Rezension: Henning Venske, „Es war mir ein Vergnügen“
Warum schreibt ein Satiriker und Kabarettist eine „Biographie“, sein Lebenswerk ist doch öffentlich? Das habe ich mich gefragt, als mir Henning Venskes über vierhundert Seiten starkes Buch mit dem Titel „Es war mir ein Vergnügen“ in die Hände kam. Ich hatte bestenfalls eine Sammlung von Texten aus früheren Veröffentlichungen oder Kabarettprogrammen erwartet, doch nach wenigen Seiten hat mich dieses Buch gefesselt. Was Hennig Venske bietet ist „Oral History“ im besten Sinne, nämlich erzählte deutsche Geschichte seit dem Ende der Nazizeit, der Flucht und der Not nach Kriegsende, des westdeutschen Kultur- und Theaterbetriebs der 60er und 70er Jahre bis hin zur zeitkritischen Satire und zum bissigen Kabarett heutiger Tage: Lebendige Erzählkunst eines Zeitzeugens nicht nur aus dem Blickwinkel des harten Überlebenskampfes eines Kulturschaffenden und Zeitkritikers, sondern von einem subversiven Idealisten, der mit Gelächter die Mächtigen zur Strecke bringen will.
Nicht viel jünger als Henning Venske habe ich mit seinen eindringlichen Erzählungen mein eigenes Erleben der gesellschaftlichen Veränderungen und der politischen Ereignisse Revue passieren lassen können. Aber ich habe das Buch auch meinen Kindern weiter empfohlen, weil sie darin konkreter als in jedem Geschichtsbuch und besser als ich mich erinnern könnte, die Nachkriegsgeschichte erzählt bekommen – politisch, wie auf den Feldern der Medien, des Theaters, der Satire und des Kabaretts. Von Wolfgang Lieb.
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Das Spannende ist, dass Henning Venske nicht nur seine früheren (Lebens-) Erfahrungen schildert, sondern dass er immer wieder aus der Erzählung aussteigt und (kursiv) Bezüge zur heutigen Zeit herstellt – sozusagen erfahrungsgespeiste Zeitkritik.
So etwa seine damalige Entrüstung über die Spiegel-Affäre 1962 und seine Enttäuschung darüber, wie das „Sturmgeschütz der Demokratie“ fünfzig Jahre später dasteht:
„2014 ist der Spiegel verkommen zu einem Vorderlader des Neoliberalismus, zu einer Bildzeitung für Leute, die sich genieren, in der Öffentlichkeit mit der Original-Bildzeitung gesehen zu werden. Und Spiegel-Online liest sich wie eine Boulevardzeitschrift für russenfeindliche Stimmungsmache, Kriegstreiberei und antisoziale Hetze. Kein Wunder, in der Chefredaktion sitzen mittlerweile die entsprechenden Fachkräfte aus dem Springer-Verlag….“
Und wenn Venske sein Erleben der „APO“ schildert, auf den Tod von Benno Ohnesorg und die Schüsse auf Rudi Dutschke und auf die „Enteignet Springer“-Kampagne zu sprechen kommt, prangert er sogleich den Zynismus des heutigen Chefredakteurs der Bildzeitung, Kai Diekmann, an, der nach der Bundestagswahl die Schlagzeile produzieren ließ: „Liebe Große Koalition, wird sind jetzt Eure APO!“
„Soviel blöde Geschichtsvergessenheit und widerliche Arroganz hat man selten: Ausgerechnet Springers Hetz- und Lügenblatt zum Sprachrohr einer neuen APO auszurufen, das ist wirklich dreist. Diese Anmaßung legt nahe, wie sinnvoll es wäre, die alte Forderung „Enteignet Springer“ wieder zum Leben zu erwecken.“
Venske war selbst kein 68er, er sieht aber die durch diese Bewegung angestoßenen positiven gesellschaftlichen Veränderungen genauso wie das, was nach dem „Marsch durch die Institutionen“ übrig geblieben ist:
„An dieser Stelle möchte ich ein bislang streng gehütetes Geheimnis verraten: Die sozialdemokratische „Reformpolitik“ (Gerhard Schröder & Co, Hartz IV und so weiter) ist nichts anderes als die Rache der 68er-Generation an der Arbeiterklasse. Denn: Die Arbeiterklasse hat sich 1968 geweigert, die Flugblätter zu verstehen, die Studenten an den Werkstoren verteilten…“
(Wobei Venske allerdings übersieht, dass Schröder nie ein richtiger 68er, sondern schon immer ein Opportunist war.)
