Kita-Streik – wie die Erzieherinnen von Politik, Medien und ihrer eigenen Gewerkschaft verraten wurden
Die streikenden Kita-Erzieherinnen verpassten ihrer eigenen Gewerkschaft diese Woche eine schallende Ohrfeige, als sie den von Bsirske und Co. mit ausgehandeltem Schlichterspruch mit großer Mehrheit ablehnten. Die Zeiten scheinen sich zum Glück geändert zu haben – kampfbereite Arbeiter und Angestellte akzeptieren heute nicht mehr jeden kargen Brocken, den ihnen Arbeitgeber und Gewerkschaften als üppiges Festmahl verkaufen wollen. Das ist schon mal ein Lichtblick. Große Hoffnungen auf einen Sieg im Arbeitskampf dürfen sich die Streikenden jedoch leider nicht machen. Denn nach wie vor müssen sie gegen die geschlossenen Reihen aus verlogenen Politikern, angepassten Journalisten und lammfrommen Gewerkschaftsfunktionären antreten – ein ungleicher (Arbeits)Kampf. Von Jens Berger
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Als die ersten Streiks der Kita-Erzieherinnen im Mai starteten, sah die Lage der Streikenden eigentlich recht hoffnungsvoll aus. Sowohl Medien als auch die große Politik erklärten sich weitestgehend solidarisch mit dem ausgegebenen Ziel, das Berufsbild der Erzieher aufzuwerten. Auch SPD-Chef Gabriel erklärte sich umgehend solidarisch. Lauwarme Worte und blumig formulierte Solidaritätsbekundungen kosten halt nichts und dass Gabriels Solidarität genau so lange anhält, bis es um konkrete Angebote der Arbeitnehmerseite geht, war absehbar.
Auch die Medien fuhren damals noch mit angezogener Handbremse. Kein Wunder – schließlich streikten damals parallel ja auch noch die „bösen“ Lokführer, auf die sich nun die geballte Kritik bündeln konnte. Und selbst für hartgesottene Auftragsschreiber ist es nicht eben einfach, wirklich schlecht bezahlte Kita-Erzieherinnen als habgierige Widerlinge darzustellen. Zumindest daran hat sich bis heute nichts geändert. Stattdessen nimmt man lieber Einfluss auf den Arbeitskampf, in dem man die unvermeidlichen Benachteiligten des Streiks, also die Eltern, mit teils grotesken Mitteln als Opfer der kämpfenden Erzieherinnen darstellt. Auf die Idee, dass die Eltern (auch) ein Opfer der Arbeitgeber, also in diesem Falle der Kommunen und Städte, sein könnten, kommt ein deutscher Journalist freilich nicht. Ebenso wenig wie auf die Idee, dass die Arbeitgeber sehr wohl die „überzogenen“ Forderungen der Arbeitnehmer bezahlen könnten. Hier wird nahezu 1:1 wiedergegeben, was die Arbeitgeberseite den Journalisten in den Block diktiert.
Aus dem anfänglichen Rückenwind wurde so ziemlich schnell ein kalter Gegenwind. Nachdem der Streik von den Medien entweder falsch kommuniziert oder gleich ganz ignoriert wurde, und die Politik es bei verlogenen Solidaritätserklärungen beließ, bewegte sich auch die Arbeitgeberseite nur im Schneckentempo, ohne dabei auf die grundlegenden Forderungen einzugehen. Den Erzieherinnen geht es ja nicht um ein, zwei, drei oder vier Prozent mehr Lohn, sondern um eine grundsätzliche Sache – die Eingruppierung in einer höheren Tarifgruppe, die in puncto Ausbildung und Verantwortung auch dem Berufsprofil entspricht.
Davon ist jedoch noch nicht einmal im Schlichterspruch die Rede. Stattdessen ließen sich die Gewerkschaften mit einem alten Trick kaufen – das ausgehandelte Ergebnis stellte vor allem die älteren Arbeitnehmer besser, blieb aber am unteren Rand und in der Mitte weit unter den Forderungen zurück. Von einer höheren Eingruppierung war schon gleich gar nicht mehr die Rede. Die Hoffnung der Arbeitgeber und Gewerkschaftsfunktionäre war, dass die gewerkschaftlich organisierten Streikenden, die heute meist der älteren Generation angehören, sich von diesem Lockangebot kaufen lassen. Doch diese Hoffnung erwies sich als Trugschluss. Die streikenden Erzieherinnen lehnten den Schlichterspruch, den Frank Bsirske ihnen als Erfolg schmackhaft gemacht hat, ab. Sehr schön. Und nun?
Medien und Politik sind schon wieder dabei, Einfluss zu nehmen – man solle den Schlichterspruch doch akzeptieren oder zumindest als Grundlage für einen neuen schnell und ohne Beteiligung der Streikenden ausgehandelten Kompromiss nehmen. Ein bisschen was geht ja schließlich noch. Doch mit „ein bisschen was“ wollen sich die Streikenden nicht zufrieden geben. Doch wer soll ihre Forderungen verhandeln und durchbringen? Die Verdi-Spitze, die ohnehin nicht viel von diesem Streik hält und ihn lieber heute als morgen durch einen halbgaren Kompromiss abwenden würde? Frank Bsirske ist nun mal kein Claus Weselsky mit Cojones und dem unnachgiebigen Wunsch, für seine Kollegen das Beste herauszuholen.
Eins ist klar – das Land braucht mehr Weselskys, wenn wir endlich etwas an der katastrophalen Spreizung zwischen Arm und Reich ändern und in Deutschland Löhne und Gehälter durchdrücken wollen, die volkswirtschaftlich unabdingbar sind, um die andauernde Eurokrise zu entschärfen. Mit Frank Bsirske ist das nicht zu machen. Er ist ein Mann der Nullrunden und der Zwei-Prozent-Kompromisse. Nur woher soll ein echter Arbeiterführer bei den lammfrommen Gewerkschaften kommen? Man kann sich nun mal keinen zweiten Weselsky backen. Und daher ist der zweite Verrat von Verdi an seinen Mitgliedern vorprogrammiert. Das ist tragisch für die streikenden Kita-Erzieherinnen, sollte aber auch ein Warnsignal für Gewerkschaftsfunktionäre sein – nehmt endlich Eure Kollegen ernst oder Ihr werdet über kurz oder lang von Eurer Basis abgewählt. Denn mittel- bis langfristig werden auch echte Kämpfernaturen ihren Weg in die Vorstände der Gewerkschaften finden. So viel ist klar.