Beschlüsse des Koalitionsausschusses Teil Zwei: Verschiebebahnhof zwischen Pflege- und Arbeitslosenversicherung
Im öffentlichen Windschatten des umstrittenen „Kompromisses“ der Grossen Koalition zum Mindestlohn segelten die Entscheidungen zur Pflegeversicherung.
Die Einbeziehung der bereits über 1,3 Millionen Demenzkranker sowie die Stärkung und der Ausbau der ambulanten Pflege sind sicher neue wichtige Kurskorrekturen zur Verbesserung der Pflegeleistungen.
Nicht zu rechtfertigen ist das erneute Verschiebemanöver der Finanzierungslasten von der Pflegeversicherung in die Arbeitslosenversicherung, denn gerade bei den wachsenden Aufwendungen für die Pflege handele es sich – wie in kaum einen anderen Sozialversicherungszweig – um gesamtgesellschaftliche Leistungen, die von der Allgemeinheit, also über Steuern finanziert werden müssten, meint die ehemalige DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer.
Zu den Koalitionsbeschlüssen Teil Zwei:
Erneuter Verschiebebahnhof zwischen Pflege- und Arbeitslosenversicherung
Von Ursula Engelen-Kefer
Die Einbeziehung Demenzkranker sowie der Ausbau der ambulanten Pflege bringen ohne Zweifel eine Verbesserung der Pflegeleistungen. In eine falsche Richtung geht jedoch der völlig unzureichende Kompromiss zu deren Finanzierung. Zwar sind sich beide Koalitionspartner einig, dass der Bedarf an Pflege in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erheblich zunehmen wird: Objektive Entwicklungen sind nicht nur die Zunahme des Anteils älterer Menschen und die steigende Lebenserwartung, sondern auch eine Abnahme der familiären Pflegeleistungen aus den unterschiedlichsten Gründen. Trotz dieser vorhersehbaren Entwicklung wurde keine Einigkeit zu einer dringend benötigten nachhaltigen Finanzierung erreicht.
Dies hätte etwa über den Finanzausgleich zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung erheblich erleichtert werden können. Damit wäre eine teure Ungerechtigkeit beendet worden, die darin besteht, dass die Private Krankenversicherung infolge ihrer rigorosen Auswahl der „ besseren Risiken“ nur einen erheblich geringeren Anteil der Pflegebedürftigen unter ihren Mitgliedern als die gesetzliche Krankenversicherung finanzieren muss. Hier hätte es dringend eines finanziellen Solidarausgleichs bedurft.
Von einer Großen Regierungskoalition mit ihrer komfortablen Zwei-Drittel-Mehrheit wäre wahrlich mehr zu erwarten gewesen, als den erneuten Griff in die Taschen der Beitragszahler mit einer Erhöhung der Beiträge um 0,25 Prozent. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass dies nur für wenige Jahre Erleichterung bietet, aber keine längerfristige Lösung sein kann. Zudem widerspricht diese Beitragssatzerhöhung der erklärten Politik der Großen Koalition, die beitragsfinanzierten Sozialversicherungssysteme durch die Steuerfinanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben zu entlasten. Gerade bei den wachsenden Aufwendungen für die Pflege handelt es sich aber – wie in kaum einem anderen Sozialversicherungszweig – um gesamtgesellschaftliche Leistungen.
Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
Überhaupt nicht zu rechtfertigen ist das erneute Verschiebemanöver der Finanzierungslasten von der Pflegeversicherung in die Arbeitslosenversicherung. Um die erneute Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung für die Bürger erträglicher zu machen, wird gleich eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 0,3 Prozent mit beschlossen. Dabei wird z.B. völlig außer Acht gelassen: Die Rentner, die inzwischen den gesamten Pflegebeitrag aus ihrer Tasche zahlen müssen und jetzt auch noch die Erhöhung aufbringen sollen, werden durch die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht entlastet.
Die bessere Finanzentwicklung bei der Bundesagentur für Arbeit in 2007 – statt eines erwarteten Defizits von über 2 Mrd. Euro wird es erneut einen Überschuss geben – kann allerdings jetzt noch nicht in konkreten Zahlen beziffert werden. Die BA-Überschüsse als Entlastungsmasse zur Verbesserung der Pflegeversicherung einzusetzen, fügt der Politik der Verschiebemanöver über die Sozialkassen ein weiteres trauriges Kapital hinzu. Da es sich hierbei um die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern handelt, sollten diese auch über die Verwendung maßgeblich entscheiden. Nichts davon ist geschehen. Dass es unterschiedliche Auffassungen über die Verwendung gibt, dürfte nicht erstaunen. Aber beide Seiten haben Grund, über diesen neuen Zugriff der Politik der Großen Koalition verärgert zu sein.
