Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich erst einmal im Abklingbecken
„Wir sollten nicht versuchen, Bundesländer oder Regionen gegeneinander auszuspielen“, schrieb Hannelore Kraft in einem Gastartikel für die Frankfurter Rundschau und rechnete im gleichen Atemzug öffentlichkeitswirksam vor, dass dem Land Nordrhein Westfalen nach dem Länderfinanzausgleich 500 Euro weniger pro Kopf übrigblieben als dem ostdeutschen Bundesland Sachsen. In einem Gastartikel für die NachDenkSeiten relativiert Linken-Finanzexperten Axel Troost die Berechnungen, die Krafts FR-Artikel zugrunde liegen und appelliert seinerseits, Bundesländer und Regionen nicht gegeneinander auszuspielen.
„Der erste Anlauf zum wichtigsten Reformvorhaben der Legislaturperiode ist gescheitert und das ist auch taktischen Fehlern des Finanzministers geschuldet. Es ist Zeit für eine Verhandlungspause. Schäuble wollte Tempo machen und hat dabei zu sehr aufs Gas gedrückt. Noch in diesem Jahr – und damit viel schneller als ursprünglich gedacht – wollte er die Reform beschlossen wissen, zumindest in Eckpunkten. Und übersah dabei, wie unvereinbar die Positionen der einzelnen Länder tatsächlich sind. Um die unterschiedlichen Vorstellungen von Bayern und Berlin, von Hamburg und Nordrhein-Westfalen, vom Saarland und von Hessen anzugleichen braucht es Zeit und keine Ungeduld. … Doch Schäuble hat sich nicht nur bei der Zeit verschätzt, er hat sich zudem noch den falschen Verhandlungspartner ausgesucht. Ausgerechnet mit Olaf Scholz (SPD) verabredete er Kernpunkte der Reform. Die Wahl lag nahe, hatte er den Hamburger Regierungschef doch in Koalitionsverhandlungen als zuverlässiges Gegenüber kennengelernt. Dass es aber ausgerechnet dem Ersten Bürgermeister des reichsten Bundeslandes gelingen würde, die (mehrheitlich) armen Länder hinter sich zu versammeln, erschien von Anfang an unwahrscheinlich. … Denn schließlich soll die neue Regelung die Finanzströme zwischen Bund und Ländern (sowie die unter den Ländern) womöglich auf Jahrzehnte festlegen. Wer da jetzt im Interesse seines Landes nicht bis zuletzt pokert, hat seinen Job nicht richtig verstanden. Wer allerdings überzieht und einen Kompromiss mutwillig blockiert, wird seiner Verantwortung ebenfalls nicht gerecht. Nach dem Scheitern im ersten Versuch gehören die Verhandlungen erst einmal ins Abklingbecken.“[1]
Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, hatte zur zuvor in einem Artikel im Handelsblatt unter der Überschrift „Es muss gerechter zugehen“ ausführt, dass das Bundesland Sachsen im Vergleich zu NRW pro Kopf rund 1.000 Euro niedrigere Steuereinnahmen habe, aber nach allen Umverteilungen im Länderfinanzausgleich sogar 500 Euro mehr Geld pro BürgerIn zur Verfügung hätte[2].
Würde dieses Argument wirklich zutreffen, so wäre ihre Sorge vor einer Übervorteilung ihres Bundeslandes natürlich ernst zu nehmen. Allerdings ist es für eine faire Betrachtung wichtig, vollständig zu berücksichtigen, auf wessen Kosten umverteilt wird, wieviel Geld in einem Bundesland tatsächlich zur Verfügung steht und welche Sonderbelastungen jeweils zu schultern sind.
Bezieht man die kommunalen Einnahmen mit ein und addiert sie zu den Ländereinnahmen, so stehen auch nach dem Umsatzsteuervorwegausgleich und dem Länderfinanzausgleich im engeren Sinne (also der zweiten und dritten Stufe des Länderfinanzausgleichs) in NRW pro BürgerIn nicht 500 Euro weniger zur Verfügung als in Sachsen, sondern knapp 200 Euro mehr.[3]
Entgegen der Befürchtungen von Hannelore Kraft steht in NRW also auch nach der horizontalen Umverteilung zwischen den Bundesländern mehr Geld für jede BürgerIn zur Verfügung als in Sachsen. Es gibt aus der Sicht von NRW also keinen Grund, das solidarische Grundprinzip des Länderfinanzausgleichs aufzukündigen.
Hintergrund ist, dass derzeit nur 64 Prozent des kommunalen Steueraufkommens im LFA berücksichtigt werden. Die Ostländer mit durch die Bank ärmeren Kommunen bekommen zwar im LFA etwas höhere Ländersteuereinnahmen, haben aber trotzdem insgesamt weniger Mittel zur Verfügung als wirtschaftlich stärkere.
