Der internationale Tag zur Unterstützung der Folteropfer – die Tartüfferie „des Westens“
„Ich bleibe dabei, dass Menschenrechte immer und überall gelten müssen. Warum? Weil Unfreiheit, Folter und bittere Armut jeder Frau und jedem Mann auf der ganzen Welt weh tun“, gab sich Bundespräsident Gauck in einem Interview im März 2014 gegenüber dem Spiegel kämpferisch und kategorisch. Damals bezog sich seine Äußerung vor allem auf China. Neun Monate später wurde der sogenannte CIA-Folterreport veröffentlicht und seitdem schweigt der moralischste Bundespräsident aller Zeiten dazu. Von Sascha Pommrenke [*]
Gauck befindet sich dabei aber in bester Gesellschaft. Die Bundeskanzlerin hat sich angesichts der Schwere der Taten nur zu einem Zwei-Sätze-Statement gegenüber dem Infotainmentsender N24 bewogen gefühlt. Solch Auswüchse hätte sie nicht erwartet und sie sei „genauso erschüttert wie viele Amerikanerinnen und Amerikaner.“ Eine erforderliche Strafverfolgung „wird Amerika auf die notwendige Art und Weise auch tun.“ Nein, werden die US-Amerikaner nicht. Und auch Deutschland wird keine Strafverfolgung vornehmen. Der Generalbundesanwalt hat lediglich ein Prüfverfahren eröffnet und ein „Zeitrahmen für den Abschluss der Prüfungen kann gegenwärtig nicht valide prognostiziert werden.“ Was nach einem Ermittlungsverfahren klingt, ist geradezu das Gegenteil.
„In sogenannten Prüfverfahren werden Sachverhalte erfasst, die zwar auf eine gemäß § 120 GVG [Gerichtsverfassungsgesetz] in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft fallende Straftat hindeuten, die aber noch keine oder nicht genügende Tatsachen für eine abschließende Bewertung eines Anfangsverdachts für eine solche Straftat enthalten,“ lässt die Bundesanwaltschaft mitteilen. „Im Rahmen dessen werden alle Informationen herangezogen, die außerhalb strafprozessualer Maßnahmen gewonnen werden können. Hierzu zählen beispielsweise die öffentliche Berichterstattung ebenso wie Erkenntnisse anderer Behörden.“
Ob sich die Generalbundesanwaltschaft also mit Verbrechen gegen die Menschheit beschäftigen wird, hängt davon ab, was unter anderem die transatlantischen Alphajournalisten zusammentragen. Und das obwohl der UN-Sonderberichterstatter für Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, Ben Emmerson, noch einmal betont hat, dass „Folter ein Verbrechen ist, das der universellen Gerichtsbarkeit untersteht“.
Die ehemaligen beigeordneten UN-Generalsekretäre und Koordinatoren für humanitäre Fragen der Vereinten Nationen für den Irak, Hans-Christof von Sponeck und Denis Halliday, haben eine Petition gestartet, um die Strafverfolgung doch noch zu forcieren. Sollten die USA dem nicht nachkommen, so „werden andere internationale Organisationen wie der Internationale Strafgerichtshof gemäß Völkerrecht die Pflicht haben, sicherzustellen, dass dem Recht genüge getan wird.“
Heute ist der internationale Tag zur Unterstützung der Folteropfer. Der Tag soll an die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen erinnern, die am 26. Juni 1987 in Kraft trat. Es könnte ein Tag sein, am dem sich die „westliche Gemeinschaft“ gegenseitig ihrer Werte versichert und die Menschenrechte als universalistisches Gemeingut aller Menschen einfordert. Ein solcher Tag ist es aber nicht. Die Menschenrechte, als gemeinsame Werte, die viele Menschen weltweit miteinander teilen, spielen für mächtige Entscheider, Weltenlenker und Gewaltprofiteure keine Rolle.
Der CIA-Folterreport, den der US-Senat im Dezember vergangenen Jahres veröffentlicht hat und der seit Mitte Januar 2015 auch in deutscher Übersetzung erhältlich ist, ist ein Dokument der Schande. Wolfgang Nešković, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof und Herausgeber des Reports, schreibt in der Einleitung: „Der Folterbericht beschäftigt sich mit den grausamen Menschenrechtsverletzungen durch einen Geheimdienst, der einem Staat angehört, der ein Rechtsstaat sein will – jedoch im Praxistest versagt.“
Zwar sind die wesentlichen Erkenntnisse, die im Bericht genannt werden nicht neu, UN-Sonderberichterstatter, Nichtregierungsorganisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das europäische Parlament und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatten die meisten Folterpraktiken und Menschenrechtsbrüche bereits Jahre zuvor publik gemacht. Doch wie Amnesty International zu Recht hervorhebt, „kommt der Beleg [nun] vom eigenen Parlament“. Und das macht den Report zusammen mit seiner Detailfülle zu einem unverzichtbaren historischen Dokument.
So unfassbar die Folterungen auch sind, die der Bericht schildert, muss man sich vergegenwärtigen, dass dies die Tatsachen sind, die Geheimdienst und Politik für veröffentlichbar hielten. Aktuelle Erkenntnisse, bekannt geworden durch das Folteropfer Majid Khan, weisen darauf hin, dass die Folterpraktiken weit über die Angaben im Bericht hinausgingen. Vergewaltigung, tagelanges an einen Holzbalken aufhängen, Ertränken bis zum „point of death“, fast ein Jahr (!) in Dunkelheit verbringen und mehrere Jahre Isolationshaft sind die neuesten Grausamkeiten.
Dabei ist die CIA offiziell für die wenigsten Gefangenen (etwas über 100) verantwortlich gewesen. Über die weitaus brutaleren Folterungen der Kommandosoldaten des Joint Special Operations Command ist nur sehr wenig bekannt. Hier hat kein Untersuchungsausschuss nachgeforscht, hier kennt niemand die Verschleppten (bis zu 27.000), Gefangenen, Gefolterten und Ermordeten. Damit nicht genug haben die USA Folter und Verschleppung privatwirtschaftlich ausgelagert. Zivile „Interrogator“ haben in Abu Ghraib gefoltert. Und zahllose Black Sites sind uns völlig unbekannt. Was in dem Geheimgefängnis auf Diego Garcia geschieht, weiß niemand genau. Und es scheint weder die Bundesregierung noch die meisten Abgeordneten zu interessieren.
Bundesregierung, Sicherheitsexperten, Innen- und Außenpolitiker reden gerne von der wehrhaften Demokratie. Deutschland wird eine neue Macht und damit einhergehend eine neue Verantwortung zugesprochen. Wenn es überhaupt jemals Sinn macht davon zu reden, dann in diesem Zusammenhang: die Einhaltung der Menschenrechte für alle Menschen zu jeder Zeit an jedem Ort muss verteidigt werden, auch und vor allem gegen jedes nationale und hegemoniale Interesse der US-amerikanischen Verbündeten. Die Verhinderung, Ächtung und Strafverfolgung von Folter muss das Ziel eines jeden demokratischen Rechtsstaates sein. Wenn das nicht gewährleistet werden kann: Welche Werte will der Westen dann überhaupt verteidigen?
[«*] Sascha Pommrenke hat an der Leibniz Universität Hannover Soziologie, Sozialpsychologie und Politikwissenschaft studiert. Aktuell erscheint auf „Telepolis“ seine Artikelserie zum Terrorismus der westlichen Welt.