Die taz und ihre doppelten Standards
Wenn Dominic Johnson, Ressortleiter „Ausland“ bei der taz, sich so richtig aufregt, ahnt man als regelmäßiger Leser der Tageszeitung bereits, dass es nun peinlich wird. So auch gestern, als Johnson in seiner gewohnt arroganten „Weißer-Mann-Überheblichkeit“ scharf gegen Südafrika und den dort regierenden ANC austeilte. Wie meist, wenn Johnson sich echauffiert, geht es dabei um Menschenrechte im Allgemeinen und die Verletzung von Menschenrechten durch Staaten, denen der Westen nicht wohlgesonnen ist, im Speziellen. Dabei vergisst er jedoch, dass die südafrikanische Diplomatie auch in Deutschland zum „guten Ton“ gehört und ein kritisches Hinterfragen der internationalen Strafgerichtsbarkeit sucht man in der taz ohnehin vergebens. Von Jens Berger.
Was war passiert? Momentan findet in Johannesburg ein Gipfeltreffen der Afrikanischen Union (AU) statt. Da einige afrikanische Staatschefs in anderen Ländern juristisch verfolgt werden, hat Südafrika allen anreisenden Teilnehmern diplomatische Immunität zugesichert – darunter auch dem sudanesischen Präsidenten al-Bashir, gegen den ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) vorliegt. Dass al-Bashir vor den Internationalen Strafgerichtshof gehört, ist unumstritten und soll hier auch nicht zur Debatte stehen. Ginge es nach dem Willen der taz, hätte Südafrika nun einer gerichtlichen Verfügung stattgeben sollen und den sudanesischen Präsidenten trotz zugesicherter Immunität verhaften sollen. Ok, man könnte sich vortrefflich darüber streiten, ob ein solches Vorgehen – immerhin geht es ja um schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit – geboten wäre. Aber bitte nicht in diesem arroganten Ton, den Johnson in der taz anschlägt: „Mandela würde sich im Grabe umdrehen“, der ANC würde „das Recht mit Füßen treten“, man zeige keinen „Respekt vor dem Gesetz und Pflege der Rechtsstaatlichkeit“. Ja, so ist er halt, der Afrikaner. Aber wie sieht es denn bei uns aus?
Im Mai 2005 eröffneten Truppen in der usbekischen Stadt Andischan das Feuer auf Demonstranten und töteten dabei mehrere hundert Männer und Frauen. Hauptverantwortlich für das „Massaker von Andischan“ war der ehemalige usbekische Innenminister Zakir Almatow, der kurze Zeit später sogar von der EU mit einem Einreiseverbot sanktioniert wurde. Im Dezember 2005 reiste Zakir Almatow dennoch zu einem Krankenhausaufenthalt nach Deutschland ein. Human Rights Watch erstattete in Deutschland Anzeige, doch der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm lehnte die Aufnahme offizieller Ermittlungen ab. Seine Begründung: Die offizielle Einladung der Bundesrepublik Deutschland gewähre Almatow Immunität. Nach dem „Universalitätsprinzip“ hätten die deutschen Behörden in diesem Fall übrigens die Ermittlungen aufnehmen müssen, da Usbekistan nicht zu den Staaten gehört, die das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs umgesetzt haben. Dieses Beispiel ist somit eins zu eins mit dem Fall al-Bashir/Südafrika vergleichbar. Dreht sich nun Konrad Adenauer in der taz im Grabe um? Zeigt Deutschland für die taz auch keinen „Respekt vor dem Gesetz und Pflege der Rechtsstaatlichkeit“. Nein. Quod licet Iovi, non licet bovi – wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.
An dieser Stelle wäre es auch angebracht gewesen, die internationale Strafgerichtsbarkeit generell einmal kritisch zu hinterfragen. Der ICC ist – das war wohl auch der Sinn der ganzen Veranstaltung – in der Praxis ein „Afrika-Gerichtshof“. Sämtliche Verfahren des ICC waren bis dato gegen afrikanische Staaten gerichtet. Es gab kein ICC-Verfahren gegen die USA wegen ihrer Straftaten gegen die Menschlichkeit im Irak, in Afghanistan und zahlreichen anderen Staaten. Auch gegen Israel wurde noch nie wegen der Verbrechen in Gaza oder im Libanon ermittelt. Und selbstverständlich werden auch die Verbrachen in der Ostukraine nie vor dem ICC untersucht werden. Während zahlreiche afrikanische Staaten die ICC-Statuten verabschiedet haben, erkennen sowohl die USA, als auch Israel und die Ukraine den ICC nämlich nicht an – auch China und Russland gehören übrigens zum Klub der ICC-Verweigerer.
Doch nicht nur das. Die USA haben sogar zahlreiche bilateraler Verträge abgeschlossen, die anderen Staaten untersagen, US-Bürger an den ICC zu überstellen. Der American Service-Members’ Protection Act ermächtigt den US-Präsidenten sogar implizit dazu, eine militärische Befreiung von US-Staatsbürgern vorzunehmen, die sich in Den Haag vor dem ICC verantworten müssten. US-Behörden ist es ferner verboten, mit dem ICC in welcher Form auch immer zusammenzuarbeiten und sämtlichen Nicht-NATO-Staaten kann die US-Militärhilfe gestrichen werden, wenn diese das ICC-Statut ratifizieren.
Das Alles interessiert Dominic Johnson von der taz jedoch nicht. Dafür ist Johnson jedoch stets ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, „dem Afrikaner“ die Segnungen „westlicher Werte“ beizubringen – also die Einhaltung von Standards, die der Westen von anderen Staaten fordert, aber selbst nicht einhält. Aber es ist ja nicht neu, dass die taz, die sich selbst für emanzipatorisch hält, beim Thema Afrika in eine längst vergessen geglaubte Kolonialherren-Denke zurückfällt.