Deutsche Spitzenpolitiker und -Manager schon einige Zeit in Diensten der internationalen Finanzwirtschaft.
In den Hinweisen vom 5.6. wiesen wir auf einen Beitrag der FTD mit dem Titel „Hedge-Fonds heuert frühere Spitzenpolitiker an“. Dort stand zu lesen: „Aznar und Clarke sind die ersten früheren Spitzenpolitiker in Europa, die für einen Hedge-Fonds arbeiten.“ Das ist leider falsch. Auch ehemalige deutsche Spitzenpolitiker und Manager sind in diesem Milieu tätig. Zum Beispiel Friedrich Merz, der ehemalige Kanzleramtsminister Burry, Wolfgang Clement, Otmar Issing, Ron Sommer. Sie alle arbeiten für ausländische Finanzunternehmen und verdienen so am Ausverkauf der so genannten Deutschland AG. In einer Rede beim Lions Club Pforzheim habe ich am 12.5.2007 diesen auffälligen Vorgang in den dazugehörigen Kontext gestellt. Der entsprechende Rede-Auszug folgt.
Albrecht Müller
Redeauszug vom 12.5.2007:
Die Dominanz der Finanzwirtschaft. Oder: Kapitaltransferunternehmer versus Wertschöpfungsunternehmer.
Die Deutsche Bank meldete in den letzten Tagen einen gewaltigen Gewinnsprung und eine Kapitalrendite von über 40%. Von einem Fondsverwalter in den USA hörten wir, er habe sich ein Jahresgehalt von über einer Milliarde ausgeschüttet. Die Investmentbanker Londons kassieren hunderte von Millionen. Das sind Dimensionen nicht nur jenseits jener, die ein Arbeitnehmer begreifen kann, die Dimensionen überschreiten häufig auch das Vorstellungsvermögen von hart arbeitenden Unternehmern und Freiberuflern, von Oberbürgermeisterinnen/en und Abgeordneten. Ich nenne diese einmal die Wertschöpfungs-Unternehmer – wozu ich auch die normale Bank oder Sparkasse zähle, die die notwendige Kredittransformation zwischen Sparern und den Krediten für Unternehmen und Private betreibt.
Bei diesen Unternehmen werden manchmal auch ganz gute Renditen erzielt. Die hohen Gewinne jedoch werden heute beim Transfer von Vermögenswerten erreicht, beim Verkauf und Kauf von Unternehmen, bei Fusionen und Übernahmen, beim in weitem Maße spekulativen Geschäft auf dem Kapitalmärkten. Sie setzen inzwischen die Maßstäbe, sie bestimmen im übrigen auch weitgehend schon die Wirtschaftsteile unserer Zeitungen. Letzthin habe ich in einer einzigen Ausgabe 12 größere Artikel und Meldungen über Unternehmensverkäufe, Übernahmen, Börsengänge und dergleichen gelesen, das waren mehr Meldungen als über das Geschen in den Betrieben, über besondere Innovationen oder organisatorische Veränderungen im Wertschöpfungsbereich.
Aus meiner Sicht haben Kapitalmärkte eine dienende Funktion in einer Volkswirtschaft wie zum Beispiel auch das Transportgewerbe. In meinungsprägenden Wirtschaftskreisen jedoch und bei Politikern wird dieses Segment unserer Ökonomie inzwischen zu einem göttlichem Wundertäter hochgespielt. Weil in Londons Investmentbankerstuben besonders viel verdient wird, meinen deutsche Politiker offenbar, dieser Sektor sei volkswirtschaftlich betrachtet besonders wichtig. Hier wird eine Stimmung für einen Wirtschaftszweig gemacht, der seiner Bedeutung im Vergleich zu den normalen wertschöpfenden Unternehmen unserer Volkswirtschaft nicht entspricht.
Und viele Bürgerinnen und Bürger schauen auch schon mit Bewunderung auf die Kapitalmärkte und die dortigen Akteure. Sie sind dabei in guter Gesellschaft. Wir hatten ja einmal einen Bundeskanzler, der wirklich meinte, wenn die Aktienkurse an der Börse steigen, dann würden Werte geschaffen, und wenn sie sinken, dann würden Werte vernichtet.
Die seltsam verquere Sicht unserer Politiker hatte und hat politische Konsequenzen: die scheinbar Gewinn bringenden Vermögenstransfers werden in vielfältiger Weise begünstigt. So sind die Veräußerungsgewinne bei Unternehmenstransfers seit 1.1.2002 steuerfrei. Kanzler Schröder hat das damit begründet, es sei vorteilhaft, die so genannte Deutschland AG aufzulösen. Damit konnte – wie Capital am 17.11.2006 berichtete – zum Beispiel die Allianz AG im Jahr 2003 ihren 40-prozentigen Beiersdorf-Anteil für 4,4 Milliarden Euro an Tchibo und die Stadt Hamburg verkaufen, ohne Steuern auf den realisierten Gewinn zahlen zu müssen. Und Sie, meine Damen und Herren, zahlen brav und bieder weiter Steuern auf Gewinne, Einkommen und Gehälter.
