Gutes Investitionsklima dank Pegida?
Seitdem die Dresdener Rechtspopulisten der Pegida mit Tatjana Festerling eine neue Frontfrau haben, schält sich immer deutlicher eine klare Agenda für die „Bewegung“ heraus: Freie Bahn für Investoren! Von Hermann Ploppa
Die Szenerie ist noch wie in besseren Tagen. Kommt man über die Dresdener Augustusbrücke an jenem erstmalig warmen Frühlingsmontag, schallt einem am Schloßplatz das Deutschlandlied aus rauen Männerkehlen entgegen. Handys werden als Leuchtfeuer anstelle von Feuerzeugen hochgehalten. Manche Leute schauen beseligt in sich hinein. Deutsche Fahnen werden geschwenkt, aber auch einige israelische Fahnen sind zu sehen.
Es ist wieder ein bisschen mehr los bei den Montagsdemonstrationen der rechtspopulistischen Pegida. Da steht Lutz Bachmann irgendwo auf dem berühmten Pritschenwagen. Eine Frau mittleren Alters liest das selbstgefertigte Gedicht einer 85-jährigen ehemaligen Lehrerin. Es beginnt mit den klassischen Zeilen aus Heinrich Heines Wintermärchen: „Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht …“ Um dann mit holpriger Eigenreimung ohne jedes Versmaß und ohne jede Melodie den Verlust der deutschen Identität und den Vormarsch des muslimischen Kopftuches zu beklagen.
Doch man kann jetzt auch ganz anders. Da hängen große Plakate mit dem neuen Shootingstar von Pegida, nämlich derselben Tatjana Festerling, die gerade das verkrümmte Heine-Gedicht vorzutragen wusste. Von einer professionellen Werbeagentur hergestellt. Perfekt ausgeleuchtet und photographiert. Dieselben Plakatmotive auch als Din A 3-Plakate und als Handzettel. Festerling mit schicker Lederjacke. Oder Festerling in Jeansjacke, die Sonnenbrille sportlich in die Haare geklemmt. Sie zeigt auf das Dresdner Elbtal mit seinem Häusermeer. Dazu das Motto: „Klar zur Wende!“ Wende 2.0?
Tatjana Festerling ist ein Wessi-Import. Sie hatte ihren beruflichen Weg in Hamburg gemacht, war in der Öffentlichkeitsabteilung des Eisenbahnunternehmens Metronom beschäftigt. Engagierte sich in der Hamburger Ortsgruppe der Alternative für Deutschland. Als sie jedoch erklärte, sie ziehe vor Hooligans respektvoll den Hut, kam sie einem Rauswurf aus der AfD durch ihren Austritt zuvor. Da traf es sich gut, dass in der sächsischen Hauptstadt Dresden gerade Oberbürgermeisterwahlen sind. Pegida hatte die bisherige Frontfrau Kathrin Oertel verloren. Wer die Idee hatte, Tatjana Festerling nach Dresden zu holen als neue Pegida-Frontfrau und zudem Pegida einen neuen Aufmerksamkeitsschub durch die Teilnahme an den Oberbürgermeisterwahlen am 7. Juni dieses Jahres zu verschaffen, bleibt unklar.
Auf jeden Fall ist die Gewinnung von Frau Festerling für Pegida ein cleverer Schachzug. Zum einen wird der Eindruck vermieden, bei Pegida handele es sich um einen abgeschlafften Macho-Verein. Zum anderen hat Pegida mit Festerling eine Exponentin, die nicht immer nur das negative betont: die Abwehr gegen Flüchtlinge, die Abwehr gegen alles Undeutsche. Stattdessen ist Frau Festerling die Erste, die bei Pegida unmissverständlich sagt, wofür sie eintritt. So ist auf einem Handzettel zu lesen: „Klar zur Wende: Wir schaffen ein freundliches Klima für Investoren in Dresden!“ Die rot-rot-grüne Stadtregierung bremse viel versprechende Investitionen aus.
