Rechtsruck in der AfD
Björn Höcke ist das Gesicht und das Aushängeschild der „Alternative für Deutschland“ (AfD) in Thüringen. Mit ihm als Spitzenkandidaten erhielt die Partei bei den letzten Landtagswahlen 10,6 Prozent der Stimmen und sitzt seitdem mit einer Fraktion von elf Abgeordneten im Erfurter Landtag. Der Gymnasiallehrer hatte bereits die AfD als „identitäre Kraft“ und „letzte evolutionäre Chance für unser Land“ bezeichnet und eine „Zeit der Gleichschaltungstendenzen“ ausgemacht, auf die unter anderem mit einer „Aussetzung des Schengener Abkommens“ sowie einer „Einschränkung des Asylrechts“ reagiert werden müsse. Mit einer „Erfurter Resolution“ wagte die erstarkende Rechte um Höcke in der AfD m am vergangenen Wochenende beim Landesparteitag in Arnstadt nun den offiziellen Umsturzversuch in der Partei und kritisiert, statt der versprochenen Alternative passe sich die Partei „dem Technokratentum, der Feigheit und dem Verrat an den Interessen unseres Landes an“. Zum Thema sprach Jens Wernicke mit Andreas Kemper, Autor der FES-Studie „Keimzelle der Nation? Familien- und geschlechterpolitische Positionen der AfD [PDF – 412 KB]“.
Herr Kemper, nach den Richtungskämpfen um den Jahreswechsel herum ist aktuell durch die Sammelbewegung „Der Flügel“ ein neuer Streit in der AfD entbrannt. Dies entzündet sich um die so genannte „Erfurter Resolution“. Was ist von diesen Richtungskämpfen im Allgemeinen zu halten – und was vom aktuellen im Besonderen?
Zunächst ein paar einführende Worte zum grundsätzlichen Konflikt, der ja nicht einfach durch Meinungsunterschiede oder Eitelkeiten geprägt ist.
Die AfD ist in der Wirtschaftskrise entstanden und bedient die Interessen unterschiedlicher Klassenfraktionen wie zum Beispiel jene der Verbände von Familienunternehmen sowie des Kleinbürgertums.
Bezüglich der Familienunternehmensverbände spricht man vom „nicht-monopolistischen Industriekapital“, das mit ideologischen Think Tanks verbunden ist. Und diese Familienunternehmensverbände verfolgen vor allem in der europäischen Wirtschaftskrise andere Interessen als das monopolistische Industrie- oder das Bankenkapital. Das machte die Etablierung einer neuen Partei möglich. Es gibt bereits Untersuchungen [PDF – 927 KB ], wie diese Think Tanks auf europäischer Ebene parteipolitisch miteinander verknüpft sind und welche Interessen sie verfolgen. Hans-Olaf Henkel und die ganzen Wirtschaftsprofessoren wie Bernd Lucke vertreten diese neoliberalen Interessen.
Im Kleinbürgertum hingegen, welches in der Wirtschaftskrise Abwehrmechanismen gegen Deklassierungen entwickelt, führen diese Abwehrmechanismen zu einer nationalkonservativen Politisierung auf parlamentarischer Ebene – rechte Parteien wie AfD -, auf der Straße – Pegida, Demo-für-alle – sowie in den Medien mit entsprechenden Internetpräsenzen, Bestsellern und omnipräsenten Hass-Kommentaren. Den Gesellschafts-Charakter des Kleinbürgertums in der Krise hatte bereits Erich Fromm 1941 in „Die Furcht vor der Freiheit“ treffend analysiert. Heute können wir auf Untersuchungen zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ zurückgreifen, die eine „Verrohung des Bürgertums“ diagnostizieren.
Während die Neoliberalen und die Nationalkonservativen zu einer gemeinsamen Partei gefunden haben, weil sie alle mehr Ungleichheit wollen, zerstreiten sie sich aktuell in der Frage, zwischen welchen gesellschaftlichen Gruppen es vorrangig mehr Ungleichheit geben soll. Verkürzt gesagt: Die Neoliberalen wollen mehr Ungleichheit zwischen arm und reich, die Nationalkonservativen hingegen zwischen christlich-deutschen und nicht-christlich-deutschen Bürgerinnen und Bürgern im Land.
Und was bedeutet das in Bezug auf die Richtungskämpfe in der AfD? Wie bewerten Sie die „Erfurter Resolution“?