Was an der Auflösung der Deutschland AG förderungswürdig sein soll, habe ich – anders als die Mehrheit der veröffentlichten Meinung – nie begriffen. Zumindest ein anderer auch nicht. Der Vorstandsvorsitzende von Porsche, Wendelin Wiedeking hat sich bei der Einführung der Steuerbefreiung auch darüber gewundert, was unsere Volkswirtschaft gewinnen soll, wenn ein Investor ein Unternehmen an einen andern Investor verkauft. Sind die Anteile an Beiersdorf oder die Anteile an Grohe in den neuen Händen produktiver, volkswirtschaftlich produktiver? Das kann so sein. Das muss nicht so sein. Es kann das Gegenteil eintreten.
Die frühere rot-grüne Bundesregierung hat mit Unterstützung der damaligen Opposition und heutigen Kanzlerpartei diesen Ausverkauf politisch gefördert und steuerlich begünstigt, weil sie ganz wesentlich in ihrer Meinungsbildung beeinflusst sind von jenem Teil der Finanzwirtschaft, die an diesen Geschäften verdient.
Ich fürchte, dass hier Strukturen zerstört werden, ohne überhaupt nur erahnt zu haben, ob die neuen Strukturen besser sind. Das ist eine ähnliche Konstellation wie bei der Zerstörung des Vertrauens in die gesetzliche Rente.
Auflösung der Deutschland AG klingt ja auch ganz gut, weil da Seilschaften von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern gekappt werden könnten. Man muss sich aber mal anschauen, wo entscheidende Personen inzwischen gelandet sind oder schon immer gelandet waren. Es ist ja nicht so, dass diese Art der Auflösung fester Strukturen zwangsläufig zu freieren Strukturen und mehr Wettbewerb führen würden. Das durchaus kritisierenswerte Geflecht von Vorständen und Aufsichtsräten der früheren Deutschland AG ist inzwischen aber abgelöst durch eine nicht mehr kontrollierbare Seilschaft – übrigens bestehend teilweise aus den gleichen Personen. Die Seilschaften sind etwas aufgemischt.
Inzwischen arbeiten die neuen Netzwerke, die das Kapitaleigentum in großen Unternehmen kontrollieren, mit erstaunlicher Affinität und Verankerung mit ausländischen Investmentfonds, Hedgefonds und Privateequity. Sie arbeiten für ausländische Investoren. Typisch dafür: Ron Sommer für Blackstone, Klaus Luft, früher Nixdorf, für Goldman Sachs, desgleichen der frühere Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank Otmar Issing, Jürgen Schrempp und Kanzleramtsminister a.D. Hans Martin Burry für Lehmann Brothers, der ehemalige Daimler Vorstand Eckhard Cordes beim schwedischen Finanzinvestor EQT, Wolfgang Clement für die Citigroup, Friedrich Merz als Anwalt für den Hedge-Fonds TCI, Karl Otto Pöhl und so weiter.
Übrigens, muss man offenbar keinen Leistungsnachweis erbringen, um zu dieser neuen Seilschaft zu gehören. Ich denke da an Jürgen Schrempp oder an Ron Sommer.
Sie alle machen mit bei dem Versuch, die Übernahme deutscher Unternehmen einzufädeln. Das ist das aktuelle und zukunftsweisende Geschäft dieser ToppEliten.
Und wo bleibt die kritische Begleitung durch den davon betroffenen Mittelstand? Auch die Medien und die Intellektuellen versagen hier nahezu vollständig.
Es ist an der Zeit, sich über diese Entwicklung eigene Gedanken zu machen. Andernfalls verschieben sich die Maßstäbe in unerträglicher Weise, die Missachtung der unternehmerischen Wertschöpfung im Vergleich zur Arbeit auf dem Kapitalmärkten tut unserem Land nicht gut, zumal eine solche Entwicklung noch dazu führt, dass die besten Köpfe in diesem, wie ich finde, ziemlich unproduktiven Wirtschaftssektoren verschwinden; außerdem kommt ein Unternehmen nach dem andern unter den Hammer.
Wo sind die Zwischenrufen des wertschöpfenden Mittelstands, wenn wieder einmal traumhafte Kapital- und Umsatzrenditen verkündet werden und quasi zum Maßstab für die gesamte Ökonomie erhoben werden. Ich vermisse den Zwischenruf: mit Wertschöpfung können diese traumhaften Renditen nicht erwirtschaftet werden!