Sahra Wagenknecht hat den Kampf um den Fraktionsvorsitz aufgegeben. Und Oppermann freut sich über die Verstärkung von TINA.
Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, hat am 6. März erklärt, dass sie bei den im Herbst anstehenden Wahlen zum Fraktionsvorsitz der Linken nicht antritt. Siehe hier. Sie hat eingesehen, dass die Mehrheit ihrer Fraktion auf Anpassungskurs ist und deshalb der Kampf zermürbend wäre. Das freut den SPD-Fraktionsvorsitzenden Oppermann – siehe hier und hier. Schließlich wird mit dem Verzicht Wagenknechts auf die Nachfolge Gysis die Front der Profillosen und Angepassten links von Frau Merkel gestärkt. Sahra Wagenknecht hat allerdings in einer Rede im Deutschen Bundestag vom 19. März, eine Entgegnung auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, gezeigt, dass ihr Verzicht nicht bedeutet, dass sie ihre Stimme der Vernunft nicht weiter erheben wird. Ob sie das durchhalten kann, wird sich zeigen.
Ein Einordnungsversuch – ohne Polemik allerdings nicht möglich:
Nach 16 Jahren Kanzlerschaft Helmut Kohls (CDU) hat die SPD zusammen mit den Grünen im September 1998 die Mehrheit für einen Regierungswechsel erreicht – mit 40,9 % für die SPD und 6,7 % für Bündnis 90/Die Grünen. Entgegen weitreichender Erwartungen ihrer Anhänger haben Rot und Grün danach ihr Profil professionell geschliffen: zuerst durch das eifrige Mitmachen am Kosovo Krieg und damit am ersten militärischen Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Bereichs, dann durch den Aufbau eines Niedriglohnsektors mithilfe der Agenda 2010. 2005 hat die SPD dann zur Rettung dieser wunderbaren Agenda Politik vorzeitig den Bundestag zur Auflösung gebracht und die Kanzlerschaft aufgegeben – mit einem rasanten Abstieg von 40,9 % in 1998 auf 34,2 %. Angela Merkel wurde Bundeskanzlerin.
Aber der Abstieg beim Wählerpotenzial reichte den fast ausschließlich aus Niedersachsen kommenden SPD-Spitzen von Schröder über Steinmeier und Gabriel bis Oppermann noch nicht. Mit Steinmeier als Kanzlerkandidat steigerte sie den Abstiegskampf um die erfolgreichste Anpassung und Profillosigkeit 2009 auf 23 %. Das war gerade die Hälfte des sozialdemokratischen Spitzenergebnisses von 45,8 % im Jahr 1972 und zugleich sozusagen das Spitzenergebnis einer weitgehend profillosen SPD.
Der nächste Kanzlerkandidat Peer Steinbrück stabilisierte diesen Erfolg einer gesellschaftspolitisch und friedenspolitisch abgeschliffenen SPD dann bei 25,7 %. Die aktuellen Umfragen zeigen, dass die SPD-Führung dieses Niveau ausgezeichnet halten kann. Hier die aktuellen Werte der verschiedenen Umfrageinstitute: 26,0 % 24 % 24 % 24 % 23 % 24 % 22,5 %. Das ist das Ergebnis einer zielgenauen politischen Planung.
Damit ist auch sichergestellt, dass die SPD-Führung keinerlei Gefahr sehen muss, demnächst und in absehbarer Zeit um die Kanzlerschaft und eine politische Alternative zu Frau Merkel kämpfen zu müssen. Jetzt verlautet schon, dass der heutige Vorsitzende und Vizekanzler Gabriel diese Gefahr nicht mehr am Horizonte auftauchen sieht.
Diese Entwicklung gibt die Möglichkeit, alle wesentlichen bisherigen sozialdemokratischen Positionen zu räumen: ihre große historische Leistung, den Graben zwischen Ost und West, zwischen dem Westen und Russland zu überbrücken, was die SPD mit der Ostpolitik geschafft hatte, hat man erfolgreich vergessen gemacht. Das SPD-Grundsatzprogramm von 1989 mit der Forderung nach dem Ende beider Blöcke, auch der NATO, ist soweit im Orkus versenkt worden, dass es schon gar nicht mehr stört. In der Gesellschaftspolitik, in der Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik ist die SPD kein Störfaktor mehr. Sie ist für TTIP und für den Umgang mit Griechenland a la Merkel und Schäuble. Sie baut kräftig mit an der Festigung der Parole von Frau Thatcher: There is no alternative – TINA! Basta!
