Anmerkungen zu Peter Merseburgers Buch über Augstein.
Volker Bahl hat freundlicherweise das Buch gelesen. Hier seine Besprechung.
Das Buch „Rudolf Augstein“ von Peter Merseburger ist ja gerade auch historisch so interessant – und zwar nicht nur, weil Augstein so in die jüngste Geschichte vernarrt war (Peter Merseburger), sondern auch, weil er ja beim sich aus dem Fenster lehnen nicht müde wurde, diese auch mit zu gestalten, und dabei immer sein Grundzug so herrlich zum Tragen kam: ein wunderbares “Verehrungsverweigerungs-Genie” zu sein.
Und gleichzeitig steht er in seiner Person auch für den so deutlichen Mentalitätswandel in dieser Bundesrepublik – vom heimkehrenden Soldaten mit starker nationaler bis nationalistischer Grundtönung bis hin eben zum Augstein der “Spiegel-Krise” und dem Augstein zu Zeiten der 68-er. Beides brachte dem Spiegel in der Auflagenhöhe auch erst so richtig den Durchbruch. So bleibt seine Person spannend für die Mentalität der Deutschen – und ihren Wandel. Ich finde diesen Aspekt besonders erinnerungswürdig, wenn sich Deutsche heutzutage im internationalen Kontext als Moral-Apostel des “Ewig-Demokratischen” aufführen – anstatt in dieser eigenen Geschichte zu “lesen” – und dadurch vielleicht viel besser zu verstehen – z.B. bei China und Russland u.a.
Aber an mehreren nicht unwesentlichen Stellen habe ich Einwände. Und zwar vergisst Merseburger den zentralen Aspekt von 68, die Notstandsgesetze, die wieder an einen zentralen – den demokratischen! – Nerv dieser Republik – bei dieser jüngsten Vergangenheit! – rührte. Ohne die Notstandsgesetze – und das “Mitmachen” der SPD in einer Großen Koalition – wäre diese breite Politisierung in einer außerparlamentarischen Opposition (APO) nicht möglich gewesen.
Hier drängt sich der Verdacht auf, dass 68 so ein wenig an den Rand “gedrängt” werden soll – neben dem Hauptstrang der Erzählung, dass nämlich die Presse und die Medien es “eigentlich” waren, die die “Bunsreplik” weg aus der Vergangenheit in die Demokratie geführt haben.
Und an einer zweiten fast ebenso bedeutsamen “Weichenstellung” der Republik, der Friedensbewegung, bringt Merseburger einen “Schlenker” rein, den ich wiederum so gar nicht sehen kann. Merseburger meint hier nämlich, dass Augstein bei seiner Positionierung auf Seiten der Friedensbewegung und gegen den Nato-Nachrüstungs-Beschluss auch wieder geirrt hat, denn “letzt-endlich” hätten doch der Kanzler Helmut Schmidt mit dem US-Präsidenten mit dem Nachrüstungsbeschluss recht behalten. Er sieht nämlich eine Kausal-Kette zwischen dieser geplanten Nachrüstung und Gorbatschow, der den Nachrüstungskreislauf durchbrach – und den politischen Konkurs für das Sowjetsystem erkannte und einleitete. Leider kann ich die Logik dieser Argumentation überhaupt nicht erkennen. Schon logischer ist, dass die Sowjetunion erkannte, dass sie wirtschaftlich (!) diesen Wettlauf nicht mitmachen konnte. Aber ich bin da noch immer klarer Verfechter der These von Erhard Eppler. Und außerdem das Wichtigste: Die Entspannungspolitik entfaltete auch da ihre positive Wirkung: „Wandel durch Annäherung“ – eine (vielgescholtene) strategische Antwort von Egon Bahr und Willy Brandt und Gefolge auf die Verhärtungen des Kalten Krieges in den 50ern und den Mauerbau.
