Atypisch Beschäftigte sind vielfach benachteiligt – auch im Privatleben?

Jens Berger
Ein Artikel von:

Eine Studie [PDF] von WissenschaftlerInnen des Forschungszentrums Familienbewusste Personalpolitik (FFP) in Münster hat nachzuweisen versucht, dass und wie die Arbeit in atypischen Beschäftigungsformen sich auch nachteilig auf das Privatleben auswirkt. Das ist ihnen nur teilweise gelungen. Von Markus Krüsemann [*]

Leiharbeit, Minijobs, befristete und (unfreiwillige) Teilzeitbeschäftigung, all diese atypischen Beschäftigungsformen haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer stärker ausgebreitet. Je nach Betrachtungsweise (le Bohémien vom 4. Mai 2015) arbeiteten im Jahr 2013 bereits 21,4 Prozent der Kernerwerbstätigen bzw. 38,6 Prozent aller abhängig Erwerbstätigen in Jobs jenseits des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses (unbefristete, sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung außerhalb der Leiharbeit).

Nun ist es ja nicht so, dass sich hinter der Definition der atypischen Beschäftigung nur ein abstrakter Schubladen- oder Sammelbegriff verbirgt (von Residualkategorie kann man angesichts des Ausmaßes solcher Beschäftigungsformen ja längst nicht mehr sprechen), um Erwerbstätige unterschiedlichen Arbeitsarten zuzuordnen. Für die Betroffen sind die vom Standard abweichenden Erwerbsformen mit handfesten materiellen und auch immateriellen Nachteilen verbunden.

Auf die materiellen Nachteile ist bereist in vielen Studien hingewiesen worden. Das fängt schon beim Verdienst an: Die Einkommen von atypisch Beschäftigten liegen im Mittel deutlich unter jenen von Normalarbeitnehmern, ja fast die Hälfte der atypisch Beschäftigten hatte etwa 2010 für einen Niedriglohn gearbeitet. Ein von existentieller Not freies Leben rückt da für viele atypisch Beschäftigte in weite Ferne.

Weitere materielle Nachteile konnten in Bezug auf die Integration in die sozialen Sicherungssysteme und im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung nachgewiesen werden. Auch bei Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements oder bei der Förderung beruflicher Qualifikationen und Kompetenzen stehen atypisch Beschäftigte hintenan.

Immaterielle Nachteile atypischer Beschäftigung weit weniger bekannt

Weniger Beachtung fanden bisher die immateriellen Nachteile, die atypisch Beschäftigte sowohl im Arbeitsleben (etwa durch höhere Arbeitsbelastungen und geringeren Arbeitsschutz, siehe 15.09.2014), als auch im Privatleben erfahren. Eine Untersuchung von WissenschaftlerInnen des Forschungszentrums Familienbewusste Personalpolitik (FFP) in Münster hat hier angesetzt und danach gefragt, welchen Einfluss atypische Beschäftigungsverhältnisse auf Partnerschaft und Familie, soziale Netzwerke oder die gesellschaftliche Teilhabe haben. Wie sich zeigte, wirkt sich das Arbeiten jenseits der „Norm“ durchaus auch auf das Privatleben aus – wiewohl ein Nachweis der Zusammenhänge nur partiell gelingt.

Die Hans-Böckler-Stiftung, die die Studie gefördert hat, schreibt dazu in einer Pressemitteilung, wer atypisch beschäftigt ist, müsse mit zahlreichen Nachteilen leben, auch im Privatleben, wobei die damit verbundenen Risiken vor allem Frauen trügen. Die VerfasserInnen der Studie sprechen da lieber etwas differenzierter von einem komplexen Zusammenhang zwischen atypischer Beschäftigung und privatem Lebenszusammenhang. Schließlich unterschieden sich mit der heterogenen Struktur der einzelnen Beschäftigungsformen auch die Effekte atypischer Beschäftigung auf die untersuchten Lebensbereiche „Partnerschaft & Familie“ sowie „Netzwerke & Partizipation“.

Durchaus heterogen sind denn auch die in der Studie präsentierten Ergebnisse für die vier analysierten Dimensionen Trennung, Kinderbetreuung, Soziale Netzwerke und Mitgliedschaft in Gewerkschaften und Betriebs- bzw. Personalräten. Kurz gefasst lauten sie wie folgt:

  • Trennungsrisikos von Paaren:
    Von den meisten atypischen Beschäftigungsformen geht kein maßgeblicher Effekt auf das Trennungsrisiko von Paaren aus. Lediglich bei der Leiharbeit konnte ein trennungsfördernder Einfluss bei Frauen und Männern in nichtehelichen Lebensgemeinschaften beobachtet werden.
  • Qualität des sozialen und familialen Netzwerks:
    Auch die Unterstützungsleistungen aus den persönlichen Netzwerken werden kaum von der Beschäftigungsform beeinflusst. Diese hängen eher von soziodemograpfischen Faktoren wie dem Geschlecht und dem Partnerschaftsstatus ab.
  • Mitgliedschaft in Gewerkschaften bzw. Betriebs- und Personalräten:
    Hier konnte nachgewiesen werden, dass atypisch Beschäftigte gegenüber Normalbeschäftigten in beiden Mitgliedschaftsformen geringere Organisationsgrade aufweisen, wobei dieser Effekt umso stärker ist, je größer die Abweichung der Beschäftigungsmerkmale vom Normalarbeitsverhältnis ist.
  • Zeitverwendung für die Kinderbetreuung:
    Auch hier zeigten sich deutliche Zusammenhänge: Beschäftigte in Teilzeit oder Minijobs investieren deutlich mehr Zeit in die Betreuung von Kindern, wobei diese Arbeit vor allem Frauen leisten. Das klingt zunächst positiv, doch, so die WissenschaftlerInnen, zeige sich hier ein ambivalenter Charakter von atypischer Beschäftigung. Einerseits böten Formen mit reduzierter Stundenzahl mehr Zeitsouveränität und Flexibilität, andererseits würden sie mit hohen Prekaritätsrisiken wie etwa einer mangelnden finanziellen Absicherung und brüchigen Erwerbsverläufen einhergehen.

Zusammenfassend muss konstatiert werden, dass es den ForscherInnen nur in begrenztem Maße gelungen ist, die Effekte atypischer Beschäftigung auf das Privatleben nachzuweisen. Für die nur bedingt aussagekräftigen Befunde dürfte nicht unwesentlich das Forschungsdesign mit verantwortlich sein. Auswirkungen materieller Erwerbsverhältnisse auf soziale Lebenswelten mögen zwar messbar sein. Statt eines quantitativen, auf deskriptiven wie auch multivariaten Analysen fußenden Ansatzes hätte ein qualitatives auf Fallstudien und Interviews beruhendes Erhebungsverfahren vermutlich aussagekräftigere und plastischere Zusammenhänge zu Tage gebracht.

Letztlich steht der Nachweis privater Benachteiligung auf eher schwachen Füßen. Folgt man den Ausführungen im Ergebnisbericht, so verdichtet sich Absatz für Absatz der Eindruck, dass das Privatleben atypisch Beschäftigter von der oftmals prekären Erwerbssituation in Mitleidenschaft gezogen wird. Die genaueren Zusammenhänge bleiben aber weitgehend im Dunklen. Sie bedürfen noch weiterer Nachforschungen.


[«*] Markus Krüsemann ist Soziologe am Institut für Regionalforschung, Göttingen und Betreiber des Infoportals miese-jobs.de.