„Mit dem Wissen wächst der Zweifel“
Dieses Zitat von Johann Wolfgang von Goethe gehört zu den Losungen der NachDenkSeiten von Anfang an. Dieser Devise folgt Albrecht Müller mit seinem gestrigen Beitrag „Darf man an Motiv und Hintergrund der Mörder von Paris noch zweifeln“. Selbstverständlich kann man an all dem, was darüber berichtet und vor allem wie über die Hintergründe spekuliert wird, zweifeln und man muss auch zweifeln, was bis jetzt über die mutmaßlichen Täter und deren mutmaßlichen Motive berichtet wird. Das Recht und die Tugend des Zweifelns gilt – zumindest beim gegenwärtigen Stand des Wissens – aber gegenüber sämtlichen Darstellungen und Hypothesen zu den Motiven und Hintergründen der Mörder und der Mordtat. Von Wolfgang Lieb.
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Niemand kennt bisher die wahren Täter. Die Brüder Kouachi sind bis jetzt nur Verdächtigte. Niemand kennt ihre Motive und niemand sollte aus den wenigen Indizien – die Täter sollen auf französisch „Rache für den Propheten“ gerufen haben – ein Urteil fällen oder daraus gar die Wahrheit über die Hintergründe ableiten. Die Anrufung des Propheten, genauso wie der gefundene Personalausweis aus dem Fluchtwagen (eine Meldung die auf einer einzigen Zeitungsmeldung, Le Point, beruht) könnten genauso gut falsche Fährten sein.
Albrecht Müller stellt keine Mutmaßungen über Hintergründe und Motive der Mörder an, aber er legt mit den drei genannten Anschlägen, mit dem Verweis auf Andreas von Bülows Vorstellungen über die Rolle der Geheimdienste in unserer Welt und mit dem Hinweis auf eine Rundmail von Ken Jebsen nahe, dass hinter der Tat auch Geheimdienste stecken könnten. Auch das könnte zutreffen.
Man kann und man muss beim Oktoberfestattentat oder auch beim Anschlag auf den Hauptbahnhof von Bologna durchaus weiter nach der Rolle der Geheimdienste fragen. Die Zweifel an der Aufklärung dieser Fälle und ihrer Hintergründe – zumal beim Anschlag in Bologna – sind berechtigt.
Albrecht Müller zwingt niemanden den Theorien über die Verwicklung von Geheimdiensten zu folgen – auch nicht bei dem Pariser Anschlag, aber er verteidigt die Annahme solcher Zusammenhänge gegen Vorwürfe. Weil der Vorwurf „Verschwörungstheoretiker…einer der dümmsten Vorwürfe“ sei, die „in der aktuellen Debatte obendrein inflationär verwendet“ würden.
Obwohl der Kontext der Morde in Paris schon wegen des gewählten Anschlagziels und der Art der Durchführung der Mordtat nicht mit den im Beitrag genannten Attentaten gleichgesetzt werden kann, kann man den Verdacht nicht rundheraus ausschließen, dass auch bei dem Mord in Paris Geheimdienste verwickelt sein könnten – zumal ja einer der Verdächtigten angeblich polizeibekannt sein soll. Aber hier gibt es – für jedermann sichtbar – zunächst einmal Täter und man müsste diese erst einmal ihrer Tat überführen und von ihnen erfahren, warum sie und warum sie wen gemordet haben und erst dann kann und sollte man nach weiteren Hintergründen suchen.
(Hoffentlich werden die Gesuchten lebend gestellt, so dass es wenigstens eine gerichtliche Aufklärung geben kann. Ansonsten wir die Wahrheitssuche noch schwieriger.)
Man kann an der vorschnellen und fast durchgängigen Darstellung in den Medien, dass die Täter Islamisten oder radikale Muslime waren, mit Fug und Recht zweifeln. Genauso sind aber auch Zweifel an allen anderen möglichen Motiven und Hintergründen der Täter angebracht. Außer dem Zweifel an der überwiegenden Darstellung der Tat und der Täter (teilweise) durch die Politik und (überwiegend) durch die Medien gibt es bisher keine zusätzlichen und konkretere Anhaltspunkte für andere Mutmaßungen hat.
Die Haltung des Zweifels ist unteilbar. Zweifel ist nach allen Seiten berechtigt, sowohl gegen die etablierten Medien als auch gegenüber dem Internet oder sonstwem.
„Mit“ dem Wissen wächst der Zweifel, heißt das Goethe-Zitat. „Vor“ dem Wissen kann man eigentlich nur spekulieren oder insinuieren.
Das gilt logischerweise auch für Ken Jebsen und dessen dem Beitrag angefügte Rundmail. Seine Erklärungsversuche und seine Hypothesen stützt er auf seine Erkenntnis, dass es in der Politik und damit in der Geschichte keine Zufälle gebe.
Ob Politik und Geschichte tatsächlich determiniert sind, das mag dahin stehen, aber selbst wenn man eine solche Bestimmtheit annimmt, besteht die Schwierigkeit, die Ursachen für den Verlauf für Politik und Geschichte eindeutig festzustellen und herauszufinden, wer in einer komplexen Welt die Ursachen setzt und wie die Kausalität zu Ende geführt wird. Dazu mag es Theorien geben, aber jede Theorie muss sich an der Wirklichkeit messen lassen. Und jede Theorie darf und muss, wenn sie nicht zum Dogma oder Glaubenssatz werden soll, in Zweifel gezogen werden können.
Was nach dem Attentat in Paris leider nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann,
das ist,
- dass es Anschläge auf islamische Einrichtungen gab,
- dass Marine Le Pen vom Front National ein Referendum für die Wiedereinführung der Todesstrafe fordert
- und dass der CDU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl mal wieder die Vorratsdatenspeicherung verlangt, wohl nicht wissend, dass es diese in Frankreich seit Jahren gibt.
Übrigens: Keine Zweifel an Täter und Motiv der Tat hat die Dschihadisten-Sphäre:
“Kaum eine halbe Stunde nach dem Angriff auf den Sitz von Charlie Hebdo in Paris beginnen accounts, die dem “Islamischen Staat” nahestehen, den letzten tweet der Zeitschrift aufzunehmen und kommentieren:
“Sie haben ihren post veröffentlicht und dann sind unsere Löwen gekommen”. Sie begrüßen einen „blitzschnellen Gegenschlag” des Mudschahed im Herzen der französischen Hauptstadt.” Und Sympathisanten des “Islamischen Staats” der Al-Nousra-Front und von Al Quaida, die sich sonst gegenseitig öffentlich anprangern, loben oder feiern sich auf Twitter selbst: #die Eroberung von Paris, #Wir haben den Propheten gerächt, #Paris brennt.”
Auch die Stimme des Radios des “Islamischen Staats” bezeichnet die Urheber des Angriffs als „Helden“.
Auch der (noch) stellvertretende Vorsitzende der AfD Alexander Gauland sieht das Attentat als Beleg für das Anliegen der „Pegida“-Bewegung gegen die Islamisierung und auf ihrer Facebook-Seite fordert „Pegida“, auf der kommenden Montagsdemonstration einen Trauerflor für die Terror-Opfer zu tragen.
Natürlich sollte man auch an solchen Einschätzungen zweifeln.