Dass es dann auch die Friedensbewegung in ihrer enormen Stärke war, die dem Zentralkomitee in Moskau den Mut gab, Gorbatschow mit seinen Ideen ans Ruder zu lassen – und aus dem Teufelskreis der Nachrüstungen auszusteigen. Wo Hunderttausende – gerade auch in Deutschland – demonstrierten gegen diese heraufziehende Kriegsmöglichkeit, konnte man aussteigen aus dem Nachrüstungswahnsinn – mit seinen Folgen für den Wohlstand der Bevölkerung. So konnte der kalte Krieg zu Grabe getragen werden. Hier lag wieder Augstein richtig zusammen mit Willy Brandt, während Helmut Schmidt falsch lag, so jedenfalls erscheint es mir plausibler.
Um diese unterschiedlichen Geschichtsinterpretationen wird sicher noch weiter gerungen werden.
Aber wenn Merseburger beim Thema Friedensbewegung auch noch Willy Brandt gegen Helmut Schmidt eins auf die Mütze zu geben versucht, so hat er dann konsequenterweise auch – wie wohl auch schon selbst in seinem Buch über Willy Brandt – überhaupt keine Einwände gegen Augsteins Willy Brandt Bild als ökonomischen Versager. Augsteins Urteil über Willy Brandt als “Teilkanzler” (gab es da nicht auch den Titel vom “AußenKanzler” = Ostpolitik gut, aber Wirtschaftspolitik unfähig), der von der Wirtschaft nichts versteht… Dabei wird wohl hier die “halbe” Geschichte nur beschrieben – und nicht Augstein – in diesem Punkte – als wirtschaftsliberales FDP-Mitglied. Gab es da nicht wirtschaftspolitisch eine gewisse Entfremdung zwischen Willy Brandt und “seinem” Wirtschaftsminister Schiller, der stärker unter den Einfluss der CDU-Leute im Wirtschaftsministerium geriet. Allen voran ein Hans Tietmeyer ( siehe Wikipedia “Hans Tietmeyer” ), der heute als Zugpferd für die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” (INSM) zu seiner wahren – d.h. immer schon neoliberalen – Bestimmung gefunden hat. Augsteins Neigung zu Helmut Schmidt – weiter zusammen mit der FDP – zeigt dann auch den weiteren Weg – hin zur neoliberalen “Erpressung” durch das sog. Lambsdorff-Papier, das auch als “Scheidungs-Papier” für die SPD-FDP-Koalition in die Geschichte einging. Hatte die FDP die SPD doch gezwungen, die unter einem Walter Arendt geschaffenen Arbeitsmarkt-Reformen weitgehend “abzuräumen” ( Lockerung der Zumutbarkeit u.a. ). So war dann auch unter Helmut Schmidt mit dem Lambsdorff-Papier die Schmerzgrenze erreicht – und führte zu den dann folgenden 16 Jahren mit Helmut Kohl – immer mit der FDP. Genauer müsste man diese Gechichte der Wirtschaftspolitik bei Willy Brandt auch erzählen als den Beginn des neoliberalen Irrwegs, in dem wir heute dann mit der Agenda 2010 gestrandet sind – und Augstein als seinen frühen Vertreter. Aber das wäre dann doch eine andere Geschichte, die einen Merseburger überfordert hätte. Aber Fragezeichen, die er doch so deutlich woanders anbringt, wären auch hier wichtig gewesen.
Soweit ein paar Anmerkungen zu diesem Buch, das Klaus Harprecht in der SZ als das “ultimative” Buch zu Augstein angepriesen hat. ( Klaus Harprechts Besprechung des Buches “Rudolf Augstein” von Peter Merseburger in der Süddeutschen Zeitung vom 20.September 07 – S.14 )
AM’s Anmerkung aus aktuellem Anlass:
Man kann zu Rudolf Augstein verschiedener Meinung sein. Aber zu seiner Ehre kann man annehmen, dass er das Desaster des heute fast täglich dokumentierten Kampagnen-Journalismus nicht zugelassen hätte. Man schaue sich nur mal die Artikel in SpiegelOnline zum angeblichen Linksruck beim SPD Parteitag und die damit verbundene Dauerpropaganda zur hohen Wirksamkeit der Agenda 2010-/Hartz-Gesetze an. Auch der personelle Vergleich, zum Beispiel Gaus mit Aust und Steingart. Dazwischen liegen Welten.