Reaktion auf Putin Interview: Bei Jauch nahezu vollständig auf Linie

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Gestern gab es eingebaut in die Sendung von Jauch ein Interview des NDR-Journalisten Hubert Seipel mit dem russischen Präsidenten Putin und anschließend daran eine Diskussion Jauchs mit Verteidigungsministerin von der Leyen, der WDR Fernseh-Chefredakteurin Sonja Seymour Mikich, dem Historiker Heinrich August Winkler und Hubert Seipel. Das Interview mit Putin ist interessant und war auch sachverständig geführt. Es lohnt sich, dieses anzuschauen bzw. nachzulesen. Die Diskussion zeigte mehr über den Zustand der deutschen Medien als über das Interview mit Putin. Diese Medien sind weitgehend auf Linie. Jauch und seine Gäste beschäftigten sich mit dem Interview nur unter der schon in der Programmvorschau vorgegebenen Strategie der Konzentration auf die Person des russischen Präsidenten. „Putin ist der zentrale Strippenzieher,“ hieß es dort. Der Interviewer Hubert Seipel saß staunend dabei – so seine Körpersprache. Im Folgenden werde ich zunächst die notwendigen Links nennen (A), dann kurz und nur zum Überfliegen Elemente aus der Vorankündigung der ARD wiedergeben (B), dann folgen einige mir wichtig erscheinende Aussagen Putins (C) und dann (D) einige Anmerkungen zur Diskussion bei Jauch. Albrecht Müller.

  1. Nützliche Links

    Hier das Interview in der Video-Fassung der ARD und hier zur Sicherheit noch eine Video Fassung eines Blogs.
    Hier die verschriftete Fassung.
    Und hier Putin-Interview plus Gespräch bei Jauch.
    Die Gäste.
    Hier auch noch die Information zu den Wiederholungen der Sendung:

    • Mo, 17.11.2014 | 09:30 Uhr Phoenix
    • Mo, 17.11.2014 | 20:15 Uhr tagesschau24
    • Di, 18.11.2014 | 1:55 Uhr NDR
    • Di, 18.11.2014 | 03:10 Uhr MDR

    Und hier eine Reaktion von Merkel von heute früh aus Sidney.

  2. Ankündigung der ARD für die Jauch Sendung
    Die Ankündigung des Interviews und der Sendung bei Günther Jauch ließ die Stoßrichtung der Diskussion bei Jauch schon erkennen. Zitate:

    Das Putin-Interview – wohin steuert der Kreml-Chef?

    „Putin zettelt einen Krieg an.“

    „Putin spricht von Neurussland.“

    „Putin droht mit Einmarsch in Riga und Warschau.“

    „Putin schickt Kriegsschiffe nach Australien.“

    Seit Monaten sorgt der russische Staatspräsident für Schlagzeilen, es vergeht kaum ein Tag, an dem es nicht aufrüttelnde Nachrichten aus Russland oder dem Bürgerkrieg in der Ost-Ukraine gibt. Was im November 2013 mit Protesten auf dem Maidan begann, hat sich im Frühjahr 2014 zu einer internationalen Krise zwischen Russland und dem Westen ausgeweitet, die bis heute anhält – und Putin ist der zentrale Strippenzieher.

    Hubert Seipel trifft Wladimir Putin zum Interview.
    In einem seiner seltenen Interviews stellt sich Putin nun inmitten der Krise den Fragen des NDR-Journalisten Hubert Seipel. GÜNTHER JAUCH zeigt das Gespräch und diskutiert direkt im Anschluss mit seinen Gästen über den machtbewussten Mann in Moskau und dessen Ziele und Absichten.
    Usw…

  3. Einige interessante Aussagen Putins
    (Sie sind in wesentlichen Teilen in D schon eingeflossen, möglicherweise folgt später noch eine Ergänzung)
  4. Einige Anmerkungen zur Diskussion bei Jauch.
    Die Diskussion war aus meiner Sicht deshalb besonders interessant, weil man die Strategie des Westens im Umgang mit der Ukraine Krise und mit Russland sehr gut erkennen konnte, und – wie schon erwähnt – auch den Zustand maßgeblicher Teile der deutschen Medien.

