Wann endlich kehrt die Vernunft zurück in die deutsche Wirtschaftspolitik?!
Märzheft con “Metall”, erster von zwei Beiträgen zur Rubrik “Der Monatsökonom”.
Anfang Februar wurden über fünf Millionen registrierte Arbeitslose gemeldet. Die deutsche Wirtschaft stagniert; sie leidet nachweisbar unter der Schwäche der sogenannten Binnennachfrage, die wesentlich aus der schwachen Lohnentwicklung folgt. Seit 1980 sind die Netto-Real-Einkommen je Arbeitnehmer, also das, was zum Einkauf bleibt, um insgesamt nur 1,8% (!) gestiegen.
Das ist die Diagnose. Und was ist die Antwort des zuständigen Ministers auf den Anstieg der Arbeitslosigkeit? Bei Sabine Christiansen meinte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, um den Standort wettbewerbsfähig zu halten, sollten wir die Unternehmensbesteuerung absenken. Also noch eine Reform, und wieder einmal zugunsten der oberen Einkommen. Wirkt die Medizin nicht, dann wird die Erhöhung der Dosis verlangt. Mit der Logik wirtschaftlicher Wirkungszusammenhänge hat dies nichts zu tun. Es ist einfach die Fortsetzung der schon bisher nicht zu begreifenden Politik der Steuergeschenke für die Bessergestellten und die großen Kapitalgesellschaften, die mehr und mehr den Staat und dabei vor allem die Gemeinden handlungsunfähig macht.
Die Tabelle zeigt eine Auswahl der Steuergeschenke von Kohl bis Schröder. Sie waren immer schon mit der Erwartung „verkauft“ worden: wenn die Steuern gesenkt würden, dann springe Produktion und Investition an. Nichts davon ist eingetreten.
Tabelle: Gravierende Steuerreformen in den letzten 20 Jahren
1. | Streichung der Vermögenssteuer |
2. | Streichung der Gewerbekapitalsteuer |
3. | Kürzung der Körperschaftssteuer |
4. | Erlass der Besteuerung der Gewinne bei Verkauf von Unternehmensteilen |
5. | Senkung des Spitzensteuersatzes auf 42% |
6. | Amnestie für Steuersünder |
7. | Korrektur des Halbeinkünfteverfahrens zugunsten der Versicherungswirtschaft. = rund 5 Mrd. Euro Steuererlass |
Nach neoliberaler Theorie müssten die Investitionen „brummen“.
Wo sind die Erfolge geblieben?
Warum sollten Unternehmen investieren und mehr produzieren, wenn sie nicht mehr Umsatz erwarten können? Selbst solche einfachen Regeln der Ökonomie begreifen unsere Spitzenpolitiker parteiübergreifend nicht. Sie glauben oder geben vor zu glauben: Wenn die Unternehmer weniger Steuern auf ihre Gewinne zahlen müssen, dann investieren sie und produzieren mehr. Fachleute außerhalb unseres Landes wundern sich über die hier erkennbare Unfähigkeit der in Deutschland Verantwortlichen, die Konjunktur pragmatisch und erfolgreich zu steuern. „Die deutsche Wirtschaft schwächelt nun schon seit einer Dekade. Wenn ich ein Manager wäre, würde ich meine Produktion auch nicht ausweiten, solange die Märkte nicht erkennbar expandieren,“ meinte der Nobelpreisträger für Ökonomie Robert Solow in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“. Makropolitik – das ist die Politik zur Steuerung der Konjunktur – beherrsche vermutlich niemand perfekt. „Aber mir scheint offensichtlich: in Deutschland könnte man sie wesentlich besser machen.“
Man könnte sie besser machen. Das hieße konkret: der Staat muss in der jetzigen Konjunkturkrise gegensteuern, er muss die Binnennachfrage mit eigenen Programmen anregen, statt sie mit weiteren Sparmaßnahmen noch mehr abzuwürgen; er muss in der jetzigen Situation zu besseren Löhnen ermuntern statt die Lohndrückerei mitzumachen und zu stützen, die zur Zeit in Deutschland bittere Mode geworden ist. Wer ein bisschen Ahnung hat von Wirtschaftskonjunkturen, weiß, dass die Hälfte Psychologie ist. Er muss also Mut machen zum Geldausgeben. Er muss aufhören, den Standort Deutschland und seine Strukturen schlecht zu reden.
Genau dies aber tun die sogenannten Reformer unentwegt. So auch jetzt wieder, wenn ihnen bei der Nachricht über die Rekordarbeitslosigkeit nur einfällt, die Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland sei mit 38% zu hoch. Das ist die nominelle Steuerbelastung; die tatsächliche Belastung, also nach Berücksichtigung verschiedener Abzugsmöglichkeiten, liegt bei rund 22% und damit unter der des Durchschnitts der 15 alten EU-Länder (29,8%), und z.B. von Frankreich (39,1%) und Großbritannien (35,1%). Sie reden nicht über die Qualitäten und Vorteile unseres Landes. Sie überzeichnen stattdessen Belastungen und angebliche Nachteile wie im konkreten Fall die nominell hohe Unternehmenssteuerbelastung.
Würden sie unserem Land Gutes tun wollen, dann müssten sie seine Qualitäten preisen. Sie müssten z.B. vom vergleichsweise hohen Ausbildungstand und von der guten Infrastruktur, die ja die Gegenleistung für die Steuern darstellt, reden. Auch der deutsche Wirtschaftsminister müsste wissen, dass die Steuerbelastung noch nicht sehr viel sagt über die wirtschaftliche Qualität und den Erfolg eines Landes. Auch ihm müsste das Beispiel Schweden zu denken geben. Dort liegt die Steuerbelastung weit über der unseren. Schwedens reales Wirtschaftswachstum liegt dennoch seit 10 Jahren weit über dem EU-Durchschnitt, im Jahre 2004 bei 4%. Schwedens Finanzminister will die Steuern sogar noch erhöhen, um öffentliche Dienstleistungen zu verbessern. Das Wirtschaftswachstum in Deutschland stagniert dagegen seit Jahren und erreichte im letzten Jahr gerade mal 1,6% und im Durchschnitt aller Jahre seit 1992 gerade mal 1,3% – und das trotz der beschriebenen massiven Steuersenkungen für Unternehmen und die Bessergestellten. Offenbar ist diese Politik nicht nur ungerecht; sie ist auch unvernünftig, weil sie uns nicht aus der wirtschaftlichen Krise hilft.