Die herrschende neoliberale Ideologie ist nicht nur ungerecht, sie ist ineffizient
Wir haben schon mehrmals auf das Gerangel zwischen der neoliberalen Meinungsmehrheit und ihren Kritikern hingewiesen, das wir zur Zeit erleben. Dazugehört auch ein Artikel von Dr. Ursula Weidenfeld. (Siehe Hinweise von heute.) Sie beklagt, dass „unter der Flagge der Gerechtigkeit Fehler gemacht werden. Fehler, die einmal und endlich durchgesetzte Reformen korrumpieren, die das wenige Erreichte fundamental infrage stellen.“ – Darin steckt ein cleverer Trick: Indem die Existenz einer Gerechtigkeitslücke vordergründig anerkannt wird, transportiert die Journalistin zugleich ihre Hauptbotschaft: Wir haben „spektakuläre Erfolge auf dem Arbeitsmarkt“ und diese verdanken wir den Reformen, die nun leider wegen des Drangs des Volkes nach Gerechtigkeit wieder zur Disposition gestellt würden. – Das ist clever und zeigt die Schwäche einer einseitig auf die mangelnde Gerechtigkeit abhebenden Kritik an der Reformpolitik. Albrecht Müller.
Ich bin letzthin selbst Opfer dieses Fehlers geworden, als ich in einer Auseinandersetzung mit dem Leiter des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther (entsprechend dem Thema des Abends beim Stadtgespräch im Hessischen Rundfunk) vor allem auf die mangelnde Gerechtigkeit abhob. Das gab ihm die Chance, die angebliche Effizienz der Reformpolitik bei der wirtschaftlichen Entwicklung herauszustreichen.
Diese Leistung der Reformpolitik gibt es nicht. Wir haben einen ausgesprochen mageren Aufschwung, der möglicherweise leider schon wieder einknickt. Und das bisschen Aufschwung verdanken wir nicht den Reformen, sondern zu aller erst dem Florieren der Weltwirtschaft, den Exporten und dem daraus folgenden Investitionsbedarf. Dies kann man nicht oft genug sagen und belegen.
Gute Belege finden Sie im neuen Buch von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker, auf das ich zu diesem Zweck noch einmal hinweise. Der Titel:
„Das Ende der Massenarbeitslosigkeit.“
Dazu erschien jetzt eine für unsere These einschlägige Rezension von Sebastian Dullien in der Financial Times Deutschland:
Das Ende der Massenarbeitslosigkeit.
Vergesst Hartz
Zitate aus der Rezension:
Auch ohne Reformen hätte sich der Arbeitsmarkt erholt. Die Ökonomen Flassbeck und Spiecker widersprechen der These, die Politik habe den Aufschwung herbeigeführt.
Woher kommt der Aufschwung in Deutschland? Waren die Hartz-Reformen der Regierung Schröder die treibende Kraft? War es die Politik der großen Koalition? Oder hatte Deutschland einfach nur das Glück, dass der Boom der Weltwirtschaft lang genug anhielt, bis der Funke vom Export auf den deutschen Arbeitsmarkt übersprang?
Spätestens mit dem neuen Buch von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker (“Das Ende der Massenarbeitslosigkeit”) ist der Kampf um die Deutungshoheit über die jüngste deutsche Wirtschaftsgeschichte voll entbrannt. Den beiden Ökonomen zufolge ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit vor allem dem Konjunkturaufschwung geschuldet und hat wenig mit den bisherigen Reformen zu tun. In Deutschland, so das Autorenduo, könnte die Arbeitslosigkeit auch ohne Radikalreformen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Sozialsystemen weiter sinken. Vorausgesetzt die Politik ist so gestaltet, dass sich ein selbst tragender Aufschwung entfalten und halten kann.
Nachtrag zum Trick der Meinungsmache:
In dem oben erwähnten Beispiel wird ein einfacher Trick der Massenkommunikation angewendet: Wenn man eine Botschaft A transportieren will, im konkreten Fall die Botschaft, wir hätten einen Aufschwung und diesen hätten die Reformen bewirkt, dann nutzt man zum Transport dieser Botschaft A sinnvollerweise eine Botschaft B. Diese lautet: Vor lauter Wirbel um das Gerechtigkeitsdefizit und die Versuche, dieses zu beheben, zum Beispiel mit einer Verlängerung des ALG1, geht verloren, was wir den Reformen verdanken, den Aufschwung. Letzteres wird dann vor lauter Zustimmung zum Gerechtigkeitsdefizit nicht mehr infrage gestellt.
Das ist einer von vielen Tricks der öffentlichen Kommunikation.