Wahlkampfspots aus Griechenland (2)
Hier ein zweiter Blick auf den griechischen Wahlkampf, der zwei Wochen vor dem Urnengang am 25. Januar weiter eskaliert. Von Niels Kadritzke.
Samaras hetzt weiter
In meinem ersten Spot (vom 8. Januar) habe ich über die schamlose Ausbeutung des Pariser Attentats durch Regierungschef Samaras berichtet. Nachdem er sich durch seine Präsenz bei der Solidaritätskundgebung der Staatsmänner und -frauen einen attraktiven Fototermin mit den Spitzen der europäischen Politiker arrangieren konnte, setzen seine PR-Leute verstärkt auf die suggestive Verkettung der Themen Terrorismus, Migranten und Syriza. Seit gestern haben sie einen Wahlkampfspot geschaltet, der unter dem ND-Wahlslogan „Wir sagen die Wahrheit, wir garantieren die Zukunft“ läuft. Es beginnt mit Bildern von der Solidaritätsdemonstration in Paris, um dann verbal zur Sache zu kommen: „In der Stunde, da Europa sich wehrhaft macht, fordert Syriza die Entwaffnung der Polizei, die Abschaffung der Gefängnisse, laschere Sicherheitsmaßnahmen gegen Terroristen und die regellose Vergabe der Staatsbürgerschaft (gemeint ist die Einbürgerung von Migranten, NK). Die Wahrheit ist: Die Syriza will Griechenland zu einem ungeschützten Land machen, will die Polizei entwaffnen und der Fähigkeit berauben, die Bürger zu schützen.“ Das Ganze endet mit dem Ruf: „Nea Dimokratia – die Sicherheit der Griechen ist nicht verhandelbar.“
Ein Kommentar erübrigt sich, bis auf den Hinweis, dass die Syriza natürlich nichts von all dem fordert, was in dem Spot behauptet wird. Die Zuspitzung des Wahlkampfs auf solche Themen ist ein klares Zeichen der Verunsicherung. Nachdem die ND gemerkt hat, dass die Grexit-Debatte weder in Europa noch bei den Wählern die Stimmung gegen die Syriza dreht, greifen ihre Wahlkampfstrategen zur nächsten Keule. Dabei scheint ihnen zunehmend egal zu sein, wie das Image von Samaras im Rest Europas wahrgenommen wird. Nicht einmal der Front National in Frankreich hat es gewagt, „den terroristischen Angriff mit den Migranten in ihrer Gesamtheit zusammen zu bringen“, vermerkte gestern die Efimerida ton Syntakton. Das leistet sich in Europa nur der Regierungschef eines Landes, in dem der Terror auf den Straßen von den einheimischen Neonazis ausgeht und fast ausschließlich gegen Flüchtlinge und Migranten gerichtet ist.
Ein illegales Wahlversprechen
Im Übrigen führen Samaras und die ND ihren Wahlkampf auf lokaler Ebene mit den üblichen „succes stories“ und Zusagen. Auf jeder Station durch die griechische Provinz zählt der Regierungschef auf, welche Wunderwerke gerade in dieser Gegend entstehen werden. Die versprochenen Wohltaten sollen in der Regel aus den EU-Investitionskassen finanziert werden, was bedeutet, dass Samaras den griechischen Anteil an diesen Finanzmitteln in seinen Wahlreden schon weit überzogen hat. Eine besonders dreiste Zusage gab er in Thessalien ab, wo die reichsten griechischen Bauern zu Hause sind. Denen haben schon viele Regierungschef ein kostbares Gut versprochen, das nur auf Kosten des Gemeinwohls und der Natur geliefert werden kann: gewaltige Wassermengen aus dem Fluss Acheloos, das durch einen gigantischen und gigantisch teuren Tunnel in die thessalische Ebene gelenkt werden soll. Allerdings hat die griechische Justiz das ganze Projekt längst für illegal (weil zu umweltschädlich) erklärt und im Januar 2014 mit einer Entscheidung der letzten Instanz endgültig untersagt. Aber diese Bagatelle kümmert Samaras nicht: Der Chef der griechischen Exekutive macht seinen Wählern Versprechungen, als gebe es in seinem Land keine dritte Gewalt. Was zeigt, dass er entweder die thessalischen Bauern für dumm, oder den Rechtsstaat für manipulierbar hält.
