Sozialstaatsfeindlich

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„GELD-SCHOCK! Arbeiten wir bald NUR noch für den Staat“ fragt BILD auf Seite eins, „Nur 47% des Einkommens bleiben im Portemonnaie“ „berichtet“ die Tagesschau, „Von jedem Euro bleiben nur noch 47 Cent“ das ZDF, erst ab dem 13. Juli, 11.40 Uhr arbeiteten wir in diesem Jahr in die eigene Tasche, so die FR und fast alle anderen Medien ebenso plapperten die dummdreiste Milchmädchenrechnung des selbsternannten „Bundes der Steuerzahler“ nach, der vorrechnete, dass nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben von einem Euro nur noch 47 Cent netto in der Tasche der Beschäftigten blieben. In einer üblen Stimmungsmache werden die 20 Cent, die an die gesetzliche Renten-, Kranken-, Pflege und Arbeitslosenversicherung abgeführt werden, dem „gefräßigen Monster“ Staat zugeschlagen. Würden die Bürgerinnen und Bürger etwa weniger bezahlen, wenn sie privat versichert wären? Wolfgang Lieb.

„Starve the biest“ (Hungert das Biest aus) war der Schlachtruf der marktradikalen Reaganomics, mit dem sie nicht nur die Senkung der Steuern (vor allem für Unternehmen und Besserverdienenden) durchsetzten sondern auch ein staatliches Gesundheitssystem in den USA bekämpften. Mit wenig Erfolg im Übrigen; in der Amtszeit Ronald Reagens stieg die Staatsverschuldung dort um jährlich knapp 14 Prozent um 1.670 Milliarden Dollar auf Zweitausendsechshundert (!) Milliarden Dollar.

Mit dem gleichen Kampfruf ziehen seit Jahren der sich selbst als Interessenvertreter der Steuerzahler aufschwingende „Bund der Steuerzahler“ (BdSt) und dessen pharisäerhafter Vorsitzender Karl Heinz Däke gegen Steuern und Sozialabgaben zu Felde. Dabei liegt die Staatsquote schon auf einem historischen Tiefstand [PDF – 92 KB].

In diesem „Bund“ kommen die Steuerzahler zu 60 bis 70 Prozent aus Unternehmen und dem gewerblichen Mittelstand. Kein Wunder also, dass kein kritisches Wort zur letzten Unternehmenssteuersenkung mit einer Bruttoentlastung von knapp 30 Milliarden zu hören war.
Sein Wortführer Däke wird auch nicht müde, die Diäten der Abgeordneten zu attackieren. Dass er selbst im Glashaus sitzt und als Präsident des BdSt drei Gehälter von mehr als 185.000 Euro pro Jahr kassiert hat und dazu noch für Vorträge Beträge in fünfstelliger Höhe einsackt, scheint ihm keineswegs die Schamesröte ins Gesicht zu treiben.

Man kann uns von den NachDenkSeiten gewiss nicht vorwerfen, dass wir wegen ihrer konjunkturschädlichen Wirkung nicht gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer argumentiert haben, zumal mit dieser Steuererhöhung vor allem diejenigen Haushalte belastet werden, die den größten Teil ihres Einkommens in ihren alltäglichen Konsum stecken müssen. Wir halten es auch für geradezu skandalös, wenn im Gegenzug die Steuern auf Vermögen und Kapitalerträge gesenkt werden. Wir haben auch die Kürzung der Pendlerpauschale, der Sparerfreibeträge, die Senkung der Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge oder die Erhöhung der Versicherungssteuer im Rahmen der „Reform“-Politik als Griff in die Taschen der Normal- und Geringverdiener oder der ohnehin nicht besonders Betuchten, wie der Rentner, der Studierenden oder der Familien mit Kindern in Ausbildung kritisiert und als absolut untaugliches Mittel zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen dargestellt.

Dem Steuerzahlerbund geht es aber nicht um Steuergerechtigkeit, sonst müsste er den Anstieg des Anteils der Einkommensteuer am gesamten Steueraufkommen von 1950 von 18,5% auf über 30% (BMF) schon längst als „Marsch in den Lohnsteuerstaat“ kritisiert haben. Und er dürfte vor allem nicht gleichzeitig wohlwollend hinnehmen, dass der Anteil der Gewinn- und Vermögenssteuern von 1977 auf 2002 von 29% auf 14% gefallen ist (WSI-Info Nr. 3/2004).

Der BdSt will vor allem den „schlanken“, um nicht zu sagen den ausgehungerten Staat, er will Privatisieren und ihm wäre am liebsten, wenn statt (sozial gestaffelter) Steuern gleiche Gebühren für die verbliebenen Leistungen der Daseinsvorsorge bezahlt werden müssten.

Vor allem aber geht es dem Steuerzahlerbund um die Senkung oder besser gleich Abschaffung der Sozialabgaben, die privat finanziert werden sollen und am besten mit einer für alle gleich hohen Kopfpauschale.

Er bedient sich bei diesen Forderungen des demagogischen Tricks, dass er sämtliche Sozialversicherungssysteme „dem Staat“ zuschlägt. Es wird schlicht geleugnet, dass die umlagefinanzierte Rente eine dem Staat ausgegliederte Selbstverwaltungseinrichtung ist, es wird negiert, dass die gesetzlichen Krankenkassen in staatsunabhängigen Rechtsformen organisiert sind und es bis zu einer Einkommensgrenze nur eine gesetzliche Versicherungspflicht bei einer der weit über zweihundert Orts-,Betriebs-, Innungs- oder sonstigen Ersatzkassen gibt. Es wird so getan, als ob die von den Beiträgen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber finanzierte Arbeitslosenversicherung zum Fiskus gehöre.
Mit der gleichen Argumentation könnte man auch noch die Mieten einer städtischen Sozialwohnung oder sogar die Fahrtkosten für die kommunale Straßenbahn oder für die (noch) zum Bundesvermögen gehörenden Deutschen Bahn, oder den Besuch im öffentlichen Zoo vom Gehalt der Arbeitnehmer abziehen und die Ausgaben dafür dem „Monster“ Staat zurechnen.

Worüber bei dieser Argumentation in sozialstaatsfeindlicher Absicht hinweg gelogen wird, das ist die Tatsache, dass wenn die Sozialversicherungssysteme sämtlich privat organisiert wären und dem Geschäft der Finanzdienstleister überlassen würden, dass dann dem Bürger noch viel mehr Geld aus der Tasche gezogen würde. Denn nach aller Erfahrung sind die privaten Vorsorgeversicherungen erheblich teuerer. Das ergibt sich schon daraus, dass sie viel höhere Akquisitions- Overhead- und Werbekosten haben.
Den Bürgerinnen und Bürgern blieben also erheblich weniger „netto übrig“ und manche würden vielleicht sogar bis in den August oder September eines jeden Jahres ausschließlich für Steuern und ihre private Versicherungen mit ihren Kopfpauschalen arbeiten.

Aber auf so einfache und nahe liegende Rechnungen kommen unsere Papagei-Papageien in ihren Redaktionsstuben nicht mehr.
Sie sind für den starken Staat vor allem, wenn es um die innere Sicherheit geht, aber nicht, wenn es um Soziales geht.

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