Vierte Gewalt: Deutschland verhaftet Al-Jazeera
Am Samstag, 20. Juni, wird Al-Jazeera Starjournalist Ahmed Mansour auf dem Flughafen in Tegel kurz vor seinem Abflug nach Doha verhaftet. Ihm werden Rechtsbrüche in Ägypten vorgeworfen, es liegt ein Auslieferungsantrag für den Moderator der politischen Talk-Sendung im gesamten arabischen Raum schlechthin „Bila Hoodod“ (Ohne Grenzen) vor. Dr. Sabine Schiffer war 2010 in seiner Sendung zu Gast, als sie wegen Interviewäußerungen im Mordfall Marwa El-Sherbiny juristisch verfolgt wurde. Obwohl sie inzwischen Kritik an der Entwicklung des katarischen Staatssenders Al-Jazeera übt, nimmt sie für die Presse- und Meinungsfreiheit Stellung und lobt sogar die deutschen Medien, die in dieser Sache ihre Rolle als Vierte Gewalt wahrnehmen. Von Sabine Schiffer[*].
Die Nachricht geht um die Welt: Der renommierte Al-Jazeera Journalist und Moderator Ahmed Mansour wird in Deutschland verhaftet, auf Geheiß des ägyptischen Regimes. Nachdem unsicher ist, ob wirklich ein internationaler Haftbefehl von Interpol gegen ihn vorliegt, wie zunächst verlautbart wurde, wird deutlich, dass es sich wohl eher um eine Gefälligkeit gegenüber Ägypten handelt. Dort wurde Mansour in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er unter anderem an einer Folterung beteiligt gewesen sein soll. Ein undeutliches Video kursiert durchs Internet und die ägyptische Gesellschaft ist gespalten – wie eh und je, seit der gewaltsamen Absetzung des gewählten Präsidenten und Muslimbruders Mohamed Mursi. Der den Muslimbrüdern nahestehende Sender Al-Jazeera ist zum Feindbild für das Regime Al-Sisis geworden.
Nun verhält sich die deutsche Regierung – und ist dabei nicht allein – im Nahen Osten konstant opportun. So wie einst Diktator Hosni Mubarak hofiert wurde, hofiert man heute seine Nachfolger. Und derlei gilt nicht nur für Ägypten: Auch der reaktionärste Staat im Nahen Osten, Saudi-Arabien, steht auf der Liste der „Stabilitätsfaktoren“ in diesem Raum. Diese Form von „Pragmatismus“ bewegt sich bereits hart jenseits der Grenze zur Unglaubwürdigkeit: Mit der Verhaftung Mansours und der Prüfung einer möglichen Auslieferung in ein Land mit Willkürjustiz und Todesstrafe verspielt das einst angesehene Deutschland seinen letzten Rest Glaubwürdigkeit in den arabischen Ländern.
Ein internationaler Sturm der Entrüstung ergießt sich derzeit auf die hiesigen Behörden – und zwar sowohl in etablierten als auch in den sogenannten sozialen Medien. Und auch in Deutschland reagieren die Medien vorbildlich ganz im Sinne einer Vierten Gewalt. Denn natürlich geht es nicht um die Prominenz des Verhafteten oder das Teilen seiner Meinung. Es geht um die grundsätzliche Möglichkeit journalistisch zu arbeiten. Mansour hat neben der ägyptischen auch die britische Staatsangehörigkeit. Schnell wurde vielen klar, dass ein Verfahren, wie das aktuelle, die Medien und den Journalismus insgesamt trifft. Denn, wenn ein vielleicht unliebsamer Journalist als Freundschaftsdienst für ein umstrittenes Regime von rechtsstaatlichen Behörden in Deutschland interniert und eventuell sogar ausgeliefert wird, ist das das Ende der Meinungs- und Pressefreiheit. Dies widerspricht der Verpflichtung eines demokratischen Staates Presse- und Meinungsfreiheit zu schützen.
Ahmed Mansour hat in Berlin Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik interviewt, der dessen Verhaftung nun empört in diversen Medien kommentiert (Süddeutsche Zeitung, DLF). Er macht deutlich, dass von einer politisch motivierten Verfolgung Mansours ausgegangen werden muss und sieht Parallelen zu einem Urteil gegen einen Vertreter der Konrad-Adenauer Stiftung in Ägypten. Er verweist zudem auf den außenpolitischen Schaden, den der Vorgang bereits angerichtet hat.
Reporter ohne Grenzen, der Deutsche Journalistenverband und auch Politiker und alle großen Medien sowie viele in den sogenannten sozialen Netzwerken beteiligen sich an der Empörungswelle und warnen vor einer Auslieferung Mansours in einen Unrechtsstaat. Sie fordern stattdessen Aufklärung darüber, wie es zu dieser Verhaftung kommen konnte. Auf Twitter machen jedoch auch die Gegner des Verhafteten bereits mobil – unter dem Hashtag #Ahmed_Mansour_Verbrechers.
Einen klugen Kommentar veröffentlichte Martin Gehlen im Berliner Tagesspiegel unter dem Titel „Ist Deutschland Ägyptens Handlanger?“. Er stellt die Verhaftung und das Schweigen der Regierung gegenüber der Menschenrechtssituation in Ägypten in den Kontext der Milliardengeschäfte, die infolge des Al-Sisi-Besuchs in Berlin vereinbart wurden.
Unsere Medien geben in dieser Sache insgesamt ein gutes Bild ab und kritisieren einhellig das Vorgehen, das nur allzu sehr nach Küngelei aussieht. Wenn auch an der ein oder anderen Stelle die Bilder und Bildunterschriften die Sache ins Religiös-Politische zu verschieben trachten, wie etwa in der SZ vom 21. Juni, wo es über einem differenzierten Text neben dem Foto einer Protestaktion in Berlin heißt: „Unterstützer der Muslimbrüder demonstrieren in Berlin für die Freilassung von Ahmed Mansour.“. Durch die zunehmende Reduktion der Berichterstattung auf die Verlautbarung des Justiz- und Außenministeriums, dass man Zweifel an einer Auslieferbarkeit Mansours aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit Ägyptens und der Existenz der Todesstrafe dort habe, droht der Internierte in der Wahrnehmung dennoch kriminalisiert zu werden. Dieser Duktus verbleibt auch in der Meldung, dass Mansour nun doch bald frei komme.
Die Frage, die sich jetzt stellt, ist: Wie kann sich die deutsche Justiz aus dieser Peinlichkeit wieder herauswinden? Laut Spiegel Online vom 21. Juni, der sich auf eine Videobotschaft Mansours bezieht, sei die Verhaftung keine Reaktion auf eine Anfrage von Interpol, sondern basiere vermutlich auf einer Absprache zwischen deutschen und ägyptischen Behörden. Dann ist es, wie Mansour selbst in seiner Stellungnahme sagt: „Wenn das stimmt, wäre es eine Schande für Deutschland.“
[«*] Dr. phil. Sabine Schiffer hat zur Islamdarstellung in den Medien promoviert. 2005 gründete sie das Institut für Medienverantwortung, das sie seither leitet. Sie doziert und publiziert zu den Themen: „Vierte contra Fünfte Gewalt“, Kriegsmarketing, Stereotype im Mediendiskurs sowie Medienbildung.