Die Industrialisierung des Mitleids
Wissenschaftler arbeiten an der Entwicklung von Robotern, die in Zukunft auch in der häuslichen Pflege zum Einsatz kommen sollen. Es wird Zeit, eine breite gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, wie wir mit alten und pflegebedürftigen Menschen umgehen wollen. Soll auch in diesem Bereich die ökonomische Vernunft tonangebend sein und auf Technik statt Menschlichkeit gesetzt werden? Von Götz Eisenberg
Am Mittwochmorgen habe ich auf Deutschlandradio Kultur ein Interview mit einem Mitarbeiter der Ruhr-Universität Bochum gehört, der an der Entwicklung von Pflege-Robotern arbeitet. Es gehe ihm und seinem Team darum, die Akzeptanz für Roboter im Alltag zu erhöhen und die Bereitschaft zu steigern, sich auch zu Hause von einem solchen Roboter pflegen zu lassen. Dank feinerem Übersetzungsverhältnis und besseren Sensoren soll die nächste Generation von Krankenpflege-Robotern die Patienten weniger ruppig behandeln und gefühlvoller mit ihnen umgehen. Ein solcher Roboter werde mit einem Tablet Computer gesteuert und könne zum Beispiel einen alten oder hinfälligen Menschen vom Bett in einen Rollstuhl und von dort in die Badewanne heben. Auch gehe es darum, dem Roboter beizubringen, Gemütszustände erkennen zu können und zu lernen, wo seine Grenzen liegen, wann zum Beispiel das menschliche Pflegepersonal oder ein Arzt gerufen werden muss. Wir kämen nicht umhin, uns mit solchen Entwicklungen zu arrangieren. Wie es schon jetzt in vielen Haushalten Putz-Roboter gebe, würden wir in Zukunft in vielen Lebensbereichen auf Roboter stoßen. “Wir arbeiten im Augenblick am Aussehen und an der Integration in den täglichen Haushalt”, sagte der Wissenschaftler. Der Roboter solle irgendwann einmal so alltäglich sein wie ein Radio.
Der Forscher zeigte keinerlei Neigung, kritisch über das zu reflektieren, was er da treibt. Er fragt nicht nach dem Warum und Wozu seiner Forschung. Ganz im Bann der instrumentellen Vernunft stellt er sein Wissen und seine Forscherenergie in den Dienst vorgegebener Zwecke, die zu hinterfragen er nicht für seine Aufgabe hält. Die hinter diesen Forschungen stehende Industrie verspricht sich angesichts der wachsenden Zahl alter und pflegebedürftiger Menschen und des notorischen Mangels an menschlichem Pflegepersonal einen riesigen Markt und lukrative Geschäfte.
Fragen wie die, ob zuvor eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber stattgefunden hat, ob wir eine flächendeckende Industrialisierung des Mitleids wollen, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, die einen derartigen Umgang mit alten und pflegebedürftigen Menschen zulässt, ob die Mechanisierung der Pflege für Menschen zuträglich ist, stellt sich der Wissenschaftler nicht. Er würde verblüfft reagieren, wenn man sie ihm stellte, und darauf verweisen, dass das nicht seine Aufgabe sei, darüber nachzudenken.
Unlängst las und schrieb ich von sprechendem Kinderspielzeug, das an Stelle der Eltern die Kinderbetreuung übernimmt. (Die Verwanzung der Kinderzimmer) Eines nicht so fernen Tages werden wir von Robotern aus dem Mutterleib gezogen, bekommen gleich darauf von einem Roboter einen Chip eingepflanzt, der uns per GPS mit technischen Geräten vernetzt, die unsere Sozialisation übernehmen und uns wie auf einem Förderband durchs ungelebte Leben steuern. Schließlich landen wir in einem Sterbe-Hospiz, wo man uns einen nach dem Sterbe-Curriculum von Elisabeth Kübler-Ross programmierten Roboter zur Seite stellt, der dafür sorgt, dass unser Abgang aus der Welt regulär vonstattengeht, unsere Hand mechanisch umklammert und uns mit metallischer Stimme Trost zuspricht.
Im Verlag Brandes & Apsel ist gerade Götz Eisenbergs neues Buch Zwischen Amok und Alzheimer. Zur Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus erschienen.
Siehe dazu die Rezension von Joke Frerichs auf den NachDenkSeiten.
Passend dazu: Der vermessene Mensch
Wer bei der Huk-Coburg versichert ist und sein Fahrverhalten überwachen lässt, bekommt einen günstigeren Tarif. Wenn dies so weitergeht, wird bald jede Zuckung überwacht.