Daher tritt DIE LINKE dafür ein, dass die kommunalen Steuereinnahmen zu 100 Prozent im LFA berücksichtigt werden. Erst die gemeinsame Finanzkraft eines Bundeslandes und seiner Kommunen ist wirklich aussagekräftig für die bundesstaatliche Finanzverteilung und kann die Basis für einen fairen Ausgleich sein.
Auch bezogen auf die tatsächlich frei verfügbaren Mittel, also abzüglich der durch die Länder nicht beeinflussbaren Ausgabennotwendigkeiten wie armutsbedingten Sozialausgaben und Hochschulfinanzierung, steht NRW weiterhin um knappe 200 Euro pro Kopf besser da als Sachsen.
In einem wichtigen Punkt hat Frau Kraft jedoch recht: Da der Länderfinanzausgleich zwei weitere Stufen umfasst, bei denen Bundeszuweisungen an die neuen Bundesländer die teilungsbedingten Sonderlasten kompensieren sollen, steht Sachsen am Ende der fünf Stufen der Mittelverteilung tatsächlich mehr zur Verfügung als NRW. Es handelt sich hierbei jedoch um Bundesmittel, nicht um Gelder aus NRW: Statt also den Umsatzsteuervorwegausgleich sowie den Länderfinanzausgleich im engeren Sinne anzugreifen, wäre es viel zielführender, 25 Jahre nach der deutschen Einheit die Bundeszuweisungen nun nicht mehr pauschal in den Osten zu leiten, sondern gezielt in die strukturschwachen Regionen. Dann würden nur noch die wirklich bedürftigen Regionen in Ost und West unterstützt werden, unter anderem auch in NRW, wie folgende Grafik veranschaulicht.
Denn Frau Kraft sollte gerade am Beispiel des Strukturwandels in NRW wissen, dass die Ursache dieser wirtschaftlichen Stärke oder Schwäche nicht „hausgemacht“ ist. Viele Studien zeigen, dass „gute Politik“ und „fleißige Menschen“ kaum Einfluss haben gegenüber geografischer Lage, Siedlungsstruktur, sektoralen Strukturen der gewerblichen Wirtschaft und historischen Standortentscheidungen großer strukturbestimmender Unternehmen und öffentlicher Einrichtungen, die die bestimmenden Faktoren für die Wirtschaftskraft eines Bundeslandes und seiner Kommunen sind. Aus diesem Grund sind Konzepte eines „Wettbewerbsföderalismus“ strikt abzulehnen. Stattdessen fordert DIE LINKE die Aufhebung der aktuellen Strukturblindheit des Länderfinanzausgleichs und eine zielgenaue Förderung strukturschwacher Gebiete in Ost und West, Nord und Süd – also in Sachsen wie in NRW.
Bezüglich der Altschulden schließlich spricht die Ministerpräsidentin von NRW ebenfalls einen wichtigen Punkt an, der nicht nur ihren Landeshaushalt belastet. Die Zinsbelastungen liegen unterschiedlich hoch in östlichen und westlichen Bundesländern, mit den Spitzenreitern Bremen, Berlin und Saarland. Auch die neuen Bundesländer sind mit der Ausnahme von Sachsen davon auf West-Niveau betroffen, schwanken ihre Zinslasten doch um den bundesdeutschen Durchschnitt.
DIE LINKE schlägt deshalb die Übernahme aller kommunalen und föderalen Schulden in einen Bundes- oder gemeinsamen Länderfonds vor, dessen Zinslasten gemeinschaftlich und daher auch zu günstigeren Konditionen getragen werden. Auch dies ist ebenfalls ganz im Sinne von NRW.
Ich hoffe, dass diese Anmerkungen dazu beitragen können, Frau Kraft und andere Kritiker des Länderfinanzausgleichs aus strukturstärkeren Bundesländern davon zu überzeugen, dass ein gegenseitiges Ausspielen der eigenen Stärken und Schwächen der falsche Weg ist. Auch wenn der durch die Schuldenbremse hausgemachte Druck auf jedes einzelne Bundesland hoch ist: Nicht die pointierte Darstellung von Beiträgen und Lasten der einzelnen Bundesländer zum Länderfinanzausgleich wird zu einer tragfähigen Lösung führen, sondern nur wenn alle Beteiligten von Bund, Ländern und Kommunen eine solidarische Reform zur Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse im ganzen Bundesgebiet anstreben.
Wir sollten nicht versuchen, Bundesländer oder Regionen gegeneinander auszuspielen!