Bevor das Fell des Bären verteilt wird, sollte bei politischen Entscheidungen über die Senkung von Beiträgen zu BA erst einmal abgewartet werden, bis der Bär tatsächlich erlegt ist. Erst dann sollte eine Entscheidung über die Verwendung möglicher Überschüsse getroffen werden.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Pensionsrückstellungen für die Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit von immerhin 2,5 Mrd. Euro getätigt werden müssen. Dringend zu empfehlen wäre die Bildung einer Finanzreserve von zwei bis drei Monatsausgaben (6 bis 9 Mrd. Euro) bei der BA. Dies würde der Bundesagentur erstmalig die Möglichkeit geben, ihre arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen längerfristig zu planen, und vor allem bei konjunkturellen Rückschlägen nicht wieder einen Defizit-Ausgleich des Bundes in Anspruch nehmen zu müssen.
Darüber hinaus bestehen noch erhebliche Nachholbedarfe der BA beim Einsatz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Denn bei den ALGI-Empfängern gibt es eine große Gruppe schwer zu vermittelnder Menschen. Auch bei der Ausbildung junger Menschen sind die Probleme noch längst nicht behoben. Sie werden uns noch einige Jahre begleiten – vor allem, wenn die „Altbewerber“ aus den Warteschleifen nach Ausbildung suchen. Hierfür müssten finanzielle Spielräume der BA ebenfalls bereit stehen.
Hängepartie: Aussteuerungsbetrag
Eine weitere Hängepartie bei der Sicherung der Finanzgrundlage der Bundesagentur für Arbeit bleibt der umstrittene Aussteuerungsbetrag: Danach muss die BA aus Beitragsmitteln für jeden Arbeitslosen an den Bundesfinanzminister 10 000 Euro überweisen, den sie nicht innerhalb von 12 Monaten vermittelt, sondern an das ALGII-System weiterreicht.
Zwar fällt der 2005 mit Hartz IV eingeführte Aussteuerungsbetrag erheblich geringer aus als in den Haushaltsplänen von BA und Bund jeweils veranschlagt. Trotzdem stellt er mit inzwischen über 10 Mrd. Euro eine nicht zu rechtfertigende Belastung für die Beitragszahler dar. Er widerspricht dem Gebot der finanziellen Trennung von Arbeitslosenversicherung und bedarfsabhängiger Grundsicherung für Langzeitarbeitslose. Er sollte möglichst schnell abgebaut werden. Zudem ist er ein Hindernis für den Einsatz längerfristiger arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen – vor allem der beruflichen Weiterbildung. Die Abführung des Aussteuerungsbetrags läuft somit den Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern entgegen.
Wenig stichhaltig ist das Argument, der Aussteuerungsbetrag sei so etwas wie eine Wiedergutmachung des hohen Defizitausgleichs, der vom Bund an die Bundesagentur für Arbeit in den zurückliegenden Jahren aufgebracht werden musste. Ohne Zweifel hatte der Bund im Zuge der Deutschen Einheit milliardenschwere Defizitausgleiche zu leisten (In der Spitze waren dies: 1994: 5,2 Mr. Euro, 1996 über 7 Mrd. Euro und auch noch 2003 über 6 Mrd. Euro sowie 2004 über 4,1 Mrd. Euro).
Diese Ausgleichzahlungen des Bundes waren jedoch nur ein Teil jener Summen, die als Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur BA im Rahmen der Finanzierung der West-Ost Transfers erforderlich waren. Lange Jahre wurde dies zu einem Tabu-Thema der Politik erklärt. Inzwischen sind die negativen Auswirkungen dieser Verschiebemanöver für die Beschäftigung und die Sozialen Sicherungssysteme nicht mehr zu übersehen. Auch deshalb ist die von der Großen Koalition zu Anfang ihrer Regierungsperiode erklärte Entlastung der Beitragszahler zur Sozialen Sicherung über Bundessteuern überfällig. Umso mehr enttäuscht, wenn ihre tatsächliche Politik in die umgekehrte Richtung geht und sie sich wieder einmal an den Beitragszahlern schadlos hält.