Unsere Oberen fühlen sich wie Helden, weil sie gegen unseren Willen regieren
Es wird immer mehr zum Usus, dass unsere Führungseliten den Willen der Mehrheit missachten, gegen diesen Willen entscheiden und dann mit massiver Propaganda versuchen, die Menschen zu beeinflussen. Natürlich weiß ich auch, dass politische Entscheidungen nicht auf der Basis von Umfragen gemacht werden können. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der heute Mehrheitsmeinungen missachtet werden, ist schon bemerkenswert. Das gilt für die grundsätzliche Frage der Einstellung der Mehrheit der Menschen zu Sozialstaat und zu Solidarität in einer Gesellschaft. Die Mehrheit will das. Die Politik missachtet das. Es gilt dann für solche Fragen wie den Transrapid zur Flughafenanbindung in München. Die betroffenen Münchner spielen keine große Rolle. Siehe dazu unten Beispiel A. – Es gilt für die Linie von Arbeits- und Sozialminister Müntefering. Er macht aus der Missachtung der Wünsche der Mehrheit eine Tugend. Albrecht Müller.
Beispiel A: Transrapid
Ude plant Klagen gegen Transrapid
Der Münchner OB will ein breites politisches Bündnis aus Umweltschützern, Parteien und Organisationen schmieden, um gerichtlich den Bau der umstrittenen Magnetschwebebahn zu verhindern. Die Grünen kündigten an, ein Volksbegehren gegen die Zugtrasse zu prüfen. Die Freien Wähler wollen ein Bürgerbegehren lostreten.
Ude bezeichnet den Transrapid wegen der unkalkulierbaren Kosten zudem als “Milliardengrab”.
Quelle: FR
Beispiel B: Münteferings Strategie
Zunächst zu einem Interview im Stern vom August.
“Ich mache Politik für die Enkel”
Ein Mann zeigt klare Kante. Unser Kurs ist richtig, wir dürfen den Menschen nicht nach dem Mund reden, sagt Franz Müntefering. Im Stern spricht der Vizekanzler über Hartz IV und Heuschrecken, Merkel und Mindestlöhne, Geiz und Gerechtigkeit. Und, natürlich, über die Probleme der SPD.
Quelle: Stern
Auszug aus dem Stern-Interview (Heft 35/2007) mit Vizekanzler Franz Müntefering – ein kompakter Text zum Erkennen der eingeschlagenen Strategie der Meinungsmache:
Hartz IV, Unternehmensteuer, Rente mit 67 – überall haben Sie die Bürger gegen sich.
Wenn wir Politik nach Umfragen machen sollen, brauchen wir keine Politiker, dann brauchen wir Umfragen-Umsetzer. Ich bin aber Politiker. Wünsch dir was, das haut nicht hin. Wenn man von seiner Sache überzeugt ist, muss man dafür werben, andere überzeugen, dafür kämpfen. Politik muss auch führen.Und wenn sie in die Irre führt?
Ich bin nicht so vermessen zu sagen, dass ich mich nicht irren kann. Aber ich glaube, dass wir in allen Punkten, über die wir momentan diskutieren, dicht an der Wahrheit dran sind. Wir Politiker können und müssen unseren Auftrag auch annehmen und den Menschen sagen: Wir schlagen jetzt diesen Weg vor, er ist gut, vielleicht anstrengend, aber vernünftig, das sind die Argumente, kommt mit. Man trägt die Verantwortung nicht nur für vier Jahre. Die reicht viel weiter. Das ist vielleicht die größte Herausforderung in der Demokratie: den Mut zu haben, nachhaltige Politik zu machen, die über die Legislaturperiode hinausgeht. Für die Enkel.Auch auf die Gefahr der Abwahl hin?
So ist es. Aber die Sache funktioniert nicht so simpel.Sind Sie Schröders Nachlassverwalter?
Ich bin ich. Aber die Agenda 2010 war eine große historische Leistung von Gerhard Schröder. Viele haben keine Ahnung mehr, was das war. Das waren große Steuersenkungen, unten und oben, eine riesige Arbeitsmarktreform, Verbesserung der Kinderbetreuung, mehr Geld für Forschung und vieles mehr. Es tut sich auch eine ganze Menge. Mehr als die Hälfte der über 55-Jährigen sind in Beschäftigung, 1997 waren es nur 38 Prozent. Wir haben 700.000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr.Es nutzt der SPD nur überhaupt nichts.
Wenn man eine Rendite haben will, muss man auch sagen, dass die einem gehört. Dann muss man sich melden: Wir waren das, wir sind das! Das sollten wir ein bisschen lauter tun.Im SPD-Vorstand schämen sich stattdessen immer noch einige für Schröders Politik.
Aber immer weniger. Wir müssen diesen Weg weitergehen. Ein anderer Kurs wäre falsch für das Land – und auch für die Partei. Wir dürfen nicht zurückfallen in die teils strukturkonservative sozialdemokratische Politik der 70er Jahre. Wir müssen den sozialen Fortschritt suchen. Das war und ist Markenzeichen der SPD. Leider haben das nicht alle bei uns verstanden, Teile der Gewerkschaften auch nicht, und in der Union wollen sich auch viele Konservative wieder einen schlanken Fuß machen.
Soweit Auszüge aus dem Interview Münteferings mit dem „Stern“.
Wir sehen, die Rücksichtslosigkeit gegenüber den Wünschen der Mehrheit der Menschen wird in Tugenden umgewandelt: Vorsorge für die Zukunft, klare Kante, Verantwortung und dann die inzwischen geläufige Behauptung, Schröders Agenda 2010 hätte uns etwas gebracht, sie sei eine „historische Leistung“ gewesen.
Es ist nicht auszuschließen, dass eine solche Übertreibung verfängt. Bei einer solchen Übertreibung arbeiten die Absender mit einem psychischen Mechanismus. Die Adressaten reagieren etwa so: na ja, der soll mal nicht übertreiben. Aber es bleibt bei ihnen hängen, die Agenda 2010 sei doch ganz gut gewesen.
Natürlich arbeiten unsere Führungseliten mit massiver Propaganda daran, die Mehrheit der Menschen nachträglich umzudrehen. Umso wichtiger ist es, auf diese Strategien und Mechanismen hinzuweisen. Nutzen Sie zum Beispiel die Dauerpropaganda der Bundesregierung auf vielen Feldern, um in Ihrem Umfeld das Wissen über diese Propaganda und die dahinter steckenden Strategien zu verbreiten.
Hier noch zwei Links zu einem der letzten Beispiele der Propaganda von Müntefering für die Rente mit 67:
Quelle 1: Bundesministerium für Arbeit und Soziales – Gemeinschaft der Generationen
Quelle 2: Bundesministerium für Arbeit und Soziales – Gemeinschaft der Generationen / Plakat [PDF – 472 KB]