Zur Kritik der Inklusionskritik Clemens Koblochs
Auch wenn die Veröffentlichung von Clemens Koblochs geharnischte Kritik der Debatte über die Inklusion von Kindern mit besonderen Förderbedarfen in Regelschulen auf den Nachdenkseiten schon mehr als ein halbes Jahr zurückliegt, sollte sie nicht ohne eine Entgegnung an gleicher Stelle bleiben. Denn die Nachdenkseiten sind als aufklärerisch-kritisches Medium bekannt, und Clemens Knobloch, Professor an der Universität Siegen, ist kein schulpolitischer „Rechtskonservativer“, wie man es angesichts vieler Passagen seines Beitrags vermuten könnte. Nein, seine „Inklusionskritik“ kommt von links, in aufklärerischer Absicht gegen Bestrebungen neoliberaler Bildungsprivatisierung. Umso frappierender muss seine anti-inklusionistische Philippika erscheinen, gilt doch die politische und gesellschaftliche Linke meist als entschiedene Kämpferin für die Verwirklichung von Menschenrechten im Allgemeinen und für den Umbau des selektiv-hierarchischen deutschen Schulsystems zu einem inklusiven System im Besonderen. Die Entgegnung muss sich vorliegend auf Fragen beschränken, die mir von eher grundsätzlicher Bedeutung scheinen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Darstellungen Knoblochs im Detail, die aus meiner Sicht Kritik verdienen, deren umfassende Behandlung aber hier den Rahmen sprengen würde. Von Daniel Kreutz[*]
Ein altes Thema spät entdeckt
Offenbar hat Knobloch sich erst in jüngerer Zeit mit dem Inklusionsthema befasst, denn er schreibt:
„Bevor das Fahnenwort Inklusion in der medialen Zirkulation aufgetaucht war, dürfte kaum jemand auf die Idee gekommen sein, in der Existenz von Förderschulen für Lernbehinderte ein moralisches Problem zu sehen. Eher im Gegenteil: Sie galten als nützlich und nötig.“
Tatsächlich läuft die kritische Diskussion über die (oft lebenslang wirkende) stigmatisierende Aussonderung behinderter Kinder in Sonderkindergärten und (Hilfs-, Sonder-) Förderschulen, die geradezu systemisch zur Aussonderung am Arbeitsmarkt führt, in Deutschland bereits seit Jahrzehnten. Vor allem Behinderten- und Elternverbände fordern seit langem, „Förderkinder“[1] regelhaft in der – inhaltlich und strukturell veränderten – Regelschule zu unterrichten. Wir haben bald 40 Jahre „integrativer“ (wie es früher hieß) Schulversuche hinter uns, deren wissenschaftliche Begleitforschung Regalwände füllt. Die Erklärung der Weltkonferenz „Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“ der UNESCO, deren Dokumente „getragen [sind] vom Prinzip der Integration, von der Erkenntnis, dass es notwendig ist, auf eine “Schule für alle” hinzuarbeiten – also auf Einrichtungen, die alle aufnehmen, die Unterschiede schätzen, das Lernen unterstützen und auf individuelle Bedürfnisse eingehen“, bekannt als „Erklärung von Salamanca“, datiert von 1994. In der Schulpolitik des nordrhein-westfälischen Landtags spielte das Thema schon in den 1990er Jahren eine Rolle, vorangetrieben von der damaligen Linkspartei, den Grünen. Im Gesetzgebungsverfahren des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes (BGG NRW) 2001 war es ein zentraler Kritikpunkt (fast) aller Behindertenverbände an der Regierungsvorlage. Das scheint Knobloch alles nicht zu wissen; erst das „Fahnenwort Inklusion“ aus der Diskussion über die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) scheint ihn auf das Thema gestoßen zu haben. Jedenfalls bleibt die Behauptung, dass Förderschulen bis zum Auftauchen des „Fahnenworts Inklusion“ allgemein als „nützlich und nötig“ galten, ein geschichtsvergessener „Irrtum“. Die Periode, für die das zutraf, ging mit der „Krüppelbewegung“ der 1970er Jahre zu Ende. Seither wurde die maßgeblich von Betroffenen selbst vorangetriebene und sich ausbreitende Kritik an den aussondernden Sondereinrichtungen für behinderte Menschen von der amtlichen Politik jahrzehntelang recht erfolgreich marginalisiert. Erst mit dem Rückenwind der BRK erreichte sie die Agenda der „großen“ Politik, weil sich die staatlichen Institutionen einer menschen- und völkerrechtlichen Verpflichtung nicht ohne weiteres entziehen können.
