Halt die Presse
Mit allen Mitteln versuchen Topmanager, ihr Bild in der Öffentlichkeit zu manipulieren. Zum Schaden der Pressefreiheit. Und oft auch zum Schaden der Unternehmen selbst. Mit dieser Überschrift druckt das wirtschaftsfreundliche manager-magazin eine hochaktuelle und spannende Analyse von Martin Noé und Ursula Schwarzer ab, die darstellt mit welch dreisten Methoden die Wirtschaft die Medien instrumentalisiert.
Als wir vor dreineinhalb Jahren mit den NachDenkSeiten ins Netz gingen, haben wir mit unseren Rubriken „Manipulation des Monats“ und „Strategien der Meinungsmache“ manche Kritik ausgelöst. Wir würden die Beeinflussung der veröffentlichten Meinung durch mächtige Wirtschaftsgruppen übertreiben oder überschätzen, ja wir würden hinter bestimmten politischen Kampagnen geheime Netzwerke oder gar Verschwörungen wittern. Dass wir mit unseren Vorwürfen über die gängigen Meinungsmanipulationen ziemlich richtig lagen, das belegt diese Analyse, die wir Ihrer Lektüre dringend empfehlen. Wolfgang Lieb.
„Der Machtkampf bei Siemens ist der vorläufige Höhepunkt einer Fehlentwicklung, in der die Medien zur Billardkugel der Topmanager werden. Man spielt über Bande. Und die Wahrheit – ein großes Wort – wird zur Quantité négligeable. Flächendeckend versuchen PR-Strategen, Spezialagenturen und persönliche Berater, die Redaktionen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Medienberater sorgen für Desinformationen. Unternehmenschefs lassen bei unbotmäßigem Verhalten schon mal mit Anzeigenboykott drohen. Und wenn wirtschaftlicher Druck allein nicht hilft, setzen sie Presseanwälte in Marsch“, so beginnt die Analyse.
Es gelinge der Wirtschaft immer häufiger, positive Geschichten zu ermauscheln und kritische Analysen zu unterdrücken. Viele Verlage und Sender leisteten den modernen Agitprop-Profis kaum mehr Widerstand. Die Medien seien nur bedingt abwehrbereit, wirtschaftlich geschwächt, personell ausgedünnt, von purem Kostendenken durchzogen.
Leser, Zuschauer und Zuhörer bekämen mehr und mehr Geschichten serviert, die nicht in den Redaktionshäusern, sondern in Pressestellen entstanden seien. Oder sie läsen eine Geschichte, die lanciert wurde, um eine kritische Story zu verhindern oder doch wenigstens zu konterkarieren.
In anderen Fällen reichte die Einflussnahme noch weiter. Viele Leser erführen erst gar nicht von Recherchen eines Journalisten, weil die Story vom Chefredakteur in vorauseilendem Gehorsam in den Papierkorb befördert wurde.
Immerhin 33 Prozent der 2004 von Mainzer Publizistikprofessoren befragten 260 deutschen Tageszeitungsredakteure hätten angegeben, sie hätten mindestens ein- bis zweimal erlebt, dass eine wichtige Nachricht gegen ihren Willen zurückgehalten wurde. 23 Prozent meinten, dies sei aus Rücksicht auf Anzeigenkunden geschehen.
Üppig ausgestatteten PR-Abteilungen stünden ausgemergelte Redaktionen gegenüber. Und die seien oft auf die Texte aus den Pressestellen angewiesen.
Wer als Journalist Tabus bräche, laufe Gefahr seinen Job zu verlieren.
Das Erfreuliche und zugleich Mutige ist, dass Noé und Schwarzer Ross und Reiter nennen. Man erfährt von Anzeigenboykotts der Supermarktkette Lidl als Androhung gegen missliebige Beiträge. Die Deutsche Bahn werbe seit Jahren so gut wie gar nicht mehr in “Capital” und „manager magazin“, weil Vorsteher Hartmut Mehdorn (64) die kritischen Bahn-Analysen am liebsten unterbinden wolle. Die Boykottandrohungen von „Ratiopharm“ gegen den “Stern”, der 2005 aufgedeckt hatte, dass Ärzte von Vertretern des Generikaherstellers mit üppigen Geschenken bedacht worden waren, werden ebenso genannt, wie die von L’Oréal oder der Deutschen Bank.
Der Finanzdiensleister Morgan Stanley habe in seinen Werbeverträgen sogar eine Klausel, dass die Werbeagentur zu benachrichtigen sei, wenn „beanstandungswürdige“ redaktionelle Beiträge geplant seien.
Leisteten sich bislang hauptsächlich Frauenzeitschriften und Lifestylemagazine Schleichwerbung, so fänden sich inzwischen auch in seriösen Blättern umfassende Specials, Beilagen und Advertorials, mal mehr, mal weniger deutlich als Werbung gekennzeichnet. Die Grenzen zwischen Anzeigen und Redaktion würden endgültig verwischt – mit fatalen Folgen für die Glaubwürdigkeit des Journalismus.
