die OECD hat einen Wettbewerbsfähigkeit-Index entwickelt. Dieser Index ging im erwähnten Zeitraum für die USA zurück, für Deutschland ging er kräftig in die Höhe. Kein anderes OECD-Land konnte seine Wettbewerbsfähigkeit zwischen 1995 und 2002 so steigern wie Deutschland.
Die von Sinn, von Koch und anderen angeführte Debatte um den Welthandelsanteil zeigt im Übrigen auch, auf welch niedrigem sachlichen Niveau die öffentliche Debatte in Deutschland zur Zeit stattfindet: Wenn man an das Problem sachlich herangehen wollte, dann müsste man z. B. den deutschen Weltmarktanteil auch in Relation zu anderen vergleichbaren Ländern setzen. Großbritannien erreichte 2002 4,4%, Japan 6,6%, Italien 4% und Frankreich 5%. Gemessen daran ist Deutschlands Anteil mit über 10% unglaublich hoch; es wäre überhaupt nicht verwunderlich, wenn der Anteil etwas sinken würde. Darauf sollten wir uns auch aus anderen Gründen einstellen: auch die großen Völker, die in den letzten Jahren wirtschaftlich zu prosperieren beginnen – China und Indien zum Beispiel – müssen zwangsläufig einen wachsenden Anteil am Welthandel erreichen. Wer dann darauf beharren will, dass Deutschland auf alle Zeit hinaus allein schon ein Zehntel aller Exporte in der Welt liefert und abwickelt, der “hat nicht mehr alle Tassen im Schrank”. Der Professoren- und auch der Ministerpräsidententitel ist dann nur der Paravent für praktizierte Scharlatanerie.