DGB-Bilanz zu fünf Jahren “Hartz”. 89,7 Prozent empfinden den sozialen Abstieg als größte Bedrohung
Die Hartz-Gesetze sind der größte Einschnitt in die Arbeitsmarktpolitik seit Bestehen der Bundesrepublik. Sie führten zu erheblichen Verwerfungen am Arbeitsmarkt und erhöhten deutlich das Verarmungsrisiko Arbeitsloser”, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach zur DGB-Zwischenbilanz der ´modernen Dienstleistungen am Arbeitsmarkt` am Mittwoch in Berlin. Vor fünf Jahren hatte die Hartz-Kommission ihre Empfehlungen der Öffentlichkeit vorgestellt.
Insbesondere Hartz IV mit dem ALG II und der Abkopplung der Leistungen vom zuletzt erzielten Lohnniveau sei ein fataler Paradigmenwechsel in der deutschen Arbeitsmarktpolitik, erklärte das DGB-Vorstandsmitglied. Von der angestrebten Halbierung der Arbeitslosigkeit innerhalb von drei Jahren – damals waren vier Millionen Menschen betroffen – könne keine Rede sein, ebenso wenig von der versprochenen Betreuung aus einer Hand: Stattdessen seien neue Verschiebebahnhöfe und Arbeitslose 1. und 2. Klasse geschaffen worden. Es werde viel gefordert, aber immer noch zu wenig gefördert.
“Zwar hat die Hartz-Kommission die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe empfohlen, aber es war nicht die Rede davon, dass dies auf dem Niveau der Sozialhilfe geschehen sollte. Längst nicht überall, wo Hartz drauf steht, ist auch Hartz drin”, betonte Annelie Buntenbach. “Auch bei der Kürzung des Arbeitslosengeldes für Ältere kann sich die Bundesregierung nicht mit dem Verweis auf die Hartz-Kommission entlasten. Das gehört zu den politischen Fehlentscheidungen, die Hartz zu einem Synonym für eine breite gesellschaftliche Verunsicherung gemacht, den Druck auf die Arbeitslosen erhöht und viele Familien in Existenznöte gebracht haben.”
Der DGB fordere dringend Korrekturen wie die Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs für Ältere, die bedarfsorientierte Regelsatzerhöhung, eine einheitliche Arbeitsförderung für alle Arbeitslose, die sich am Einzelfall orientiert, sowie eine Qualifizierungsoffensive.
Der DGB zu einigen der zahlreichen Maßnahmen, die die Hartz-Gesetze
vorsahen:
- Vermittlungsgutscheine
Kommerzielle Arbeitsvermittler waren kaum erfolgreich. Nicht einmal jeder zehnte ausgegebene Gutschein wurde eingelöst. Der Bundesrechnungshof kritisierte die Mitnahmeeffekte bei diesen Instrumenten. Ausgerechnet Personen mit Vermittlungshemmnissen zogen den Kürzeren. - Personal-Service-Agenturen
Die PSA waren gut gedacht, aber schlecht umgesetzt. Die vorgesehene Qualifizierung der Arbeitslosen in verleihfreien Zeiten fand kaum statt. Die PSA sind inzwischen zur Restgröße verkommen. - Mini-Jobs
Die Förderung der geringfügig entlohnten Beschäftigung mit der Gießkanne führte zu einem Anschwellen der Minijobber auf 7 Millionen im Sommer dieses Jahres. Zu einer tragfähigen Brücke für Erwerbslose in reguläre Beschäftigung haben sie sich nicht erwiesen, wie die Evaluierung ergab. Stattdessen schwächten sie die Finanzierungsbasis der Sozialsysteme. - Betreuungsschlüssel
Die Betreuung der Arbeitslosen hat sich zwar verbessert, aber der angestrebte Schlüssel bei Hartz IV von einem Betreuer für 75 Jugendliche und 1:150 für Erwachsene ist noch lange nicht erreicht. - Qualifizierung
Die Umsteuerung bei der Arbeitsförderung hin zu Schnell und Billig hat zu einem Sinkflug insbesondere bei längeren Qualifizierungsmaßnahmen geführt. Der Rückgang der Förderung der beruflichen Weiterbildung um rd. zwei Drittel gegenüber 2001 trug zur Verschärfung des Fachkräftemangels bei. Nach diesem Einbruch steigt die Teilnehmerzahl bisher unzureichend. - Arbeitsgelegenheiten (Ein-Euro-Jobs)
Arbeitslose wurden und werden massenhaft in Ein-Euro-Jobs gesteckt, die ihnen kaum eine berufliche Perspektive bieten, aber die Arbeitslosenstatistik besser aussehen lassen. Zudem führten Ein-Euro-Jobs zur Verdrängung regulärer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.
Arbeitsgelegenheiten sind von der Wirkung her das schlechteste
Arbeitsmarktinstrument.
Annelie Buntenbach: “Der erfreuliche Beschäftigungsanstieg der vergangenen Monate lässt sich nicht auf die Arbeitsmarktreformen zurückführen. Zwar steigt die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung – wenn auch immer noch schwächer als im vorangegangenen Konjunkturzyklus. Es wechselten aber weniger Arbeitslose in reguläre Beschäftigung als noch beim letzten Aufschwung.”
Zudem profitierten vor allem Kurzzeitarbeitslose, Hartz-IV-Empfänger hingegen viel zu wenig. Während der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen im Juli bei 40 Prozent lag, betrug er bei den Langzeitarbeitslosen, die aus der Statistik ausschieden, nur knapp 23 Prozent.
“Dabei handelt es sich nicht (nur) um Menschen, die eine Arbeit gefunden haben – viele von ihnen haben schlicht resigniert oder sich abgemeldet, weil sie keine Leistungen mehr zu erwarten haben”, konstatierte die Gewerkschafterin.
Es werde deutlich, so Annelie Buntenbach, “dass die Hartz-Gesetze und ihre Umsetzung die soziale Selektion verschärft haben. Die Regierung sollte den aktuellen Konjunkturaufschwung nutzen, um richtige Schritte gegen die sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit einzuleiten und die größten Hartz-Fehler zu korrigieren.” Dazu zählen aus DGB-Sicht: Ausbildungs- und Arbeitsvermittlung aus einer Hand, mehr unbefristetes und besser geschultes Personal, um Arbeitslose
individuell unterstützen zu können, Schluss mit der Arbeitsmarktförderung
1. und 2. Klasse, sinnvolle Qualifizierung besonders für An- und Ungelernte.”
Lesen Sie dazu auch Dr. Wilhelm Adamy, Leiter des Bereichs Arbeitsmarktpolitik beim DGB-Bundesvorstand:
„Hartz IV ist und bleibt die Achillesferse der deutschen Arbeitsmarktpolitik“
Und weitere interessante Materialien
Siehe auch Ulrike Herrmann in der taz
Zufrieden äußert sich allerdings Bundesagentur-Chef Weise
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat zum fünften Geburtstag der Hartz-Reformen einen positive Bilanz gezogen. Der Übergang zum Fördern und Fordern sei “gelungen”, sagte BA-Chef Frank-Jürgen Weise der FR. Den “Vorwurf des Sozialabbaus” wies er als “falsch” zurück. “In der großen Mehrzahl der Fälle stehen die Menschen materiell nicht schlechter da als zuvor und sie werden zudem intensiver betreut.”