Beifallrisiko von (ganz) falscher Seite
Beim Lesen von Knoblochs Beitrags gewinnt man den Eindruck, man habe es hier mit einem radikalen Inklusionsgegner zu tun, dessen Anliegen die Verteidigung des aus dem preußischen Obrigkeitsstaat überkommenen, hierarchisch gegliederten, sozial selektiven Schulsystems ist, das den damaligen Bedarfen an Klassenbildung entsprach. Wären da nicht die Wendungen gegen die neoliberale Bildungsprivatisierung, könnten unbefangene LeserInnen annehmen, es sei ein Beitrag „von rechts“.[2] Knobloch spricht von inklusionsgetriebener „Zerschlagung“ der Förderschulen – meine Wahrnehmung ist da eher ein politisches Bemühen um den strukturellen Erhalt des Sondersystems – und lässt dem Sätze folgen, die so gelesen werden könnten: „Neben den nicht muttersprachlichen Migrantenkindern [Nicht genug schon damit!] werden künftig in großer Zahl [drohende Flut!] … Kinder mit allen Arten von Lernbehinderung, von Blinden und Gehörlosen[3] über Autisten [Man denke!], ADHS-Kinder[4] bis hin zu psychisch und sozial auffälligen Kindern [Unerhört! Auch das noch!] im Regelbetrieb der öffentlichen Schulen auftreten“. Ich bin sicher, dass Knobloch einen solchen Eindruck unter keinen Umständen erwecken möchte, aber das kommt einer behindertenfeindlichen Sarrazzinade schon brandgefährlich nahe. In’s gleiche Horn dann später: „Das Kind, das kaum lesen und schreiben kann, wird dem „normalen“ Gymnasialunterricht keinesfalls folgen können, es muss „beschäftigt“ werden.“ Dann: „Die Gymnasien verweisen (mit Recht) ganz überwiegend darauf, dass es wenig Sinn macht, Kinder aufzunehmen, die definitiv kein Abitur machen können.“ Und schließlich: „Bester Orwell ist in diesem Zusammenhang die Formel von der „zieldifferenten Inklusion“. Sie besagt, dass ein Kind, das die allgemeine Schule besucht, deren Leistungsziele keinesfalls erreichen wird.“ Das spricht doch denen aus der Seele, die sich „ihr“ Gymnasium als – oft eher Kraft gehobenem Sozialstatus denn Kraft Leistung – privilegierende Institution in der heraufziehenden „Zweigliedrigkeit“ erhalten wollen. Solche Sätze affirmieren schlicht die selektive Schulformhierarchie, die auf der Fiktion gründet, man könne Kinder prognostisch in relativ leistungshomogene Gruppen einteilen, die dann möglichst gleiche Klassen- und Bildungsziele erreichen. Für die Förderkinder heißt das dann: die Schwachen lernen am besten unter Schwachen, und Sonderschulen erscheinen als „nützlich und nötig“.
Knobloch verteidigt die Förderschulen ja auch ganz explizit: es werde „einfach geleugnet, dass förderbedürftige Kinder auch eigene Einrichtungen [sic!] brauchen“. Was sie zweifellos brauchen, ist hochwertige, bedarfsgerechte Förderung mit Hilfe von Kompetenzen aus den Disziplinen der Sonderpädagogik, der Rehabilitation und der Pflege. Aber was weder sie noch die Mehrheitsgesellschaft brauchen, sind Sonder-„Einrichtungen“ die beide Lebenswelten trennen. Es gibt keinen Grund, warum der Ort, an dem dem individuellen Förderbedarf entsprochen wird, nicht die Regelschule sein sollte. Ausnahmen mögen die Regel bestätigen: für gehörlose Kinder (sehr gering an der Zahl) könnte der Erwerb der Deutschen Gebärdensprache (DGS) als „Muttersprache“ wichtig sein, wofür eine DGS-Community besser sein könnte als die vereinzelte Einstreuung in hörende Gruppen. Entscheidungsleitend muss letztlich der Grundsatz des Kindeswohls sein, in maßgeblicher Abwägung mit dem Kindesrecht auf Inklusion.