    1. Nahezu vollständige Personalisierung. Putin ist das Problem. Putin ist der Strippenzieher. Putin hat den Schlamassel angerichtet. Mit seinem Verschwinden würde sich das Problem biologisch lösen. Letzteres wurde insinuiert. – Im Interview selbst fand diese Personalisierung des Problems nahezu keine Stützen. Putin war sachlich, differenziert, besorgt. Das kann man natürlich alles als Masche abtun bzw. gar nicht in die Diskussion einfließen lassen. – Im übrigen übersieht man mit der Personalisierung und Konzentration auf die Person Putin, dass es im Kreml ja nicht nur ihn gibt. Immerhin wies einer der Diskussionsteilnehmer auf diese Tatsache hin. Das hatte aber keine Bedeutung für die Debatte insgesamt.
    2. Schon der Gesprächsleiter war parteiisch, das ist bei Jauch wohl nicht anders zu erwarten. Unter den sonstigen Gesprächspartnern dominierten die Scharfmacher von der Leyen und Winkler. Sonja Mikich, die eine etwas differenziertere Sicht haben könnte, fügte sich in dieses Konzert ein; sie durchbrach die Einseitigkeit der Runde nicht. Einziger Lichtblick war der Interviewer Seipel.
    3. Frau von der Leyen offenbarte die Strategie von NATO und Westen: Alles was war, ist Vergangenheit und irrelevant. Das betrifft sowohl die eingespielten Äußerungen von Gorbatschow als auch die Entstehungsgeschichte des Ukraine Konflikts und das Wiederaufleben des Konfliktes zwischen West und Ost. Putin hatte im Interview die Elemente der Einkreisung Russlands, wie er das sieht, ausführlich geschildert: NATO Osterweiterung, Ausdehnung der Stützpunkte von NATO und USA, Entsendung von Spezialkräften des Westens in die Nähe Russlands. Putin hatte zum Beleg der früheren Verständigung und des neu entstandenen Konfliktes erwähnt, dass zum Beispiel die strategische russische Luftflotte unmittelbar nach 1991 auf dem Boden blieb und erst später wegen der Einkreisung wieder mobil gemacht wurde.
    4. Darüber, welch ein Verlust die Wiederbelebung des Konfliktes zwischen West und Ost darstellt, wurde in der Sendung nicht diskutiert.
    5. Und natürlich auch nicht darüber, wie klug die Strategie „Wandel durch Annäherung“ war und wie unsinnig und gefährlich die jetzige Strategie des hochschaukelnde Konfliktes durch Sanktionen und Verschärfung der Sanktionen ist. Es ist die alternative Strategie des Westens aus den fünfziger Jahren: Rüstung, Gegenrüstung.
    6. In der Sendung kam keiner der Teilnehmer der Jauch-Runde auf die Idee, auf den erreichten kulturellen und politischen Fortschritt hinzuweisen, der in der Idee ruhte, dass wir in Europa Strukturen der gemeinsamen Sicherheit brauchen und aufgebaut hatten.
    7. Das Hauptelement der Strategie des Westens, so wurde in dieser Sendung sichtbar, ist das „Aushungern“ Russlands. Der Westen setzt offenbar auf den weiteren wirtschaftlichen Niedergang und damit auf Druck gegen Putin, den man fälschlicherweise als das einzige und Hauptproblem der Krise betrachtet. In dieses Konzept gehören die Sanktionen wie auch die Destabilisierung der Märkte. Dass die Intervention in die Finanzmärkte von Beauftragten des US-amerikanischen Finanzministeriums systematisch und unter Beteiligung des amerikanischen Präsidenten betrieben wird, fand in dieser Runde keine Erwähnung, obwohl es zur Gesamtsicht des Konfliktes gehören würde. (Siehe dazu den Bericht in der „Zeit“: „Die Superwaffe des Mr. Glaser“)
    8. Auf die Anmerkungen des russischen Präsidenten, die Sanktionen würden dazu führen, dass man in Russland ersatzweise für Importe wichtiger Güter die Produktion dieser Güter ansteuert, gab es in der Jauch-Runde nur ausgesprochen dümmliche Anmerkungen. Es wurde an die Planwirtschaft erinnert.
    9. Mit Frau von der Leyens Appell, sich nicht mit der Vergangenheit zu beschäftigen, war auch die Möglichkeit entsorgt, der Entstehung des aktuellen Konflikts um die Ukraine nachzugehen. Putin war in seinem Interview auf die im Frühjahr entscheidende Nacht in Kiew eingegangen. Er wies darauf hin, dass die Außenminister Frankreichs, Polens und Deutschlands eine Vereinbarung mit dem damaligen Präsidenten und der Opposition ausgehandelt hatten, die einen friedlichen Übergang erlauben sollten. Als dann in der Nacht das Präsidialamt und das Regierungsgebäude besetzt wurden, hatten sich die westlichen Garanten der Einhaltung der Vereinbarung zurückgezogen. Putin: die westlichen Außenminister hätten entweder die Vereinbarung zwischen ukrainischer Regierung und Opposition nicht unterzeichnen dürfen, oder sie hätten die Einhaltung der Vereinbarung sicherstellen sollen. Putin: die Außenminister „wollen sich an diesen Vertrag nicht mehr erinnern, als ob es ihn nie gegeben hätte. Ich finde, das ist absolut falsch und kontraproduktiv“. Die Jauch Runde hat es versäumt und wollte es wahrscheinlich auch versäumen, diese für die Verschärfung des Konfliktes wichtige Frage zu klären.
    10. Die ernsten und – wie ich fand – konstruktiven Sorgen und Überlegungen zur Lösung des Ukraine Problems durch ein Angebot der Sicherheit für die Menschen in der Ostukraine und andere Minderheiten durch die Regierung in Kiew wurden in der Runde nicht ernst genommen.
    11. Keinerlei Reflexion des Zustands des Westens und der westlichen Führungsmacht, stattdessen wurde wiederholt behauptet, wir hätten im Westen immer gültige und gemeinsame Werte und funktionierende Demokratien. Wer verfolgt, wie wenig verknüpft wichtige politische Entscheidungen wie etwa die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen oder die Entscheidungen zur Agenda 2010 mit den Interessen des Volkes und der Mehrheit sind, konnte angesichts der kritiklosen Debatte über Werte und Demokratie nur verwundert den Kopf schütteln. Wer verfolgt, wie von Gewalt durchsetzt wichtige westliche Länder sind, kann den Diskussionsteilnehmern nur noch absolute Verlogenheit bescheinigen.
    12. Putin war in dem Interview auf die Frage der Verletzung des Völkerrechtes durch die Abstimmung und den Anschluss der Krim eingegangen und hatte auf das Präjudiz Kosovo hingewiesen. Auch dazu gab es keine ernsthafte und reflektierende Diskussion.
    13. Weil Putin das Verhältnis Russlands zu Deutschland als besonders bemerkenswert herausstellte, wurde in der Runde unterstellt, Putin wolle Deutschland aus dem westlichen Bündnis herauslösen. Angesichts dieser absurden Unterstellung sah sich der Interviewer Seipel zu einer deutlichen Reaktion veranlasst.

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