In der Tat gibt es eine Menge großer Bauvorhaben in Dresden, die massiv umstritten sind in der Bevölkerung. Festerling macht sich bemerkenswerterweise sogar für Großinvestitionen stark, die von der Dresdner Bevölkerung einhellig abgelehnt werden. Da ist z.B. der alte Leipziger Bahnhof, ein seit Jahrzehnten vernachlässigtes Ruinengelände. Im Jahre 2009 hatte der Dresdner Stadtrat einen Masterplan für das Gelände zwischen der Neustadt und dem Stadtteil Pieschen entwickelt, um die Baulücke durch eine Mischung von Wohnraum, Einzelhandel und Grünflächen zu schließen. Jedoch wurde das Gelände von der Handelskette Globus erworben, um einen Großmarkt zu bauen, der de facto die urbane Mischkultur verhindert und bereits bestehende Einzelhändler platt machen würde. Gegen dieses Globus-Projekt hatte sich ein breites Bündnis betroffener Bürger in der Allianz für Dresden zusammengeschlossen. Die Kommunalwahl von 2014 brachte im Stadtrat eine klare linke Mehrheit, die dem Globus-Projekt durch eine präzisierte Version des Masterplans einen Riegel vorschieben will. Doch die Globus-Gruppe hat ihre Pläne noch nicht aufgegeben, und findet nun in der Pegida-Kandidatin eine seltsame politische Bundesgenossin. In ihrer Pegida-Wahlwerbung agitiert Festerling quasi als Public-Relations-Mitarbeiterin von Globus: „Der alte Leipziger Bahnhof ist ein erhaltenswertes Kulturgut und muss vor dem Verfall bewahrt und restauriert werden.“, was Globus mit der Ausgabe von 15 Millionen Euro in die Hand nehmen werde, und dabei 300 Arbeitsplätze schaffen wolle. Der suggestive Text soll vergessen machen, dass die Sanierung bereits in der Planung war, bevor Globus das Gelände erworben hat. Festerling dürfte in dieser Frage nicht einmal bei ihrer eigenen Anhängerschaft auf Begeisterung stoßen. Umfragen zeigen, dass die Dresdner Bürger mehrheitlich gegen die Globus-Investitionen sind.
Auf ähnlich empfindliches Gelände tappt Festerling, wenn sie sich stark macht für das Nobelprojekt „Marina Garden“. Eine Investorengruppe will am Dresdner Elbeufer 244 Luxus-Appartements errichten. Damit wäre die Öffentlichkeit vom Zugang zur Elbe abgeschnitten. Da augenblicklich noch ein öffentlicher Radweg über das 2014 von der Investorengruppe erworbene Grundstück führt, hatte die Geschäftsführerin der Investoren, die Architektin Regine Töberich, mit einem Bagger den Radweg zerstören lassen – wie sich herausstellte, erwischte ihr Baggerführer allerdings versehentlich einen Radweg-Abschnitt, der der Stadt gehört. Der Stadtrat denkt nach dieser Posse über eine Enteignung des Grundstücksabschnitts nach, auf dem sich der Radweg befindet.
Die beiden anderen Punkte auf der politischen Agenda der Pegida-Protagonistin Festerling sind zum einen die Wiedereröffnung des Cafés im alten Dresdner Fernsehturm sowie der Ausbau der Nord-Süd-Magistrale zum örtlichen Fernflughafen. Projekte, die gegen die kleinen Leute gerichtet sind (mit Ausnahme des Fernsehturm-Cafés, das eher DDR-Nostalgie wachruft). Projekte, die den öffentlichen Raum de facto abschaffen würden und gewachsene Strukturen vernichten. Das macht stutzig. Denn zu den Aufgaben eines Oberbürgermeisters gehören sicher auch soziale und kulturelle Belange. Dazu findet sich im Wahlprogramm der Rechtspopulistin rein gar nichts.