Jedenfalls scheint Knobloch unbekannt geblieben zu sein, dass die einschlägige empirische Bildungsforschung zur Genüge belegt hat, dass „Förderschulen nicht fördern“, dass insbesondere die Schulen für „Lernbehinderte“ – die einzige Behinderungsart, die auf die Schulzeit befristet ist – in Wirklichkeit „Restschulen fürs Prekariat“ (Wocken) sind. Die Folgen sozialstruktureller Benachteiligung werden hier uminterpretiert zu individueller Beeinträchtigung.
Fehlende Differenzierung zwischen Idee und „Umsetzung“
Knobloch differenziert weitestgehend nicht zwischen dem menschenrechtlich begründeten Inklusionsziel und der Politik, die mit der Behauptung auftritt, dessen „Umsetzung“ zu dienen. Stattdessen lässt er „die Inklusion“ selbst als Übel erscheinen, die „de facto allein [sic!] das kühle Kalkül der Bildungsprivatisierer“ fördere. Die menschenrechtliche Fundierung der Inklusion scheint ihm nur als „Antidiskriminierungskleid“ zu gelten, das sich die Privatisierer überstreifen. Bei Differenzierung zwischen dem Zielgedanken und dem, was als „Umsetzung“ auftritt, wäre letztere anhand von Maßstäben zu kritisieren, die ersterem entlehnt sind. Wenngleich Knobloch der „Umsetzung“ einen eigenen Abschnitt gewidmet hat, zieht sich doch die Vermengung von Zielvorstellung und „Umsetzungs“praxis durch den ganzen Text und die Argumente zu dieser und jener erscheinen vielfach austauschbar. Auf diese Weise lässt sich keine aufklärerisch-kritische Debatte führen.
Inklusion und Bildungsprivatisierung
Wenn es eine Agenda neoliberaler Bildungsprivatisierung bei Schule gibt[5], dann ist sie – hier würde Knobloch sicher zustimmen – nicht von „der Inklusion“ verursacht. Und selbstverständlich sind deren Agenda-Setter dann bestrebt, sich „die Inklusion“ – eine Herausforderung, der man nicht einfach ausweichen kann – so zurecht zu biegen, dass sie da hineinpasst und womöglich Privatisierung „nützlich und nötig“ erscheinen lässt. Das aber ist ein recht bekanntes Aktionsmuster des Neoliberalismus, der gern emanzipatorische (anti-etatistische, anti-bürokratische, anti-diskriminierende) Kritiken am Status Quo aufgreift, um sie auf das Reich der „Freiheit“ am Wettbewerbsmarkt hin zu kanalisieren. [6] Hilfreich wäre sachlich fundierte Aufklärung über die Agenda der Bildungsprivatisierung und deren Ansätze, sowie die Entwicklung von Gegenforderungen und -strategien. Schließlich trifft die Inklusionsdebatte auf ein Schulsystem, das ohnedies schon durch chronische Unterfinanzierung halb sturmreif geschossen ist, dessen soziale Selektivität hinlänglich bekannt ist und dessen Lernbedingungen man häufig auch keiner Regelschülerin zumuten möchte. Oder mit Knoblochs eigenen Worten: „Tatsächlich herrscht im öffentlichen Bildungswesen seit Jahrzehnten das Rotstiftmilieu und die öffentlichen Ausgaben für Schulen kennen nur eine Richtung: nach unten.“ Sein Aufsatz hinterlässt aber den Eindruck, dass diejenigen, die Bildungsprivatisierung ablehnen, nicht zuletzt gegen Inklusion kämpfen müssten. Er schlägt den Sack und meint den Esel.
Wortstreit zwischen Fahnenwörtern?
Knobloch äußert sich sarkastisch über den „Wortstreit zwischen den Fahnenwörtern Integration und Inklusion“. Der geht aber keineswegs um Kaisers Bart, sondern um den Unterschied zwischen einer „Eingliederung“ in die voraussetzungsvollen vorgegebenen Strukturen und Strukturen, die so beschaffen sind, dass sie alle „einschließen“ können. Den „Integrationisten“ geht es nicht darum, die Kinder mit besonderen Förderbedarfen „für die Welt der ‚normalen‘ Kinder passend“[7] zu machen, wie er schreibt, sondern um den Erhalt der hierarchisch-selektiven Schulstrukturen, die sie für „nützlich und nötig“ halten.