Würden die europäischen Medien dem ND-Regierungschef nur halb so viel Aufmerksamkeit widmen wie dem angeblichen „Anti-Europäer“ Tsipras, könnten sie tagtäglich über das große Paradoxon dieser Wahlen berichten: Wie der Mann, der erklärtermaßen Griechenland reformieren und die Machtübernahme des „Populisten“ Tsipras verhindern will, einen schamlos populistischen Wahlfeldzug betreibt – im Stile des ewigen Klientelpolitikers, der er tatsächlich ist.
Die neuesten Wahlprognosen
Inzwischen liegen die ersten Umfragen vor, die schon die Papandreou-Partei Kidiso (Bewegung der Demokraten und Sozialisten) einbeziehen, die am 3. Januar dieses Jahres gegründet wurde. Nach den Umfragen der demoskopischen Institute Alco und Kapa Research (im Auftrag der Sonntagszeitungen „Proto Thema“ bzw. „To Vima“) liegt die Syriza nach wie vor um 3,2 bzw. 2,6 Prozent vor der ND. Die Papandreou-Partei bleibt mit 2,4 bzw. 2,8 Prozent unter der 3-Prozent-Grenze und würde es mit diesem Wahlergebnis nicht ins Parlament schaffen. Als drittstärkste Partei weisen beide Umfragen die relativ „junge“ „Reformpartei“ To Potami aus, die auf 6,5 bzw. 4,5 Prozent kommt. Es folgen ungefähr gleichauf (um die 5 Prozent schwankend) die Pasok, die kommunistische KKE und die faschistische Chrysi Avgi (ChA). Noch hinter der Kidiso liegt (mit 2,2 bzw. 2,6 Prozent) die rechtspopulistische Anti-Memorandums-Partei Anel (Unabhängige Hellenen), die wie die Papandreou-Partei den Einzug ins Parlament wohl nicht schaffen dürfte.
Diese Umfragen zeigen drei wichtige Trends auf: Zum einen ist der Vorsprung der Syriza vor der ND zwar reduziert, bleibt aber stabil. Zum zweiten spielt sich im Bereich der „linken Mitte“ ein Verdrängungswettbewerb ab, der als möglichen Koalitionspartner der Syriza wahrscheinlich nur To Potami und die Pasok übrig lässt. Und drittens ist noch etwa jeder zehnte Wähler unentschieden; wie dieses Reservoir (von 9,6 bzw. 12,6 Prozent) von den Parteien genutzt wird, könnte also für den Wahlausgang entscheidend werden.
Allerdings gelten für die aktuellen Umfragen noch verstärkt die Vorbehalte, die ich an anderer Stelle formuliert habe (NDS vom 14. Januar 2014). Bei den Telefoninterviews weigern sich viele Wähler, die „Sonntagsfrage“ zu beantworten (das ist auch der Grund, warum die meisten Demoskopen davon ausgehen, dass die Neonazis der ChA besser abschneiden werden, als die aktuellen Umfragen anzeigen).
Dabei muss man wissen, dass die griechischen Bürger den Umfragen generell misstrauen und ihre eigenen Einschätzungen eher auf Gespräche und „Umhören“ in ihren persönlichen Kreisen stützen. Diese Eindrücke sind auch deshalb ziemlich zuverlässig, weil man von den meisten Nachbarn, Bekannten und Kollegen weiß, wie sie „traditionell“ gestimmt haben. Das subjektive Gespür für den politischen Wandel ist also womöglich ein besseres prognostisches Instrument als die demoskopischen Umfragen. Das vielleicht wichtigste Datum ist deshalb, wie die Befragten die Siegesaussichten der Parteien einschätzen. Bei allen Umfragen der letzten Wochen meinen deutlich über 60 Prozent der Wähler, dass die Syriza stärkste Partei wird, während weniger als 30 Prozent die Nea Dimokratia vorn sehen. Das lässt den Schluss zu, dass die ND den Vorsprung der Syriza bis zum 25. Januar nur sehr schwer aufholen kann.
Eine Umfrage im Auftrag der Syriza
Dass Umfragen mit Vorsicht zu genießen sind, demonstriert allerdings auch die Syriza-Parteizeitung namens Avgi (Morgenröte, der Name existiert schon viel länger als die faschistische Partei „goldene Morgenröte“). Sie beauftragte das Institut Public Issue mit einer Umfrage, deren Resultate sie am 11. Januar publiziert hat. Das wichtigste Ergebnis ist, dass für die Syriza ein Vorsprung von 8 Prozent prognostiziert wird (38 zu 30 Prozent), der exakt ausreichen würde, um der Syriza die absolute Mehrheit von 151 Parlamentssitzen zu bescheren.
