Nach oben buckeln, nach unten treten.
Es folgt ein Kommentar von Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linkspartei. Das ist sozusagen der bittere Abschluss einer bittereren Woche für die Demokratie in Europa. Wenn Sigmar Gabriel oder sogar Angela Merkel ihre Gegenstimme bei uns erheben wollen, wir würden ihren Text auch einstellen. Albrecht Müller
Nach oben buckeln, nach unten treten.
Warum die schwarz-rote Bundesregierung kein Vertrauen verdient.
Die Kanzlerin spricht von zerstörtem Vertrauen zu Griechenland, weil die Regierung ein Referendum über weitere Kürzungsmaßnahmen abgehalten hat. Mit den USA verhandelt sie über geheime Verträge für ein Wirtschaftsabkommen, obwohl erneute Beweise für die massive Wirtschaftsspionage durch den US-amerikanischen Geheimdienst vorliegen.
Die Haltung der deutschen Bundesregierung ist an Scheinheiligkeit und Selbstsucht nicht zu überbieten.
von Bernd Riexinger
Vertrauen sei zerstört, die Brücken eingerissen, eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich – so blasen unisono Angela Merkel, Sigmar Gabriel derzeit die Backen auf. Ihr Adressat: Die vor fünf Monaten gewählte griechische Regierung. Der Vertrauensbruch besteht in ihren Augen darin, die griechische Bevölkerung zu befragen, ob diese weitere Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen als Auflagen gegen weitere Kredite akzeptiere. Das ist redlich, wurde die Regierung doch Ende Januar mit großer Mehrheit gewählt, um eben dieser Kürzungspolitik ein Ende zu setzen. Für diesen demokratischen Akt soll die griechische Regierung jetzt noch teurer bezahlen als seit Ausbruch der Schuldenkrise. Die Vertreter der Austeritätspolitik fragen sich, ob Griechenland überhaupt in der Lage sei, seine Schulden zurück zu zahlen. Die Antwort ist bekannt: Nein, Griechenland kann es nicht. Nicht nach sechs Jahren verfehlter Austeritätspolitik, die das Land immer tiefer in die Rezession getrieben hat. Nicht nach drastischen Lohn- und Rentenkürzungen, die die Konjunktur zusätzlich schwächen. Nicht nach umfangreichen Privatisierungen, die das Land weiterer Einnahmequellen berauben.
Das wissen Sigmar Gabriel und Angela Merkel sehr genau. Trotzdem verweigern sie sich rigoros der Realität und halten an ihrer Kaputtspar-Doktrin fest. So viel eklatante Geschichtsvergessenheit und ideologische Sturheit sind brandgefährlich.
Während der verbale Krieg gegen die griechische Regierung weiter geht, Ultimaten gestellt und Drohungen ausgesprochen werden, brachten diese Woche Union, SPD und Liberale mit überwältigender Mehrheit ihre Zustimmung zum geplanten Wirtschaftsabkommen TTIP mit den USA zum Ausdruck. Auf den ersten Blick haben die beiden Themen nichts miteinander zu tun. Zieht man jedoch die jüngsten Enthüllungen im Spionageskandal mit den USA hinzu, tun sich politische und psychologische Abgründe auf.
Obwohl bekannt wurde, dass der US-amerikanische Geheimdienst NSA nicht nur die jetzige Bundesregierung sondern auch die Regierungen Kohl und Schröder sowie Unternehmen systematisch ausspioniert hat, hält die Bundesregierung an dem umstrittenen Wirtschaftsabkommen mit den USA fest. Der Dauerverbündete, der große Bruder Amiland, dem sämtliche deutschen Kanzler blindes Vertrauen entgegenbrachten begeht Landesverrat und Wirtschaftsspionage. Und was tut die Bundesregierung? Kein Wort von Vertrauensbruch.
Mit dem geplanten Wirtschaftsabkommen TTIP erhalten Konzerne im Konkurrenzkampf um die besten Absatzmärkte riesige Macht bis hin zu Sonderschiedsgerichten, um Deutschland und die anderen EU-Staaten auf milliardenhohen Schadenersatz zu verklagen, sollten diese durch „hinderliche“ Maßnahmen wie Sozial- oder Umweltstandards dem Wettbewerb im Wege stehen. Dass die Verhandlungen um eine Öffnung des europäischen Binnenmarktes für die US-Konzerne vor dem Hintergrund, dass die Gegenseite den Europäern dank der gezielten Wirtschaftsspionage immer eine Nasenlänge voraus sind, scheint Union und SPD nicht im geringsten zu beunruhigen.
Die Kanzlerin sitzt den Skandal aus und behindert jegliche Aufklärung. Vermutlich ahnt sie, wie zwecklos jede Form der Kritik wäre und fürchtet, beim ‚großen Bruder‘ in Ungnade zu fallen. Wer so wenig Rückgrat und eigene Überzeugung hat, der buckelt nach oben und tritt nach unten. Kein Wunder dass der politische Widerstand der griechischen Bevölkerung in den Augen von Angela Merkel und Sigmar Gabriel wie ein kindischer Akt wirkt. Wer selber nicht für nichts einsteht und aufbegehrt, für den sind Begriffe wie Hoffnung und Wandel nur Worthülsen für den Sprechzettel beim nächsten Staatsakt.