Thomas Frickes Kolumne „Vom Scheitern der Alt-76er“ ist in vieler Hinsicht lehrreich.
„Nach gut 30 Jahren strammer Angebotslehre hat sich selbst der treue Sachverständigenrat von der alten Bekenntnisökonomie weitgehend verabschiedet. Spät und zögerlich, aber zeitgemäß. Und aus gutem Grund,“ schreibt Fricke.
Er beschreibt und belegt das lange Wirken der Angebotsökonomie seit Mitte der siebziger Jahre und nennt ihr Scheitern beim Namen. Mit Recht. Aber seinen Optimismus, der Sachverständigenrat und die ökonomische Zunft insgesamt verabschiede sich von ihren alten Bekenntnissen, kann ich leider nicht teilen. Auf allen Kanälen und in nahezu allen Blättern wird uns doch täglich eingetrichtert, wir hätten das bisschen Wirtschaftsbelebung den Reformen zu verdanken. Und wir müssten dringlich so weitermachen. Auch Wirtschaftswissenschaftler predigen das Gleiche: Hüther, Zimmermann und selbst ein Rüdiger Pohl, den ich aus den Siebzigern noch mit ganz anderen Tönen kenne, bäumen sich auf gegen das Eingeständnis des Scheiterns. Thomas Fricke möge sich das DeutschlandRadioInterview mit Pohl anhören, das im Anhang verlinkt wird. Albrecht Müller.
Nun aber zu den bemerkenswerten Aussagen von Fricke. Ich zitiere zunächst noch einen Absatz wörtlich:
Beim letzten Mal kam der Paradigmenwechsel mit Pauken und Trompeten. Als die Wirtschaftsprofessoren des Sachverständigenrats im November 1976 erstmals eine ganz neue “angebotsorientierte” Politik empfahlen, stellten sie sich damit gegen große Teile der Ökonomenschaft und mussten nach eigenem späteren Bekunden eine hartnäckige “Déformation professionnelle” überwinden.
Das Paradigma hat drei Jahrzehnte gehalten. Jetzt zeichnet sich eine neue Wende ab, wenn auch diesmal weit zögerlicher und ohne Blasmusik. Dabei gibt es gute Gründe, das Leitmotiv von der heiligen Angebotspolitik zu begraben. So wie es in den jüngsten Gutachten des Rats vorsichtig erkennbar wird. Die alte Bekenntnisökonomie wirkt reichlich überholt.
Und jetzt ein Resümee:
- Die Angebotsökonomie versucht seit Mitte der siebziger Jahre die Wirtschaftspolitik zu bestimmen. Sie hat es teilweise geschafft. Das habe ich als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt leidvoll erfahren und in „Machtwahn“ auch beschrieben. Thomas Fricke hat dankenswerterweise einen Beleg für die Durchsetzung der Angebotsökonomie schon zu jener Zeit aufgetan, den ich bisher noch nicht parat hatte. Er zitiert den damaligen Vorsitzenden des Sachverständigenrates und Top-Angebotstheoretiker Olaf Sievert mit einem Resümee von 2003:
Seit Mitte der 70er-Jahre hat es keine Wirtschaftspolitik nach dem Muster der globalen Nachfragesteuerung mehr gegeben.
Dieses Zitat ist für die Auseinandersetzung mit den Neoliberalen und mit ihren Helfern auf der Linken Gold wert, auch wenn die Aussage übertrieben ist. Es gab auch noch in der zweiten der Hälfte der siebziger Jahre erfolgreiche Versuche einer Nachfragesteuerung. Das beste Beispiel ist das Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP). Aber in der Politik der Bundesbank wie auch bei Teilen der Bundesregierung hatten sich die Monetaristen und Angebotsökonomen durchgesetzt.
Im Licht dieser Analyse bekommen dann die Klagen von als eher fortschrittlich und links geltenden Personen einen besonderen Beigeschmack. Ich meine all jene wie Erhard Eppler und den verstorbenen Peter Glotz, die immer wieder behaupteten, die keynesianisch eingefärbte Globalsteuerung sei in den siebziger Jahren gescheitert. Richtig ist: Sie wurde nicht mehr konsequent angewandt. Sie wurde ständig konterkariert. - Wir erproben jetzt fast 30 Jahre lang eine andere Konzeption. Diese hat sich schon ausgangs der siebziger und dann in den achtziger und vor allem in den neunziger Jahren als nicht hilfreich, sondern als wirkungslos erwiesen. Sie ist schlicht gescheitert. (In „Machtwahn“ ist dieses Scheitern (zum Beispiel auch der Reformen nach Hartz I bis III) im einzelnen dokumentiert.)
- Jene, die wie etwa die erwähnten Professoren Klaus Zimmermann und Rüdiger Pohl jetzt die Fortsetzung anmahnen, sind offensichtlich immer noch nicht bereit, zum Konkursrichter zu gehen. Man sollte das Stehvermögen dieser Ideologie also nicht unterschätzen. Man sollte auch den Fintenreichtum der handelnden Personen nicht unterschätzen. Schließlich haben Franz Müntefering und Gerhard Schröder uns eine Neuwahl außer der Reihe zugemutet, um das Scheitern ihrer Reformpolitik zu verdecken. Ich nannte das damals einen Akt der Konkursverschleppung.
Zumindest die öffentlichen Äußerungen der Akteure zum Sachverständigenratsgutachten klingen nicht anders.
Wenn Thomas Fricke meint, er sehe einen „Erkenntniswandel ohne Blasmusik“, dann ist das nett formuliert und freundlich gegenüber den so genannten Wirtschaftsweisen. Aber ob diese Freundlichkeit der Einsicht zum Durchbruch verhilft, möchte ich bezweifeln. Wer nämlich einer solch verbohrten Ideologie wie der Angebotsökonomie huldigt, wer an die Geldmengen-Theorie glaubt und an Wachstumspfade, der ist zu rationaler Einsicht vermutlich nicht willens und nicht fähig. Aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überraschen.
Anhang:
Interview mit Prof. Rüdiger Pohl, Wirtschaftswissenschaftler
DLF, 07.11.2007 23:22 (Wiederholung 08.11.2007 05:12, weil’s so schön war)
Quelle: DLF [Audio mp3]
Wir haben in den letzten 10, 15 Jahren einen drastischen Rückgang der Investitionstätigkeit in Deutschlang gehabt und zur gleichen Zeit den Sozialstaat mächtig ausgebaut. Irgendwie hat das miteinander zu tun. Und in den letzten drei Jahren war’s so, dass hier der Trend sich so’n bisschen gewandelt hat. Wir haben die Sozialleistungen doch reduziert, die Investitionen haben sich jetzt belebt und auf diesem Kurs müssen wir weiter bleiben. Und ich meine, wenn wir jetzt Dinge diskutieren wie die Erhöhung des Arbeitslosengeldes, dann verfallen wir natürlich wieder in die Politik, die wir vor 10, 15 Jahren gemacht haben und die uns nicht zum Vorteil gereicht hat.