Die Glaubenskongregation Sachverständigenrat hat mal wieder getagt.
„Wirtschaftsweise loben Merkel und Schröder“ meldet das Handelsblatt vorab und meint weiter: „Lob gleich für zwei Regierungen: Die fünf Wirtschaftsweisen bescheinigen der Großen Koalition und ihrem rot-grünen Vorgänger, dass ihre Reformen zu einer „tiefgreifenden, nicht nur zyklischen Erholung“ der Wirtschaft beigetragen haben.“ (Link zum Sachverständigenrat) Es war zu erwarten, dass der Sachverständigenrat die Reformen lobt und damit auch seine Vorstellung von der strukturellen Bedingtheit der Arbeitslosigkeit. Damit Sie sich ein bisschen auf die „Glaubwürdigkeit“ der Mehrheit dieses Gremiums einstellen können, verweise ich auf eine von vielen niederschmetternden Erfahrungen in der Vergangenheit. Der Sachverständigenrat war wesentlich beteiligt am Abbruch des kleinen Booms von 1997 bis 2000. Albrecht Müller.
Es folgt zunächst ein Auszug aus „Machtwahn“, S. 85:
Der nächste kleine Boom in den Jahren 1998 bis 2000 wurde wiederum aufs Spiel gesetzt. Im November 2000 hatte der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten erklärt, die Konjunktur laufe rund, sie sei gut. Dieses Signal an die Verantwortlichen, sich nicht weiter um wirtschaftliche Belebung zu kümmern, wurde von unseren Spitzenökonomen auf dem Hintergrund von 4 Millionen Arbeitslosen ausgesandt – und sollte sich rasch als Torheit erweisen. Die Europäische Zentralbank und der Bundesfinanzminister haben das Signal wohlwollend empfangen. Die EZB erhöhte im Lauf des Jahres 2001 den sogenannten Repo-Satz (das ist der Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte) um 1,75 Prozentpunkte, und für den Bundeshaushalt 2001 plante der Finanzminister eine Ausgabensenkung von 1,7 Milliarden DM. Dies geschah vor dem Hintergrund einer Preisprognose des Sachverständigenrats für 2001 von 1,4 Prozent. Ohne dass eine Inflationsgefahr bestanden hätte, wurde auf die Bremse getreten.
Hier ist der Link auf jenes, von mir zitierte Gutachten.
Das Ergebnis dieser falschen Beratung und der falschen Politik von EZB und von Finanzminister Hans Eichel: der kleine Boom wurde abgebrochen, von 2001 bis 2006 erlebten wir eine Phase der Stagnation. Das war übrigens die Zeit „großer“ Reformen, beginnend mit der Steuerreform des Jahres 2000, der Riester-Rente in 2001/2 und der Steuerbefreiung der Heuschrecken zum 1.1.2002. Nach den ideologisch gefärbten Vorstellungen der Mehrheit des Sachverständigenrates hätten wir spätestens im Jahr 2002 auf einen höheren Pfad des Wachstums wandern müssen.
Wenn Sie kennen lernen wollen, wie geradezu meisterhaft realitätsfern und offensichtlich ideologisch bestimmt die Mehrheit des Sachverständigenrates denkt, dann schlagen Sie die einschlägigen Kapitel über den „Hoffnungsträger Neue Ökonomie“ im Sachverständigenratsgutachten vom 15.11.2000 auf. Sie finden dies im Zweiten Kapitel „Die wirtschaftliche Lage …“ unter V. [PDF – 7.7 MB]:
Die Neue Ökonomie – vom Sachverständigenrat groß geschrieben – verschwand, wie sie gekommen war.
Nachtrag: Von der Handelsblatt-Ankündigung ist noch zu ergänzen: „Gleichzeitig ist der Sachverständigenrat nach Handelsblatt-Informationen für 2008 pessimistischer als alle anderen führenden Konjunkturexperten.“ – Daraus spräche ja immerhin die Einsicht, dass man nicht so euphorisch sein darf angesichts der Schwächen der Binnenmarktnachfrage. Dieses wird allerdings vermutlich nicht der Hauptgrund für die pessimistischere Haltung des Sachverständigenrates sein.
Und noch etwas: Wieso eigentlich Pessimismus angesichts der reformbedingten „tiefgreifenden“ Erholung?
Ach so – wegen der “Anti-Agenda”, lese ich jetzt in SpiegelOnline. Was man mit der deutschen Öffentlichkeit so alles anstellen kann, ist schon beachtlich.