Bisher gab es aber leider noch einen Störfaktor bei diesem erfolgreichen Kampf um die Profil- und Bedeutungslosigkeit: die Linkspartei und ihr entsetzlicher fundamentalistischer Flügel, namentlich Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht. Aber auch das Problem ließ sich lösen: die Überreste der alten SED-Kader wurden mithilfe der Union und einflussreicher Medien zum „Reformflügel“ umfirmiert, aus den zum Teil aus Westdeutschland stammenden Parteiteilen der Linken um frühere Sozialdemokraten wie Uli Maurer und Lafontaine wurden die Fundamentalisten. Damit war wieder mal bewiesen, dass man mithilfe von Meinungsmache aus einem X ein U machen kann.
Dennoch: es blieben ein paar Störfaktoren, namentlich vor allem Sahra Wagenknecht, die einfach nicht in das Schema einer radikalen Fundamentalistin passen wollte – zu intelligent, zu bürgerlich im Auftritt, zu verständlich in der Sprache, kein marxistisches Kauderwelsch. Mit ihr musste man das anstellen, was man zuvor schon in der SPD und bei den Grünen ausprobiert hatte: die innerparteiliche Niedermache alles Linken.
Bei der SPD dauerte das immerhin vom beginnenden Kampf gegen Willy Brandt im Wahljahr 1972 (Siehe dazu mein kleines Buch zum 100-jährigen Geburtstag von Willy Brandt „Brandt aktuell“ aus dem Jahr 2013) bis 1999, dem Jahr der Zermürbung des Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine durch den Kanzler Gerhard Schröder und seine Mannen. (Die parteiinterne Umdeutung des Wortes „Zermürbung“ heißt „Hingeschmissen“.) –
Bei der Linkspartei hat der Zermürbungsprozess nicht so lange gedauert. Der sogenannte Reformflügel hat mit Unterstützung des Fraktionsvorsitzenden Gysi die Anpassung in kürzerer Zeit geschafft. Die Linkspartei trägt die Griechenland Politik der Bundesregierung mit. Es gibt Stimmen, die die Fundamentalopposition gegen Militäreinsätze aufgeben wollen. Wir können also gut verstehen, dass sich der SPD Bundestagsfraktionsvorsitzende Oppermann freut und gleichzeitig die Messlatte höher legt. Die Linkspartei müsse sich noch entschlossener von der Fundamentalopposition lossagen. Insgesamt stehe sie erst am Anfang umfassender Veränderungen, um eines Tages regierungsfähig werden zu können, sagte er.
„Davon sind sie noch meilenweit entfernt. Die schrillen Töne in der Außen-, Verteidigungs- und Anti-Globalisierungspolitik zeigen, dass die Bereitschaft, sich in eine Regierung einbinden zu lassen, noch nicht sehr weit entwickelt ist.“ (Zitiert nach Münchner Abendzeitung vom 22.3.2015)
Diese Aussage musste wörtlich zitiert werden, damit Sie, liebe Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten sich diese klassische Anpassungsaufforderung auf der Zunge zergehen lassen können.
Eine persönliche Anmerkung zu Sahra Wagenknechts Entscheidung:
Sahra Wagenknecht war einer der letzten Stolpersteine auf dem Weg zur Anpassung auch der Linkspartei. Sahra Wagenknecht wurde von außen und von innen zermürbt. Ich persönlich verstehe, dass sie den aus ihrer Sicht zermürbenden Kampf um das einflussreiche Amt der Fraktionsvorsitzenden nicht weiterführt. Sie will versuchen, mit ihren inhaltlichen Alternativen in der politischen Debatte präsent zu bleiben. Ich hoffe, dass das gelingt. Dass dies nötig wäre, können Sie ermessen, wenn Sie die Rede im Bundestag vom 19.3.2015 anschauen und anhören.
In diesem Zusammenhang sei auch noch einmal auf ihre Mitwirkung am 21. Pleisweiler Gespräch von 2011 und ihre damit auch sichtbare Sympathie für die NachDenkSeiten verwiesen. Hier ist der Link zu diesem Gespräch.