Die „Biographie“, wie es auf dem Buchdeckel heißt, wird an zahlreichen Stellen brandaktuell und bitter:
„Offenbar glaubt Herr Gauck, dass hinter Militäreinsätzen Nächstenliebe und Wohltätigkeit stehen…Während der große Freiheitskämpfer Gauck beim Festakt am Tag der deutschen Einheit 2014 von der Freiheit schwadronierte und betonte „unser Land ist keine Insel“, sank – was für eine Koinzidenz – vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa ein Schiff mit über 350 Flüchtlingen, und den Strand füllten in Säcke gehüllte Leichen…“
Henning Venske zeichnet sich nicht als Held. Nein er beschreibt auch seine vielen Kompromisse, die er (vor allem beruflich) eingehen musste, um (ökonomisch) als freischaffender Künstler überleben zu können, aber seine eher anarchistische Empörung über die Verhältnisse hat ihn immer wieder zu neuen Herausforderungen getrieben. So hat er etwa1980 das Angebot abgelehnt für die Hamburger Grünen als Abgeordneter in den Bundestag zu rotieren, er wollte lieber kommentieren als verwalten. Und aus heutiger Sicht scheint es wie eine Bestätigung seiner damaligen Entscheidung:
„Die christliche Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt sagt in der ihr eigenen Naivität zu den Ursachen des Konflikts im Deutschlandfunk: „Jetzt geht es (in der Ukraine) um die Frage, ob man sich erpresserischer Hilfen aus Russland bedienen muss oder ob man sich konditionierter Hilfen aus der Europäischen Union bedienen kann.“ Russlands „erpresserische Hilfe“ ist für das betroffene Land gewiss kein Vergnügen. Aber was man von Brüssels „konditionierter Hilfe“ zu halten hat, sollte sich Frau Göring Eckardt bei Gelegenheit von den Arbeitslosen, Kranken, den Rentnern und den chancenlosen Jugendlichen in Griechenland, Spanien und Portugal erzählen lassen…
Sowohl im Osten wie im Westen werden die Völker mit der jeweiligen Regierungspropaganda zugeschissen.“
Bleibt – nach Charlie Hebdo – ganz aktuell noch zu klären. Was darf Satire?
„Kurt Tucholsky sagte: „Satire darf alles.“ Schade, dass wir darüber nicht mit ihm sprechen konnten: Mir war aber klar: Im „dürfen“ steckt eine Einschränkung, denn „dürfen“ und „alles“ schließen sich aus. „Dürfen“ bedeutet: Irgendwo ist eine Grenze. Satire „darf“ sich nicht „alles“ gestatten: Antisemitismus, Antikommunismus, Kinder-, Frauen-, Altenfeindlichkeit, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, Nationalismus, Volksverhetzung. Tucholsky sagte auch: „Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben, sie ist schlecht. Und nun rennt er gegen das Schlechte an.“
Charles Chaplin ergänzte: „Ein echter Satiriker kann nur ein Mensch sein, der im Herzensgrund die Menschen liebt.“
So könnte kann man das Lebensmotto des Schauspielers, Regisseurs, Radioansagers, Musikmoderators, Satirikers und Kabarettisten und Autors zusammenfassen. Bei allen Höhen und Tiefen, die eine Nachkriegsbiographie notwendigerweise mit sich bringen musste, blieb Hennig Venske der Devise treu:
„Wir müssen verlangen, dass diejenigen, die die Macht ausüben, für alles, was sie tun, rechtfertigen müssen…Politisches Kabarett war immer subversiv…auf Pointenjagd, bei der die Mächtigen mit Gelächter zur Strecke gebracht werden…“
„Einen guten Lacher soll man nicht verachten!“
, das hätte auch als Titel dieses Buches gepasst.
„Es war mir ein Vergnügen“, Hennung Venskes Biographie zu lesen.
Bibliographische Angaben:
Henning Venske, Es war mir ein Vergnügen, Eine Biographie.
Westend Verlag, Frankfurt 2014
ISBN 978-3-86489-051-2
448 Seiten; 22,99 EUR