Die Richtungskämpfe waren in den letzten Monaten von formalen und inhaltlichen Differenzen zwischen den Neoliberalen Henkel und Lucke auf der einen und der nationalkonservativen Fünferbande Adam-Gauland-Petry-Pretzell-von Storch auf der anderen Seite geprägt. Zu ersten Differenzen zwischen diesen kam es hinsichtlich der Wahl zum europäischen Parlament. Lucke und Henkel wollten sich im EU-Parlament der „Fraktion der Konservativen und Reformisten“, kurz EKR, um die britische Partei der Tories anschließen. Henkel hatte auch zuvor bereits mit dem neoliberalen Think Tank „New Direction Foundation“ der EKR zusammengearbeitet und ist dort jetzt zum Vize-Präsidenten aufgestiegen.
Die nationalkonservative Fraktion wollte hingegen lieber mit der rechtspopulistischen UKIP aus Großbritannien im Europäischen Parlament zusammenarbeiten. Zwar haben sich die Neoliberalen in diesem Konfliktt durchgesetzt und ist die AfD ist jetzt Mitglied in der EKR, auch in dieser sind seit den letzten Wahlen jedoch einige rechtspopulistische Gruppen wie etwa die „Wahren Finnen“ vertreten, sodass seitdem auch die EKR einen rechtspopulistischen Flügel hat.
Der Konflikt zwischen Neoliberalen und Nationalkonservativen eskalierte dann erstmals, als vier Europabgeordnete der AfD, nämlich Henkel, Lucke, Starbatty und Kölmel, für die Vorbereitung von Russland-Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikt stimmten. Damit hatten sie sich nämlich klar über den Parteitagsbeschluss der AfD hinweggesetzt, der Russland-Sanktionen ausschloss. Alexander Gauland, der eher Russland-nah ist, hätte aus Protest damals fast die Partei verlassen.
Und seither hat der Konflikt immer weiter an Schärfe gewonnen. Die Positionierung zu PEGIDA war der nächste Eskalationspunkt. Die drei Landesfraktionschefs Gauland, Petry und Höcke zeigten deutliche Sympathien mit PEGIDA, während Lucke und Henkel eher auf Distanz gingen. Dann kam noch ein Satzungsstreit hinzu. Lucke und Henkel wollten während des Parteitages der AfD in Bremen Ende Januar 2015 die Dreier-Spitze durch einen Parteichef mit ihm zuarbeitenden Generalsekretärsposten ersetzen. Petry und Adam hatten als bislang noch mit Lucke gleichgestellte Parteichefs Angst, an Macht in der AfD zu verlieren. Zudem forderte Lucke, dass die Parteispitze direkt über Parteiaufnahme-Anträge entscheiden solle. Vor dem Parteitag forderten die Nationalkonservativen Adam, Gauland, Petry, Pretzell und von Storch den Neoliberalen Lucke zu einem gemeinsamen Gespräch auf. Während dieses Gesprächs setzte sich Lucke durch. Bis zum Jahresende soll sich die Partei auf einen Parteichef einigen. Beim Parteitag in Bremen wurde diese Satzungsänderung jedoch nur äußerst knapp mit 0,8 Prozentpunkten über die erforderliche Zweidrittelmehrheit angenommen. Fast wäre also der Parteitag für Lucke zum Desaster geworden.
Mit der „Erfurter Resolution“ löst Björn Höcke, der sich aus derlei Streitigkeiten bisher herausgehalten hatte, die Fünferbande nun als Oppositionsführer gegen Lucke und Henkel ab. Und er steht deutlich rechts von den Nationalkonservativen, was, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, alles andere als einfach ist.
Wer ist dieser Höcke und woran machen sie fest, dass seine Position „rechts“ bzw. „noch rechter“ als die von anderen sei?
Björn Höcke ist ein Lehrer, der seit 2013 bei der AfD mitmacht, Landeschef in Thüringen wurde und seit einem halben Jahr als Landesfraktionsvorsitzender im Thüringischen Landtag sitzt. Er gehört ideologisch eindeutig zur Neuen Rechten. Und zwar zu deren radikal-fundamentalistischen Flügel.
Er ist Ultranationalist und für ihn ist Deutschland eine gewachsene Nation, weshalb seiner Meinung nach Ausländer und Ausländerinnen auch nicht integriert, sondern bestenfalls „assimiliert“ werden können. Zudem gäbe es in Deutschland eine „demographische Katastrophe“, die eine aktive Bevölkerungspolitik der Drei-Kinder-Familie benötige. Die Home-Ehe sei aber nicht nur aus bevölkerungspolitischen Gründen nicht mit der Ehe von heterosexuellen Paaren gleichzusetzen. Schwulen und Lesben ginge es nur um Sexualität, das sei etwas ganz anderes als die schöpferische Polarität von Frau und Mann, die überhaupt erst die Entwicklung unserer Hochkultur ermöglicht habe. Die „Geisteskrankheit“ Gender-Mainstreaming verspricht Höcke daher aus den Schulen und Hochschulen zu vertreiben. „Gesellschaftsexperimente“ wie Multikulturalismus, Gender-Mainstreaming, Erziehungsbeliebigkeit seien zu bekämpfen.