Besonders toll trieben es die privaten Hörfunk- und Fernsehstationen. Sie ließen sich von Firmen produzierte Porträts zuliefern. Oder sie würden die Chefs von Finanzdiensleistern als so genannte Experten einladen, die Börsentipps geben.
In Konzernen und bei großen Mittelständlern arbeiteten Heerscharen gut ausgebildeter, über hohe Budgets verfügender Kommunikationsspezialisten. So fänden PR-Inszenierungen immer leichter Eingang in Tageszeitungen und Zeitschriften, TV-Programme und Hörfunksendungen. Selbst die vermeintlich unabhängige Presseagentur DPA greife häufig auf PR-Meldungen zurück.
Die Schar der hauptberuflich tätigen Journalisten habe sich seit den 90er Jahren von ehemals 55.000 auf jetzt rund 48.000 verringert. Gleichzeitig sei die Zahl der PR-Mitarbeiter von 15.000 auf 25.000 gestiegen. (Wenn man die Lobbyisten noch hinzuzählt, sind die Journalisten längst in der Minderheit. WL) Üppig ausgestatteten PR-Abteilungen stünden ausgemergelte Redaktionen gegenüber. Und die seien oft auf die Texte aus den Pressestellen angewiesen.
„Viele auch ehemals gute Journalisten folgen dem Lockruf des Geldes und wechseln die Seiten. So wie Ex-“Wirtschaftswoche”-Chefredakteur Stefan Baron (das Angebot sei “einfach unwiderstehlich” gewesen), der für ein Mehrfaches seines Gehalts als oberster Pressesprecher zur Deutschen Bank ging. Oder der leitende “FAZ”-Redakteur Folker Dries, der jetzt bei der Kommunikationsagentur Hering Schuppener unterschlüpft. Sein neuer Arbeitgeber gehört zur kleinen, aber höchst einflussreichen Zunft der Finanzkommunikatoren. Die Kapitalmarktspezialisten tauchen auf, wenn Firmen an die Börse streben oder wenn sich Unternehmen zusammenschließen“, heißt es in dem Beitrag weiter.
Egal ob PR-Agenten, Finanzkommunikatoren oder Spin-Doctors – Jahr für Jahr würden ihre Umsätze, dem boomenden Kapitalmarkt sei Dank, steigen.
Selbst finanzstarke Verlage gerieten in Bedrängnis, wenn die Macher in den Topetagen ihr letztes Geschütz aufführen: die Presseanwälte. In deren Arsenalen lagerten Marterwerkzeuge wie Unterlassung und Gegendarstellung, Richtigstellung und Widerruf, Schmerzensgeld und Schadensersatz.
„Hat die vierte Gewalt als Kontrollinstanz also an Einfluss verloren?“ fragen Noé und Schwarzer am Ende ihres Beitrags. Sie zitieren Jürgen Habermas, der in einem Beitrag für die “Süddeutsche Zeitung” unlängst fragte, ob nicht der Staat den Qualitätsjournalismus schützen müsste. Stiftungsmodelle mit öffentlicher Beteiligung oder Steuervergünstigungen für Familieneigentum könnten ein gangbarer Weg sein. “Argwöhnische Beobachtung ist geboten”, mahnt Habermas, weil sich “keine Demokratie ein Marktversagen auf diesem Sektor leisten kann”.
Die Autoren kommen zwar zum Fazit, dass vor allem durch die Skandale auch die Manager in den Chefetagen wieder umdenken könnten. Sie sehen wohl auch ihren Beitrag als Beleg dafür an, dass zumindest das zum Bertelsmann-Konzern gehörende manager-magazin seine Unabhängigkeit bewahrt habe.
Doch so sehr wir diesen Beitrag begrüßen und unterstützen: Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. (Und wer weiß welchen Pressionen die Autoren jetzt ausgesetzt sein werden.)
Wir von den NachDenkSeiten freuen uns natürlich darüber, dass wir nun sogar einmal von einem sicherlich nicht wirtschaftskritischen Magazin in unserem Anliegen Unterstützung erfahren, in unserer Kritik an der Meinungsbeeinflussung, ja an der Manipulation der veröffentlichten Meinung durch mächtige Wirtschaftsinteressen und deren Protagonisten.
Im Gegensatz zu sonstigen Meldungen des manager-magazins dürfte allerdings, diese kritische Analyse, wie auch unsere Beiträge zum Thema Meinungsmanipulation keine hohe Nachdruckquote in anderen Medien erfahren. Sonst müssten ja die meisten Verleger und Chefredakteure über die großen dunklen Schatten springen, die sich über die Pressefreiheit in Deutschland gelegt haben.
Die Medien sollen nach dem Verständnis unseres Grundgesetzes Faktor und Träger der öffentlichen Meinungsbildung und damit demokratischer Willensbildungsprozesse sein. Wie wir auf den NachDenkSeiten nahezu täglich belegen (müssen), können wir nur – Al Gore zitierend – feststellen: „Es ist etwas entsetzlich schief gelaufen“.
Wir können nur hoffen, dass dies immer mehr Leute so sehen und sich mit uns fragen, was da schief gelaufen ist.