Leserbrief zum Artikel „Die Hartz-IV-Ideologie“

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Ich möchte mich vor dem Hintergrund des Artikels „Die Hartz-IV-Ideologie“ an Sie wenden. Die von dem Autor vorgebrachten Schilderungen und Einschätzungen kann ich nur bestätigen. Schließlich unterliege auch ich seit dem erfolgreichen Abschluss meines VWL-Masterstudiums vor vier Monaten den perfiden Zwangs- und Sanktionsmechanismen, mit denen das „Hartz-IV“-Regime verbunden ist. Meine auf der – bisher erfolglosen – Suche nach einem Arbeitsplatz gesammelten Erfahrungen wurden bereits auf den Nachdenkseiten veröffentlicht.

Auf eine längere Fassung, die ich in der Community des „Freitag“ veröffentlicht hatte, haben die Nachdenkseiten im Rahmen der Hinweise des Tages vom 29. Oktober 2014 aufmerksam gemacht.

Dass ich mein Masterstudium der Volkswirtschaftslehre erst vor wenigen Monaten erfolgreich abgeschlossen habe, spielte weder für die von mir zunächst konsultierte Arbeitsagentur noch für das nun in meinem „Fall“ zuständige „Jobcenter“ eine Rolle. Schließlich wurde mir schon zu Beginn meiner Arbeitslosigkeit mitgeteilt, dass bei der Arbeitsvermittlung keine Rücksicht auf meine Qualifikation genommen werden könne und ich jede mir angebotene Arbeit annehmen müsse. So dürfe ich auch eine Tätigkeit als „Packer“ nicht ablehnen, wenn ich keine Sanktionen – in Form von Leistungskürzungen – riskieren wolle.

Beim für mich zuständigen „Jobcenter“ wurde mir noch kein einziges Stellenangebot unterbreitet.

Vielmehr wurde ich auf die vielen im Internet vorzufindenden Stellenbörsen verwiesen. Daher bewerbe ich mich ständig auf die – permanent vorzufindenden oder wiederholt auftauchenden – „Blindausschreibungen“, hinter denen kein echtes Stellenangebot steckt. So habe ich auf zig Bewerbungen – allenfalls – Absagen erhalten, da eine Antwort oftmals ausbleibt.

Da mir auch die Bewerbungserfahrungen meiner Kommilitonen und früheren Mitschüler bekannt sind, habe ich im „Jobcenter“ darauf aufmerksam gemacht, dass für meine Qualifikation relevante Stellen in der Regel über persönliche Beziehungen vergeben würden, weshalb sich die Arbeitsplatzsuche schwierig gestalte. Mir wurde von der zuständigen Sachbearbeiterin jedoch sofort entgegnet, dass es sehr wohl erfolgreiche Bewerber gebe und das „Problem“ bei mir zu suchen sei. Zudem könne das Jobcenter niemanden zwingen, mich einzustellen.

Als ich auf die Qualität meines Masterabschlusses und die erzielten Studienerfolge hinwies, wurde mir nur mitgeteilt, dass ich nicht berechtigt sei, hieraus „irgendwelche Ansprüche“ abzuleiten.

Schließlich sei die Arbeitsmarktkompatibilität meiner universitären Ausbildung anzuzweifeln, wenn ich trotz allem dazu gezwungen sei, Sozialleistungen zu beantragen. Dass ich vor dem Studium nicht erst eine Berufsausbildung absolviert habe, wurde gleich als „Vermittlungshemmnis“ interpretiert.

Anstatt meine Stellensuche zu unterstützen, wurde mir nur eine Liste regionaler Zeit- und Leiharbeitsfirmen überreicht, an die ich mich zu wenden hätte, da „Arbeit nicht verboten“ sei. Gleichzeitig wurde mir die Teilnahme an einer – von der örtlichen Handwerkerschaft durchgeführten – „Aktivierungsmaßnahme“ auferlegt. Da ich dahinter die einschlägigen Veranstaltungen vermutete, betonte ich, schon an der Universität an verschiedenen – auf Akademiker zugeschnittenen – Bewerbungskursen teilgenommen zu haben. Mein Einwand wurde aber nicht zur Kenntnis genommen.

Der mir verordnete „Aktivierungskurs“ stellte sich – von mir unerwartet – als reine Schikane in Form einer Erziehungsmaßnahme heraus. So forderte die für den Kurs zuständige „Betreuerin“ mich dazu auf, einen „Maßnahmenvertrag“ zu unterzeichnen. Mit diesem verpflichtet sich der Kursteilnehmer dazu, – auf unbestimmte Zeit – wöchentlich mehrere ganztägige „Präsenztermine“ wahrzunehmen.

Um den eigentlichen Inhalt dieser Veranstaltungen zu ermitteln, las ich mir den – mehrere Seiten umfassenden – „Maßnahmenvertrag“ durch. Dieser schreibt den Teilnehmern unter anderem vor, pünktlich zu erscheinen, während der Veranstaltung nüchtern zu bleiben, nur in festgelegten Pausenzeiten zu essen, sich leise zu verhalten, kein Mobiltelefon mitzubringen und das Gebäude nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Kursleitung zu verlassen. Als ich dann auch noch las, dass körperliche Gewalt gegen andere Kursteilnehmer und die Kursleitung verboten sei und mit einem Ausschluss von der „Aktivierungsmaßnahme“, Hausverbot und Sozialleistungskürzungen verfolgt würde, fragte ich nach dem eigentlichen Inhalt und Sinn der Veranstaltung. Auf meine Anfrage teilte man mir mit, dass der Kurs das Ziel verfolge, den Teilnehmern die „Strukturierung des Tages“ und „Selbstdisziplin“ beizubringen. Schließlich richte sich der Kurs vor allem an alkohol- und drogenkranke Langzeitarbeitslose, die auf ein geregeltes Leben vorbereitet werden sollen. Außerdem könne man Menschen beim Verfassen einer Bewerbung unterstützen, wenn dies Probleme bereite.

Als ich erzählte, dass ich Akademiker sei und erst kürzlich sehr erfolgreich mein wirtschaftswissenschaftliches Studium abgeschlossen hätte, zeigte man sich verwundert, dass mir die Teilnahme an einer derartigen Veranstaltung auferlegt worden ist. Später hat sich mir der eigentliche Zweck dieser „Maßnahme“ offenbart: Während der Dauer dieses – als Berufsvorbereitung interpretierten – „Aktivierungskurses“ würde ich dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, sodass ich aus der Arbeitslosenstatistik getilgt wäre.

Vor dem Hintergrund meiner bisherigen Erfahrungen kann ich nur bestätigen, dass die vermeintliche „Hilfe“ der sogenannten „Jobcenter“ allein darauf ausgelegt ist, durch Sanktionen – zu Lasten der Arbeitslosen – Einsparungen zu erzielen und eine massive Kosmetik der Arbeitsmarktstatistiken zu erreichen. Aus dieser zynischen Strategie resultieren für die Betroffenen ständige Demütigungen, Erniedrigungen und Ausgrenzungen.

Ich habe die für meine Region verantwortlichen Abgeordneten im Land- und Bundestag, die zuständigen Ministerien, die Jugendorganisationen der Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mit meinen – den angeblichen „Fachkräftemangel“ betreffenden – Erfahrungen konfrontiert, weshalb ich derzeit auf entsprechende Antworten warte – und hoffe.

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