Deutschland werde noch durch ein tiefes Tal gehen müssen, um sich von seiner siebzigjährigen Neurose befreien zu können. Hierzu sei eine Widerstandsbewegung notwendig, was zu echten Auseinandersetzungen mit den Altparteien führen werde. Die aktuelle Geschlechter- und Familienpolitik sei dekadent, das Volkswirtschaftssystem degeneriert.
Höcke greift dabei konsequent auf eine Begriffswahl zurück, die sonst nur bei der NPD zu finden ist. So bezieht er sich auf den Begriff „organische Marktwirtschaft“ eines Landolf Ladig von der NPD Eichsfeld. Dieser Ladig verwandte diesen Begriff im September 2012, als er für eine aktive Bevölkerungspolitik im Sinne der Raumorientierten Volkswirtschaftspolitik der NPD warb. Sein entsprechender Artikel handelte von einem Dorf in Thüringen, Bornhagen, und Ladig beschrieb dort exakt das Haus von Höcke.
Aber auch sonst finden sich erstaunlich viele Überschneidungen zwischen Ladig und Höcke: Beide verfolgen eine aktive Bevölkerungspolitik, sprechen von der Polarität der Geschlechter, propagieren eine Postwachstumsökonomie und haben einen für Politiker ungewöhnlichen gemeinsamen Wortschatz mit Wörtern wie Entelechie, Entropie, Vernutzung etc. Ladig schreibt für Magazine des NPDlers Thorsten Heise, nämlich den Eichsfeldboten und Volk in Bewegung. Und Höcke und Heise kennen sich persönlich.
Also, das ist alles kein Zufall. Es könnte der Verdacht aufkommen, dass Höcke bis zur Etablierung der AfD unter dem Pseudonym „Ladig“ schrieb, jedenfalls führt Höcke Ladigs politische Positionen exakt fort, außer dass Höcke nicht dazu aufruft, die NPD zu wählen.
Und macht das für mich als Bürger im Land denn einen Unterschied, ob nun „die Neoliberalen“, „die Nationalkonservativen“ oder „ganz Rechte“ wie Höcke in der AfD das Sagen haben? Welchen denn? Beziehungsweise: Wer vertritt hier denn am ehesten meine Interessen im Parlament?
Also alle Strömungen der AfD wollen mehr Ungleichheit. Und so sind eben auch bei den Neoliberalen der AfD starke Demokratiedefizite festzustellen. Hans-Olaf Henkel forderte 1997, als er noch Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, den BDI, war, die Abschaffung des Bundesrates, woraufhin es Forderungen gab, den BDI als verfassungsfeindliche Organisation zu verbieten. Stattdessen nahm lediglich Henkel seinen Hut. Und ich darf an den Hamburger Appell [PDF – 26,8 KB] erinnern, in dem gefordert wurde, dass die Sozialhilfe abgeschafft wird, damit die Geringverdienenden weniger verdienen.
Die Ideologie, der Björn Höcke anhängt, könnte allerdings als faschistisch bezeichnet werden, wenn man sich vergegenwärtigt, dass er seinen Ultranationalismus mit Thesen verknüpft, nach denen die Geschlechterpolitik, die Wirtschaft sowie Parteipolitik dekadent und degeneriert seien und es einen grundlegenden Neuanfang geben müsse.
Schaut man sich einmal die völkischen Reden von Götz Kubitschek während der PEGIDA- und LEGIDA-Demonstrationen an, die von „Deutschland! Deutschland!“-Rufen begleitet wurden, kann man sich ausmalen, wohin diese Ideologie führen kann, wenn sie „auf der Straße“ erst einmal Fuß gefasst hat.
Und Björn Höcke sagt noch sehr viel deutlicher als wir dies in der AfD bislang gehört haben, dass seine Mission sei, Deutschland vom „Totalitarismus“ der „Politischen Korrektheit“ zu befreien. Wir müssen George Orwell lesen, um zu erkennen, wie hier der ganz normale Wunsch von Menschen nach mehr Gleichheit und Freiheit zu einem Bestandteil eines „totalitären Gesellschaftsexperiments“ bzw. „Umerziehungsprozesses“ umdefiniert wird.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Andreas Kemper arbeitet zum Thema Klassismus. Er publiziert zum organisierten Antifeminismus, zur AfD und zu Klassendiskriminierung. Weitere Informationen finden sich auf seiner Internetseite.
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