Indes ist der Wortstreit im Grunde bereits überwunden. Und zwar mittels eines völlig inflationären Gebrauchs des Inklusionsbegriffs, der auch noch den bescheidensten Ansatz zur „Eingliederung“ mit einem großen Schild „Inklusion“ versieht. Herrschende Deutungsmacht (die der Herrschenden) hat den Begriff in der öffentlichen Kommunikation längst seines Inhalts beraubt.
Tatsächlich fordert Inklusion in Deutschland letztlich einen grundlegenden Wandel des äußeren (Schulstrukturen: Eine Schule für alle) und inneren (Pädagogik, Didaktik: Zieldifferenz ist normal) Konzepts von Schule, einen regelrechten Systemwechsel. Der UN-Berichterstatter zur BRK, Vernor Munoz, beantwortete beim zweiten Inklusionskongress an der Kölner Uni (2010) die Frage, was sich aus seiner Sicht am deutschen Schulsystem ändern müsse, damit es inklusiv wird, mit einem Wort: „Alles.“ Ein auf Selektion und Exklusion basierendes System kann nicht mit einigen wenigen „Anpassungen“ inklusiv werden.
Zieldifferenz muss zur Regel werden
Knobloch meint, die „zieldifferente Inklusion“ als „bester Orwell“ besage, „dass ein Kind, das die allgemeine Schule besucht, deren Leistungsziele keinesfalls erreichen wird.“ Könnte das Problem nicht an der Fiktion einheitlicher Leistungsziele für verschiedenartige Kinder liegen? Wäre zieldifferente Inklusion nicht auch ein Versprechen für Hochbegabte, von denen manche durch die Ödnis der Einheitslehrpläne zu Schulversagern gemacht werden? Ist nicht Zieldifferenz – eine Pädagogik und Didaktik, die jedem Kind nach Maßgabe seines Entwicklungsstands die Herausforderungen bietet, an denen es wachsen kann, ohne seine Lernbegierde in Unter- oder Überforderung einzubüßen – notwendige Normalität in Einer Schule für alle?
Auf dem ersten Kölner Inklusionskongress (2007) beeindruckte mich der Bericht eines Berliner Gymnasiums, das einen taubblinden, schwer spastisch gelähmten Jungen bis zum Ende der Schulzeit zieldifferent integrierte, ja inkludierte. In der und durch die Umgebung seiner MitschülerInnen (prospektiver Studierender) lernte er, sich zu verständigen, und kam so weit, dass er anschließend zunächst selbstbestimmt im betreuten Wohnen leben konnte. Angesichts seiner Beeinträchtigungen eine herausragende Leistung! Im Rückblick war dies wohl sein individuelles zieldifferentes Lernziel. In der Sonder-Wohneinrichtung (unter „seinesgleichen“) konnte er sein erreichtes Niveau allerdings nicht halten, so dass dann doch die Heimunterbringung kam. Seither bin ich überzeugt, dass Inklusion grundsätzlich keine Grenze kennt.
Und die „psychisch und sozial Auffälligen“, die jeden geordneten Unterricht sprengen? Die haben das gleiche Menschenrecht auf Bildung. Und die Frage, wie man sinnvoll mit ihnen umgeht, ohne ihr oder der MitschülerInnen Bildungsrecht zu beeinträchtigen, kann und muss unabhängig vom Förderort beantwortet werden. Bislang kann Regelschule solche ‚unzumutbaren‘ Kinder aus der „Welt der ‚normalen‘ Kinder“ in die Förderschule abschieben (so sie nicht von vornherein dort landen), ohne sich fragen zu müssen, ob und wie sie anderen FörderschülerInnen ‚zumutbar‘ werden, welche Settings also Gelingensbedingungen in beiden Richtungen sind.[8]
Die Kritik der „Umsetzung“ muss auf die Umsetzung der Kritik zielen
Nicht „die Inklusion“ ist ein Problem – im Gegenteil -, sondern die Weigerung der Politik – hier ebenso wie generell im Sozialen und in der Daseinsvorsorge – die personellen und sächlichen Ressourcen systematisch zu mobilisieren, die zugleich für eine Instandsetzung der Regelschule und für ihren Umbau zu einem attraktiven und leistungsfähigen Inklusivsystem erforderlich sind. Die „Umsetzung“, die Politik der Inklusion angedeihen lässt, erinnert in gewisser Weise – man verzeihe die Analogie von Unvergleichbarem – an die stalinistische „Umsetzung“ des Sozialismus. Sie droht derart fürchterlich zu geraten, dass am Ende kaum noch jemand damit was zu tun haben will. Inklusionswillige Eltern wenden sich teils von einer zur Inklusion umetikettierten schlechten Integration ab und glauben (wieder), die Förderschule sei doch der bessere Ort für ihr Kind. Bei der „Umsetzung“ besteht tatsächlich dringender Bedarf an radikaler, an die Wurzeln gehender Kritik und an politischer Gegenwehr, die ihre Maßstäbe vom Kindesrecht auf Inklusion (u.a. „Annehmbarkeit“) herleitet. Dann ginge es nicht zuletzt um die Kritik der enormen Verteilungsungleichheit und klassengesellschaftlicher Sozialhierarchien sowie um deren Überwindung. Dabei sollte die Umsetzungskritik aber keine Position des „Nein, wenn nicht“ einnehmen, indem sie den Einstieg in den Wandel von Vorbedingungen abhängig macht. Dergleichen würde nur zur Verlängerung der „deutschen Krankheit der Beginnlosigkeit“ beitragen, wie ein leidgeprüfter älterer Integrationspädagoge formulierte. Hier geht es um „Ja, aber“, bei scharfer Konturierung des „Aber“.
