Freiheit für die Gefangenen von Heiligendamm
Werden die im Hochsicherheitstrakt an der Mecklenburger Bucht eingeschlossenen acht Personen jemals wieder in eine freie und offene Gesellschaft entlassen und integriert werden können oder muss sich künftig umgekehrt die ganze Bevölkerung an deren Sicherungs- und Sicherheitsanforderungen anpassen? Wolfgang Lieb.
Da werden am 6. Juni acht Personen in einen der weltweit bestabgesicherten Hochsicherheitstrakts nach Heiligendamm überführt – mit Helikoptern natürlich, der Landweg wäre zu risikoreich. Jede dieser 8 Personen wird von etlichen Sicherheitsbeamten begleitet sein, damit sie auf Schritt und Tritt hautnah bewacht sind.
Der Sicherheitstrakt ist bewusst in eine Gegend mit geringer Bevölkerungsdichte gebaut worden. Von der Seeseite gibt es eine überwachte Sicherheitszone von 20 Kilometern Breite und 11 Kilometern Tiefe, und die acht auf dem Festland eingeschlossenen Personen werden von 9 Booten, darunter zwei Minenjagdboote der Kriegsmarine, bewacht. Eine Fregatte unterstützt die Luftwaffe bei der Überwachung des Luftraumes. Taucher kontrollieren Tag und Nacht die Ufer der Ostsee unter Wasser.
Von der Landseite werden die acht sicher zu stellenden Personen von einem 12 Kilometer langen und zweieinhalb Meter hohen Sicherheitszaun, eingemauert in tonnenschweren Betonfundamenten und mit einem 50 Zentimeter in den Boden eingelassenen „Unterkriechschutz“ von der Außenwelt abgeschlossen. Allein der Sicherheitszaun kostete rund 11 Millionen Euro. Stacheldrahtrollen auf, vor und hinter dem Zaun verhindern jedes Durchkommen.
Das Gelände vor und hinter dem Zaun wurde weiträumig freigeräumt. Kameras, Bewegungsmelder und andere elektronische Überwachungsgeräte registrieren jede Annäherung an den Zaun.
Der Zaun ist aber nur Teil eines viel umfangreicheren Sicherungskonzepts, das nach dem Willen der Bewacher besser nicht bekannt gegeben wird. Flucht- und Zugangswege zum Hochsicherheitstrakt werden geschlossen, ja sogar Grenzkontrollen an Land- und Seegrenzen sowie auf Flughäfen werden verschärft. An den beiden Kontrollpunkten für den Zugang zum Sicherheitstrakt werden alle Möglichkeiten der Personenkontrolle eingesetzt, die überhaupt nur denkbar sind, damit nicht die geringste Chance besteht, dass etwa ein Kassiber in dieses Gefängnis eingeschmuggelt werden kann.
Straßen wurden umgebaut und in Rostock-Waldeck wurde ein mächtiges Polizeihauptquartier aufgebaut.
Rund 16.000 Überwachungskräfte – der größte Polizeieinsatz, der jemals in Deutschland stattgefunden hat – werden zusätzlich zum Stahl- noch einen martialischen Menschenzaun bilden. Wenn die Sicherheitskräfte alle zugleich antreten, stehen sie Schulter an Schulter in einer Kette von 12 Kilometern längs des Stahlzaunes.
Zusätzlich werden 1.100 Einsatzkräfte der Bundeswehr darunter auch die Sondereinheit GSG 9 vor Ort verlegt – falls von Heiligendamm aus plötzlich ein Krieg ausbrechen sollte.
Ursprünglich sollte sich kein Mensch näher als 6 Kilometer nähern dürfen, jetzt sind es zwar nur noch 200 Meter, aber jedenfalls außer Rufweite von drinnen nach draußen und umgekehrt.
Allein das Land Mecklenburg-Vorpommern muss für die Bewachung der acht im Hochsicherheitstrakt eingesperrten Personen fast 34 Millionen Euro ausgeben. Nach Angaben der Schweriner Staatskanzlei liegen die Gesamtkosten für deren Bewachung bei über 90 Millionen Euro.
Damit es bloß nicht gelingt, dass auch nur irgendjemand Kontakt mit den acht Eingeschlossenen aufnehmen kann, wurde im gesamten Land der gesamte polizeiliche und geheimdienstliche Bewachungsapparat in Gang gesetzt. „Alles Erdenkliche“ werde getan, versprach der oberste Bewacher Wolfgang Schäuble. Geheime Telefon- und Computerüberwachung, Briefkontrolle in Postämtern und sogar bei Postboten, Schnüffelhunde, verschärfte Kameraüberwachung auf öffentlichen Plätzen und Verkehrswegen, Abgleich biometrischer Daten mit Zentralcomputern. Hausdurchsuchungen wurden durchgeführt und notfalls soll Vorbeugehaft angewandt werden.
Es gibt wohl Anfang Juni auf der ganzen Welt kein besser gesichertes Gefängnis, als das in Heiligendamm. So wurden in Deutschland nicht einmal die RAF-Terroristen isoliert und abgeriegelt und das Straflager Guantanámo ist dagegen allenfalls eine Voliere. Auch jeder historische Vergleiche wird in den Schatten gestellt: Jede Raubritterburg mit Bergfried, meterdicken Mauern und Wassergraben ist im Vergleich zu Heiligendamm allenfalls eine Sandburg auf einem Kinderspielplatz.
Nicht die geringste Chance also, dass die acht eingeschlossenen Personen mit irgendeinem normalen Bürger oder einer gewöhnlichen Bürgerin von außerhalb in Kontakt kommen könnten.
Wo bleibt da eigentlich der Resozialisierungsgedanke für die so Gefangenen? Wie sollte den so von der Außenwelt weggeschlossenen acht Personen jemals wieder ein alltägliches Zusammenleben mit den Bürgerinnen und Bürgern möglich werden, vor denen sie derart abgeriegelt sind? Wie sollte den völlig Isolierten wieder eine Integration in eine demokratische und offene Gesellschaft gelingen?
Ich fürchte, so wie sich die Hysterie der Bewacher gesteigert hat, wäre eine Wiedereingliederung der acht in Heiligendamm eingesperrten Personen in die Gesellschaft nur noch umgekehrt denkbar, nämlich indem sich die Bevölkerung deren Sicherungs- und Bewachungsbedarf anpasst.
Überwachungs- und Schnüffelstaat für 80 Millionen, damit acht Personen gesichert werden können?
Dann doch lieber Freiheit für die acht Gefangenen von Heiligendamm.
Aber verlangte das nicht wenigstens Reue?