Betreff: Privatvorsorge – Verführung auf allen Kanälen
Hermann Zoller zeigt in seinem Kommentar, wie sich einzelne Medien zum Helfer der Versicherungswirtschaft machen lassen, ohne dass die Leser dies klar erkennen können.
Bei der Einordnung dieses Vorgangs muss man sich immer wieder vor Augen halten, dass die Hauptbotschaft der werbetreibenden Finanzwirtschaft – die gesetzliche Rente bringe es nicht mehr – bewusst von der Politik arrangiert worden ist. Durch Erhöhung des Renteneintrittsalters, durch Nullrunden, durch finanzielle Subvention der Privatvorsorgesystemen wie Riester-Rente und Rürup-Rente, und so weiter. Diese Privatvorsorge-Systeme wären ohne Subvention des Steuerzahlers unattraktiv. Ihre Renditen sind übrigens höchst zweifelhaft. Albrecht Müller.
Zeitungen als willige Werbeträger
Nachdem die Bundesregierung den Tisch gedeckt hat, bedienen sich die privaten Versicherungen nach Herzenslust. Auf allen Kanälen senden sie Verlockungen aus, um die Menschen zum Abschluss einer zusätzlichen Altersversicherung zu bringen. Sie können wunderbar an das anknüpfen, was die Reformpolitiker an Sprechblasen ausstoßen.
So wird Optimismus verbreitet: „Nach anfänglichem Zögern haben die Deutschen die Vorteile einer privaten Altersvorsorge entdeckt“, beginnt eine dreiteilige „Sonderveröffentlichung“ in den „Stuttgarter Nachrichten“ und in der „Stuttgarter Zeitung“. Sicherheitshalber wird aber gleich nachgestoßen: „Vor allem für junge Menschen führt kein Weg daran vorbei, mit staatlicher Unterstützung eine zusätzliche Altersabsicherungen aufzubauen.“ An anderer Stelle heißt es wissenschaftlich neutral und Ängste schürend: „Nach Berechnungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wird langfristig die staatliche Vorsorge von heute etwa 67 Prozent auf unter 50 Prozent des letzten Nettoeinkommens sinken.“ Die Schlagzeile unterstreicht den gewünschten Trend: „Umbau des Rentensystems macht Fortschritte.“
Fortschritte macht vor allem auch die Korrumpierung unserer unabhängigen und freien Medien. Auf den drei Zeitungsseiten (erschienen am 2., 9. und 16. Juli 2007) wird dann ganz neutral und unabhängig über die Möglichkeiten einer – privaten – Vorsorge informiert. Die Seiten sind wie die üblichen redaktionellen Seiten der Zeitungen gestaltet. Leser und Leserin sollen dazu verführt werden, diese „Sonderveröffentlichung“ als einen Service der Redaktion, also als ein journalistisches Informations-Angebot zu verstehen.
Die Seiten haben selbstverständlich ein Impressum, das die Verlage juristisch absichert, aber von den meisten Leserinnen und Lesern in seiner Bedeutung, dass es sich bei diesen „Sonderveröffentlichungen“ schlicht um Anzeigen der privaten Versicherungswirtschaft handelt, nicht erkannt wird: Medienkooperation der Stuttgarter Zeitung Werbevermarktung GmbH & Co. KG mit „Zukunft klipp + klar“, dem Informationszentrum der deutschen Versicherer.
Die Werbefachleute in den PR-Agenturen und in den Zeitungsverlagen wissen was sie tun: Sie höhlen auf unverantwortliche Weise den journalistischen Auftrag der Medien aus und führen die Bürgerinnen und Bürger an der Nase herum. Und die beiden Stuttgarter Blätter werden sicherlich nicht die einzigen sein, die ihren Leserinnen und Lesern diese „Sonderveröffentlichung“ bieten.
Hermann Zoller