Konflikte prägen und korrigieren Images – und entscheiden Wahlen
Zur Zeit sind wir Zeitzeugen eines interessanten, schon oft erprobten Effektes in der politischen Kommunikation: Über einen (Sach-)Konflikt unter Personen können Images von Politikern geprägt, verändert, aufgebaut und (selten) ruiniert werden. Im konkreten Fall baut Kurt Beck sein Image als sozialdemokratisch gesonnener Sozialdemokrat auf, und Franz Müntefering gewinnt das Image eines an der Sache und daran allein orientierten Politikers, und nebenbei wird noch relativ erfolgreich versucht, die Agenda 2010 als wirtschaftlich wirksame, allenfalls mit Gerechtigkeitsdefiziten getrübte Tat in den Köpfen zu verankern. Albrecht Müller.
Vorweg sei auf den Beitrag von Wolfgang Lieb von gestern und zum gleichen Thema hingewiesen. Mit ihm bin ich auch bei diesem Thema einig. Wolfgang Liebs Beitrag und dieser hier sind allerdings aus sehr verschiedenen Blickwinkeln geschrieben, was seinen Reiz hat. Und nun zur Sache:
Bisher galt auch Kurt Beck als Vertreter Schröderscher Agenda-Politik, er hatte deshalb auch Probleme mit seiner Partei, jedenfalls unterschied sich sein SPD- und Sozial-Image nicht entscheidend von dem Franz Münteferings. Er hat auch die fragwürdigsten Teile Münteferingscher Reformpolitik unterstützt, z.B. die unsinnige Entscheidung, jetzt das Renteneintrittsalters auf 67 Jahre zu erhöhen, oder zum Beispiel die Fortsetzung der Entgeltumwandlung zur betrieblichen Altersvorsorge. Sein Image hat sich in wenigen Tagen verändert. Er gilt jetzt als Hüter sozialdemokratischer Werte und hat gute Chancen, mit diesem Imagewandel im Rücken ein gutes bis sehr gutes Wahlergebnis auf dem SPD-Parteitag Ende Oktober zu erzielen. Vermutlich ist der Konflikt auch deshalb inszeniert worden.
Kurt Beck verliert bei dieser Gelegenheit ein bisschen an Zustimmung bei vielen Medien und zugleich an Image als sachorientierter Politiker. Das kann ihm aber ziemlich egal sein, weil es ihm in dieser Phase auf die breite Zustimmung des SPD-Parteitages und die Wiederbelebung des sozialdemokratischen Selbstbewusstseins und Wir-Gefühls ankommt. Sozialdemokraten halten sich nach soviel Drangsal der letzten Jahre an jedem Strohhalm fest. Auch die kleinste Veränderung der Agenda 2010 wie im konkreten Fall die Verlängerung der Bezugszeit von ALG1 für ältere Arbeitnehmer wird als Kurskorrektur „gefühlt“.
Franz Müntefering wird in diesem Konflikt von vielen Medien, von der Wirtschaft, vom Koalitionspartner und Fachleuten wie dem IAB als an der Sache orientierter Politiker gelobt, zwar als Sturkopf aber eben als gradlinig, als Anti-Populist. Nebenbei wird sein Lebenswerk, dessentwegen er seine Partei mit dem Antrag auf Neuwahlen aus der Kanzlerschaft katapultiert hat, die Schrödersche Reformpolitik, auch noch geadelt, nebenbei wird insinuiert oder offen behauptet, diese Reformen hätten uns den wirtschaftlichen „Erfolg“ gebracht; und dass der kleine Aufschwung ein wirklicher Aufschwung sei, wird auch noch in die Köpfe und Herzen gedrückt.
Müntefering profitiert also auch von diesem Konflikt, obwohl der Konflikt so aussieht, als wäre er gegen ihn gerichtet und als sei er ziemlich isoliert. „Wacker, aber einsam“ titelte der „Stern“, „Müntefering allein zu Haus“ ein anderes Blatt.
Da kann Franz Müntefering aber kräftig lachen. Von Einsamkeit kann keine Rede sein, jedenfalls nicht in der Runde, die über die Vorschläge von Beck entscheidet, wenn diese vom SPD-Parteitag verabschiedet worden sind. Dann sitzt man in der Koalitionsrunde und dann vielleicht im Kabinett, und dann hat Beck nicht einmal unter den SPD-Mitgliedern des Kabinetts eine Mehrheit. Und Beck selbst hat die Front gegen seinen Korrekturwunsch im Kabinett noch gestärkt, indem er neben Steinbrück auch noch Steinmeier als SPD-Vize und Barbara Hendrix als Schatzmeisterin zur Wahl vorgeschlagen hat.
Wenn dann die CDU/CSU nicht selbst zum Förderer der Beck’schen Korrekturen an der Agenda 2010 geworden ist, dann sind halt die Beschlüsse des SPD-Parteitages leider nicht durchzusetzen. Und Müntefering ist doch noch Sieger. Deshalb glaube ich auch nicht daran, dass er wegen des Konflikts mit Beck jetzt zurücktritt.
Kurt Beck wird darunter nicht sonderlich leiden. Er hat sein Bestes versucht – so der Eindruck, er gilt jetzt wieder als verlässlicher Sozialdemokrat, er hat den Frieden mit den Gewerkschaften wieder wenigstens ein bisschen hergestellt und er ist auf der Basis dieser Imageprägung überzeugend zum Vorsitzenden gewählt worden. Alles andere, dat rejelt sisch schon, würden die Kölner sagen.
Ich würde mich nicht wundern, wenn die nächsten Umfragen als Reflex auf den laufenden Konflikt Verbesserungen für die SPD, für Beck (jedenfalls bei den eigenen Wählern) und für Müntefering brächten. Warten wir es ab.
Aus früheren Konflikten wissen wir, dass dies funktioniert:
- So hat z.B. der konfliktgeladene Wettbewerb um die Kanzlerkandidatur der SPD zwischen Lafontaine und Schröder Anfang 1998 die Umfragewerte der SPD und der beiden Politiker spürbar nach oben gehievt.
- Ähnliches konnte man schon im Vorfeld der Landtagswahl von 1970 in NRW beobachten, als die beiden CDU-Politiker Lenz und Köppler erbittert um die
Spitzenkandidatur stritten. Der unbekannte Köppler wurde dadurch überhaupt erst richtig bekannt, er gewann das Rennen in seiner Partei und fast auch die Landtagswahl gegen den selbstsicheren und großen Favoriten Heinz Kühn von der SPD. - Auch der (schon vergessene) Wettbewerb zwischen Rudolf Scharping und Gerhard Schröder um den Parteivorsitz 1993 und damit um die Kanzlerkandidatur der SPD für die Wahl 1994, der über eine Mitgliederbefragung entschieden wurde, die als solche schon konfliktgeladen war, hat das Ansehen zumindest des Siegers Rudolf Scharping enorm steigen lassen. An diesem Beispiel kann man allerdings auch erkennen, wie schnell so etwas wieder verflogen sein kann.