Wieder ist ein Mensch, der ein Stück Weltgeschichte bewegt hat, gestorben: Egon Bahr
Warum hat sich Egon Bahr im hohen Alter von über 90 Jahren in der letzten Zeit heftig und bestimmt und kritisch zu Wort gemeldet? Weil sein Lebenswerk, die Verständigung zwischen West und Ost und die endgültige Beseitigung der Konfrontation auf dem Spiel steht. Albrecht Müller.
Egon Bahr war Mitarbeiter des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Willy Brandt, geworden, als dieser gerade zusammen mit einem Kreis von Beratern und politisch nahestehenden Personen ein Konzept zur Überwindung der gefährlichen Konfrontation zwischen West und Ost entwickelte. Egon Bahr hat dann 1963 dieses Konzept einer neuen „Ostpolitik“ im oberbayerischen Tutzing vorgestellt: „Wandel durch Annäherung“ hieß die Formel. Das sollte heißen: Wir im Westen wollen den Wandel in der damaligen Sowjetunion und bei ihren Verbündeten im Warschauer Pakt. Aber wir wollen ihn nicht im Konflikt und nicht per Rollback.
Dann hat Willy Brandt als Außenminister ab 1966 mithilfe von Egon Bahr und dann als Bundeskanzler ab 1969 die Entspannungspolitik umgesetzt. Egon Bahr war ständig unterwegs zwischen Bonn und den Hauptstädten des Ostens und des Westens. Er war der Verhandler und ein Stück Motor dieser wichtigen Veränderung in Europa. Und er war ein sehr guter Handlungsreisender in Sachen Entspannungspolitik. Er hat Freundschaften geschmiedet und Brücken geschlagen, selbst zu Menschen, die ihm eher zuwider waren. Er war Vordenker und Diplomat in einem. Ihm gebührt ein immer währendes Dankeschön aller am Frieden in der Welt interessierten und für ihn engagierten Menschen in Europa.
Egon Bahr sah, dass mit der Wiederbelebung der Konfrontation und auch mit dem Bruch von Versprechen gegenüber dem russischen Volk und anderen Völkern Osteuropas sein Lebenswerk und das jener Entspannungspolitiker um Willy Brandt und Helmut Schmidt und letztlich auch Helmut Kohls auf dem Spiel steht. Deshalb hat er sich in letzter Zeit, obschon im hohen Alter, oft und engagiert zu Wort gemeldet.
Einige wichtige Kernanliegen von Egon Bahr sind schon in den neunziger Jahren über den Haufen geworfen worden: Die Vorstellung vom Grundsatz gleicher Souveränität im Bündnis. Oder die Vorstellung von den Grundlagen gemeinsamer Sicherheit in Europa und vom Fernziel, dem Ende beider Militärbündnisse, auch der NATO und dem Aufbau einer neuen Sicherheitsagentur. Friede sei eine politische und keine waffentechnische Aufgabe, heißt es im Berliner Grundsatzprogramm der SPD, dessen sicherheitspolitischer Teil von Egon Bahr wesentlich geprägt worden ist. Darüber sind seine Nachfolger hinweggegangen, innerhalb und außerhalb seiner Partei. Was er in den letzten Monaten seines Lebens kritisierte sind die Folgen dieser Vergesslichkeit und Geschichrtslosigkeit.
Seine Klugheit, seine Weitsicht und seine Fähigkeit, Brücken zu schlagen, werden uns fehlen.