Diese Umfrage unterscheidet sich allerdings in zwei wichtigen Punkten von den beiden schon zitierten. Erstens hat die Befragung schon vor Gründung der Kidiso begonnen, sodass die Papandreou-Partei noch nicht berücksichtigt ist. Zweitens wurden die noch unentschiedenen Wähler auf die Parteien „umgerechnet“ – ein Verfahren, die stets gewisse interpretatorische Spielräume eröffnet. In diesem Fall hat Public Issue nicht methodisch ausgewiesen, nach welchem „Verteilungsschlüssel“ die 38 Prozent für die Syriza ermittelt wurden.
Dass eine von der Avgi finanzierte Umfrage eine absolute Mehrheit für die Syriza prognostiziert, hat zwar einen gewissen Hautgout, kann aber als Momentaufnahme durchaus gültig sein. Weit problematischer ist allerdings eine Interpretation der Public Issue-Zahlen, die sich die Avgi-Redaktion ausgedacht hat. Sie wertet den demoskopischen Befund, dass zwei Drittel der Befragten Anfang Januar mit einem Wahlsieg der Syriza rechnen, als Indiz dafür, dass eine „starke gesellschaftliche Strömung für das Land einen politischen Wechsel fordert“. Diese Aussage ist reiner Unfug, denn unter den 66 Prozent, die einen Wahlsieg von Tsipras erwarten (gegenüber 22 Prozent, die Samaras vorne sehen) sind natürlich massenhaft Wähler anderer Parteien, die realistischerweise mit einem politischen Wechsel rechnen, ohne ihn zu wollen.
Der Faktor Ausland
Noch eine kurze Bemerkung zu der in Deutschland viel erörterten Frage, inwieweit die „Einmischung“ ausländischer Stimmen – vor allem aus Brüssel und Berlin – die griechischen Wähler beeinflussen und unter Druck setzen. Zunächst muss man wissen, dass die Meinung „des Auslands“ in den griechischen Medien und in der öffentlichen Debatte eine übergroße Rolle spielt. Die unscheinbarste Meinung über Griechenland – ob positiv oder negativ – wird von den meisten Zeitungen und TV-Anstalten regelmäßig gemeldet und auch kommentiert. Das gilt übrigens auch für Kommentare aus Deutschland, die von der Regierungsposition abweichen und Griechenland „verteidigen“ oder gegen die Dämonisierung der Syriza argumentieren, wie es Jakob Augstein Ende Dezember im Spiegel getan hat. Kommentare wie diese, aber auch Meinungen von Ökonomen wie Bofinger und Fratzscher, werden in fast jeder Zeitung (gleich welcher politischen Couleur) abgedruckt. Solche Meinungen haben auch erheblich dazu beigetragen, dass „Deutschland“ als negativer Pauschalbegriff, dem man alles Böse zuschreibt, heute nicht mehr zieht und das Deutschland-Bild in der griechischen Öffentlichkeit viel differenzierter geworden ist.
Dennoch: Dass die von Berlin ausgehende Kampagne über die Gefahr eines „Grexit“ ein großes Thema war und ist, versteht sich von selbst. Aber der Versuch, mit solchen Drohszenarien in Griechenland politische Wirkung zu erzielen, wird überwiegend kritisch gesehen und kommentiert, und zwar auch von Medien, die eher die Regierung Samaras unterstützen.
Das ist auch leicht erklärbar: Alle griechischen Kräfte sind sich bewusst, dass interventionistische Meinungsäußerungen (oder Berichte wie der im SPIEGEL über die Planspiele im Berliner Finanzministerium) eher kontraproduktiv wirken. Das weiß vor allem die Syriza, deren Fraktionssprecher Dimitris Papadimoulis in einer Fernsehdebatte Anfang Januar ganz kühl erklärt hat: „Je mehr die gegen uns sagen, desto mehr nutzt uns das.“ Der Mann hat völlig Recht. Nach meiner Beobachtung der griechischen Medien steht jedenfalls fest, dass der nüchterne Kommentar eines Bofinger zum Unfug der Grexit-Debatte der Syriza weit mehr nutzt als ein Spruch von Schäuble ihr schaden könnte.
Viel wichtiger ist die Wirkung, die starke Sprüche aus Berlin oder Brüssel an „den Märkten“ erzielen, wobei die Wirtschaftspresse als „Transmissionsriemen“ von Drohungen und Ängsten eine zentrale Rolle spielt. Deshalb wird es von entscheidender Bedeutung sein, welche Signale „die Märkte“ in den zehn Tagen bis zum 25. Januar an die griechischen Wähler aussenden.