„Die Lastenträger“ – Eine elende Bestandsaufnahme

Ein Artikel von Gerd Bosbach

Günter Wallraff hat gemeinsam mit dem Verein „work-watch“ ein Buch mit Reportagen und Hintergrundberichten (Verlag kiwi, 300 Seiten, 14,99 Euro) herausgegeben, das sich dem Arbeitselend „ganz unten“ widmet. Dort stecken heute 25 Prozent der Erwerbstätigen fest, deren Löhne selbst bei Vollzeitjobs nicht reichen würden – um über die amtlich gemessene Armutsgrenze zu kommen. 14 Autorinnen und Autoren haben sich auf den Weg in diesen Niedriglohnsektor gemacht und nicht nur finanzielle Ausbeutung gefunden. Was schon allein deshalb verdienstvoll ist, weil diese Gesellschaft das Phänomen „Arm durch Arbeit“ immer noch für ein Randphänomen hält, es nur abstrakt an sich heran lässt oder sogar glaubt, das neue Mindestlohngesetz löse es. Von Gerd Bosbach[*].

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Dabei schleppt sich heute jeder Vierte unterbezahlt und extrem ausgebeutet durch die deutsche Arbeitswirklichkeit – aber es scheint, als würde die Mehrheit sich wegdrehen. Steckt Elendsmaloche an? Färbt Armut ab? Neben dem Stammarbeiter bei Mercedes arbeitet sein outgesourcter Kollege für weniger als die Hälfte des Lohns. Und trotzdem weitet der Konzern mit Zustimmung des Betriebsrats das Werkvertragsunwesen noch aus. In Berliner Musikschulen sinken die Honorare der Lehrer unter die Armutsschwelle. Und ihr Protest wird mit Entlassungen zerschlagen. Paketfahrer schuften 12 bis 15 Stunden am Tag für 1000 Euro netto. Aber die Berichte darüber, die wir ja auch in den Medien gelesen oder gesehen haben, bleiben folgenlos. Bandarbeiter bei Fleischkönig und Schalke 04-Mäzen Tönnies zerlegen Schweine für 5 Euro pro Stunde, 12 Stunden am Tag. Wer krank wird, fliegt am nächsten Tag. Tönnies wird von niemandem zur Rechenschaft gezogen. Betrogen um den ihnen längst schon garantierten Mindestlohn werden seit Jahren Reinigungskräfte und Bauarbeiter. Und wer glaubt, die Ausweitung solcher gesetzlichen „Papier-Garantien“ auf die gesamte Wirtschaft brächte automatisch echte Gerechtigkeit, muss träumen. Dazu bedarf es viel mehr.

„Die Lastenträger“ konfrontieren uns in den spannend zu lesenden Texten mit einem Klima des systematischen Rechtsbruchs, wie er in zahlreichen Unternehmen vorkommt. Und die Leserin und der Leser weiß am Ende: es kann und darf so nicht weitergehen in diesem Land. Die Schneise in der Arbeitswelt, in der Lohndumping, Überarbeitung und Willkür herrschen, hat sich schon viel zu weit ins Land gefressen. Klar ist leider auch: Von oben kommt keine Rettung. „Ein Freibrief für Missbrauch“, titeln die ver.di-news am 6.12. 2014 und klären auf, dass die Verordnungen zum neuen Mindestlohngesetz „seine Umgehung leichter“ machen. Ähnlich Dramatisches über die Ernsthaftigkeit und Bissfestigkeit dieses Gesetzes lesen wir auch in „Die Lastenträger“. Schwarzmalerei? Wer dieses Buch gelesen hat, weiß, dass verbriefte Schutzrechte für Millionen Beschäftigte in deutschen Betrieben nicht gelten und dass von Rechtssicherheit nicht die Rede sein kann. Und dass weder Aufsichtsbehörden noch Justiz dagegen durchgreifen.

„Die Lastenträger“ müssen sich schon selber helfen, ist die Botschaft dieses Bandes, die das auch mit konkreten Beispielen belegt. Besser noch wäre allerdings, wenn wir alle wachsamer reagieren würden, auf das was da „ganz unten“ passiert. Wer kann schon ausschließen, dass er der Nächste ist?


[«*] Gerd Bosbach ist Inhaber des Lehrstuhls für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz.

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