Auch Knobloch übt Umsetzungskritik, wenn er von einer „unverantwortlichen Praxis der Implementierung“ spricht, die „die Schulen völlig unvorbereitet in die Inklusion hineinstolpern“ lässt. Aber daraus folgt – leider – zumindest in diesem seinem Beitrag nichts, was Perspektiven bieten könnte. Und ganz am Ende seines Textes kommt das zähneknirschende Bekenntnis: „Am Ende verbeuge ich mich auch vor dem Gesslerhut Inklusion: Niemand wird abstreiten, dass es einen berechtigten Kern für Inklusionsforderungen gibt.“ Wer hier ein anerkanntes Menschenrecht als Gesslerhut bezeichnet, würde sich vermutlich (und zu Recht) empören, wenn andere das bezüglich anderer Menschenrechte täten. In Sonntagsreden Menschenrechte zu proklamieren, zählt nicht zu den Verbrechen des Kapitalismus, wohl aber, sie alltäglich mit Füßen zu treten. Die Auseinandersetzung könnte konstruktiver werden – wenngleich womöglich nicht minder kontrovers – wenn Knobloch erkennen ließe, worin der „berechtigte Kern“ aus seiner Sicht denn bestehe und was denn notwendig sei, um dem insoweit eingeräumten Recht Genüge zu tun. Aber das bleibt – leider – völlig im Dunklen.
Nachbemerkung: Die Replik erfolgt im Einverständnis mit Clemens Knobloch
[«*] Daniel Kreutz war von 1990 bis 2000 Abgeordneter des nordrhein-westfälischen Landtags für Bündnis 90/Die Grünen. Anschließend war er bis 2010 Referent für Sozialpolitik beim Sozialverband Deutschland (SoVD) e.V., Landesverband NRW. Seither engagiert er sich ehrenamtlich in der Sozialpolitik des SoVD auf Landes- und Bundesebene.
[«1] Alle Kinder sind „Förderkinder“. Art und Umfang des Förderbedarfs sind individuell verschieden.
[«2] Womöglich – horribile dictu – könnten „national-soziale“ Globalisierungs“kritiker“ ihn mitsamt der anti-neoliberalen Kritik goutieren.
[«3] Wieso sind die „lernbehindert“?
[«4] Die sind meist schon in Regelschulen.
[«5] Soweit ich das beurteilen kann, liefert die NRW-Schulstatistik noch keine klaren Indizien für einen Privatschulboom als Antwort des Bildungsbürgertums auf „die Inklusion“. Manche Gründungen privater Ersatzschulen sind durch Bestrebungen „besserer Integration“ motiviert und die Schülerzahl privater Gymnasien ist gegenüber 2009/2010 rückläufig. Eine auffällige Zunahme gibt es bei privaten Berufskollegs.
[«6] Bei der Pflegepolitik haben Bertelsmann/Prognos bspw. den Wunsch der großen Mehrheit, nicht ins Heim zu müssen, sondern selbstbestimmt in eigener Häuslichkeit zu leben, als Leimrute für ein sparpolitisches Budgetierungskonzept missbraucht.
[«7] Es ist gerade die Trennung der „Welten“ von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung, die dringend der Überwindung bedarf.
[«8] Vgl. auch: Eibe Riedel, Zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, Mannheim/Genf 2001.