Heiner Flassbeck: Finanzmärkte an die Kandare!
Wovor ich im Mai an dieser Stelle gewarnt hatte, ist nun schon eingetreten: Der Luftballon, der von Spekulationen am amerikanischen Hypothekenmarkt aufgeblasen worden war, ist geplatzt. Das ist nicht verwunderlich an einem Markt, der, wann immer der Staat glaubt, sich zurückziehen zu können, an seiner eigenen absurden Dynamik zugrunde geht. Erstaunlich ist nur, wie viele scheinbar seriöse Banker in diesem Kasino waren und sich die Finger verbrannt haben. Mehr als erstaunlich ist auch, dass die großen Marktstrategen, die über viele Jahre nichts Besseres zu tun hatten, als den Staat auszuhungern und ihm jede Kompetenz im Finanzbereich abzusprechen, immer sofort nach dem Staat und seiner Zentralbank schreien, wenn’s ernst wird. Beim Geldverdienen wollen sie gerne allein gelassen werden, beim Geldverlieren wollen sie immer sofort den Steuerzahler beteiligen.
Hier liegt das eigentliche Problem. Die raschen Interventionen der Zentralbanken waren zwar angebracht, weil sonst weit größere Schäden gedroht hätten, aber das darf nicht heißen, dass der Staat, nachdem er wieder einmal Banken und andere Spekulanten vor dem Schlimmsten bewahrt hat, zur Tagesordnung übergeht. Damit provoziert er ja nur die nächste Krise, weil die Spieler im Kasino dann systematisch damit rechnen, dass es schon nicht so schlimm kommen wird. Wer, wie die Deutsche Bank, mit 30 % Rendite protzt, dem muss man auch abverlangen, dass er 30 % Verlust an seinem Kapital hinnimmt, ohne nach dem Staat zu schreien. Schreit er im Verlustfall doch nach dem Staat und kann der Staat dann nicht einfach die Augen zumachen, weil eine erhebliche Ansteckungsgefahr für gesunde Institute droht, muss der Staat vorher handeln.
Dann muss der Staat sich nämlich viel stärker in die Geschäfte solcher Spekulanten einmischen, wenn sie noch mit ihren Gewinnen protzen. Das geht zum einen über eine stärkere Besteuerung von finanziellen Transaktionen im allgemeinen, Stichwort ist hier die so genannte Tobin-Steuer, also eine geringe Steuer auf alle Transaktionen an bestimmten Märkten. Noch wichtiger aber ist es, die Gewinne dieser Unternehmen wieder weit stärker zu besteuern. Die massiven Steuersenkungen für die Unternehmen im Allgemeinen und die Abschaffung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen durch die rot-grüne Regierung waren eklatante Fehlentscheidungen.
Doch das reicht bei weitem nicht, um solche gravierenden Fehlentwicklungen zu vermeiden, wie sie jetzt wieder zutage getreten sind. Die Tatsache, dass eine halbstaatliche Bank wie die IKB (mit mehr als 38 % ist der Bund über die Kreditanstalt für Wiederaufbau beteiligt und der Bundesfinanzminister stellt ein Mitglied des Aufsichtsrates), deren Aufgabe es sein sollte, die deutsche mittelständische Industrie mit günstigen Krediten zu versorgen, sich in Geschäften mit unterwertigen amerikanischen Hypotheken verzockt, spricht Bände. Sie spricht nicht nur Bände hinsichtlich der Unfähigkeit der Aufsichtsräte, sie spricht auch Bände hinsichtlich der mangelnden Regulierung der Geschäftstätigkeit der Banken im Allgemeinen und einer halbstaatlichen Bank im Besonderen.
Hinzu kommen internationale Lücken. Die besten Vorschriften über die Hinterlegung von Bankaktivitäten mit Eigenkapital, wie sie z. B. in Basel bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich formuliert werden, nutzen nichts, wenn die Einschätzung von Risiken allein einer kleinen Gruppe von Rating-Agenturen überlassen wird, die wiederum wegen Unfähigkeit oder Unwissen die wildesten Derivat-Konstruktionen mit hohen Qualitätsmerkmalen versehen. Auch hier müssen die staatlichen Organe selbst Hand anlegen und dafür sorgen, dass solche ratings von nicht interessengebundenen Institutionen wie einer Finanzaufsicht kritisch überprüft und nötigenfalls korrigiert werden.
Noch wichtiger und mein Ceterum Censeo seit vielen Jahren: Das größte Kasino, dasjenige, in dem internationale Währungen gehandelt werden, muss schlicht geschlossen werden. Es geht weniger denn je an, dass der wichtigste Preis einer Volkswirtschaft, der Wechselkurs, den kurzfristigen Gewinninteressen internationaler Spekulanten und Finanzhaie überlassen wird.
Insgesamt gesehen, kann ich nur wiederholen, was ich schon oft in dieser Kolumne geschrieben habe: Finanzmärkte braucht man, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass sie massiv reguliert werden müssen, weil sie gefährliche Spielzeuge erzeugen und im Übrigen in keiner Weise innovativ sind. All das Gerede von den „neuen innovativen Produkten“ an den internationalen Finanzmärkten hat sich gerade einmal wieder als Schall und Rauch erwiesen. Das einzige, was Finanzmärkte in ihrer Gier nach kurzfristigem Gewinn immer auf’s Neue tun, ist auf unverantwortliche Weise mit dem Geld anderer Leute zu spekulieren in der Hoffnung, dass es genügend Dumme auf der Welt gibt, die nicht merken, wie sie von smarten Bankern über den Tisch gezogen werden.
Schlimm ist, wie viele einfache Leute auch diesmal ihre letzten Ersparnisse und ihre Zukunftsperspektiven verloren haben, weil sie zu gutgläubig gegenüber den Finanzmärkten waren. Das betrifft zwar vor allem den amerikanischen Hypothekenmarkt, aber nicht nur dort wurden die Kunden systematisch in die Irre geführt. Es sind auch die unverantwortlichen Irrsinnsrenditen, die sich deutsche Banken zum Ziel setzen, die bei den Menschen auf der Straße den Eindruck erwecken, die Finanzmärkte hätten Zauberinstrumente, mit denen man ohne zu arbeiten über Nacht reich werden kann.
In Zukunft sollte jedes Prahlen mit extremen Renditen von der Finanzaufsicht, den Finanzministerien und den Zentralbanken sofort zum Anlass genommen werden zu prüfen, zu wessen Lasten die übermäßigen Gewinne des betreffenden Finanzinstituts gehen. Auch für die Gehälter von Vorständen und Aufsichtsräten müssen staatlicherseits Grenzen gesetzt werden, weil es ja offensichtlich ist, dass diese Vorstände und Aufsichtsräte systematisch eine Beteiligung des Staates an den Verlusten erwarten. Wäre das nicht so, würden sie viel gründlicher prüfen, woher ihre Gewinne kommen und mit welchen Risiken sie behaftet sind.