Dass rechtspopulistische Bewegungen sich zum Vorkämpfer für Investoren instrumentalisieren lassen, ist schon lange nichts neues mehr. In den USA demonstrieren rechte Bürger für die marktradikale Deregulierung und die Entmachtung der Politik. Sie imitieren dabei einige Merkmale von Basisbewegungen [1]. Tea-Party-Aktivisten gifteten gegen Obamas Pläne einer gesetzlichen Krankenversicherung und verglichen ihn mit Hitler.
In Deutschland allerdings hatte bislang noch kein rechter Volkstribun es gewagt, sich derart offen für die Interessen von ganz bestimmten Investoren einzusetzen. In Hamburg wurde dereinst Ronald Barnabas Schill mit seiner Schill-Partei als rechter Keil gegen die politische Vormacht der SPD ins Spiel gebracht. Allerdings ging es hier vornehmlich um den Austausch von Eliten, denn die Hamburger SPD ließ sich eigentlich nie in puncto Investorenfreundlichkeit von irgendeinem politischen Konkurrenten überholen.
In Dresden liegt der Fall indes ganz anders. Hier sind sich SPD, Linke und Grüne einig, dass der öffentliche Raum Schutz gegen Übergriffe von Investoren genießen muss. Und sie haben mit der sächsischen SPD-Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva-Maria Stange, eine gemeinsame Kandidatin für das Oberbürgermeisteramt ins Rennen geschickt. Während die linken Parteien geeint auftreten, ist das rechte Parteienspektrum gespalten. Der sächsische Innenminister Markus Ulbig tritt für die CDU an. Ihm könnte der Kandidat der Alternative für Deutschland, Stefan Vogel, Stimmen abnehmen. Besonders, da Vogel mit seinem seriösen Auftreten für Wähler aus der politischen Mitte akzeptabel ist. Und in das rechte Segment bringt sich nun auch noch Tatjana Festerling von Pegida ein. Bleibt abzuwarten, ob die extreme Frontfrau möglicherweise Stimmen aus dem Lager frustrierter SPD- und Linken-Wähler abziehen kann, so wie es Le Pen in Frankreich gelungen ist. Dann würde sich die Investition in Frau Festerling vielleicht lohnen. Es kann aber auch wiederum ganz anders kommen, wenn der kommissarisch amtierende Oberbürgermeister Dirk Hilbert von der FDP als unbeteiligter lachender Dritter die Wahl gewinnen sollte.
Es dämmert auf dem Schloßplatz. Noch einmal wird die Nationalhymne gesungen. Lutz Bachmann erklärt die Veranstaltung für beendet. Und wieder einmal wird darauf hingewiesen, wie toll der Lutz das doch auch diesmal wieder gemacht hat. „Danke, Lutz!“ rufen die Pegidisten, bereits im Aufbruch. Auf dem Nachhauseweg noch als Pulk unterwegs skandieren sie: „Wir sind das Volk!“, was, auch wenn die Demonstranten selber das nicht so empfinden, ganz schön bedrohlich klingt. Sie tragen die professionell gemachten Festerling-Plakate mit sich, um sie als kostenlose Wahlkampfhelfer überall in Dresden aufzuhängen. Um die Botschaft des guten Investitionsklimas überall von den Wänden erstrahlen zu lassen. Die meisten Kundgebungsteilnehmer haben ihr frohes Weihnachtsbescherungsgesicht längst wieder abgelegt. Schauen starr in sich gekehrt zu Boden und nehmen keine Notiz mehr von ihren Mitmenschen.
Genau hier war schon einmal das Volk versammelt, vor einem Vierteljahrhundert. Ein großer beleibter Häuptling aus dem Westen hatte ihnen damals blühende Landschaften durch Investoren versprochen.
[«1] Ausführlich dargelegt in: John Micklethwait, Adrian Wooldridge: The Right Nation – Conservative Power in America. New York 2004