„Für eine Partei der Zupacker“.
So überschrieb die „Welt am Sonntag“ einen Namensartikel des SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck.
Unsere Leserin Brigitta Huhnke hat diesen Beitrag einmal einer Sprachanalyse unterzogen und kommt dabei auf Erkenntnisse, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.
Der “Zupacker”
Von Brigitta Huhnke.
Wer sich in die Propagandaabteilungen der Medienwelt hinablocken lässt, kann sich danach nicht über fehlende Redigierhilfe beklagen. Mit einer Redakteurin zur Seite, die sich in den Wortarten der deutschen Sprache auskennt, Metaphern zu gebrauchen weiß, Gedanken auf ihre inneren Logiken prüfen kann, wäre der namentlich gezeichnete Text „Für eine Partei der Zupacker“ von Matthias Platzeck nie in ein seriöses Blatt gekommen. Das hoffen wir wenigstens.
Wahrscheinlich wäre sogar dem Autor schon das Drollige der Überschrift aufgefallen, wenn er damit auch die andere Hälfte der Menschen in diesem Lande hätte ansprechen wollen: „Für eine Partei der Zupacker und Zupackerinnen“? Das wäre doch zu komisch, oder?
Allerdings können wir auch den „Zupacker“ nicht im Wörterbuch finden und unser Word-Programm reagiert mit roter Linie. Dafür aber finden wir das Wort auf der Website des saarländischen Wirtschaftsministeriums: „Jobs für Zupacker“. Auf dem Bild daneben: ein Dachdecker, mit Hühnerbrust und dünnen Ärmchen, also nichts fürs weibliche Auge.
Vielleicht wollte Platzeck uns Frauen aber auch bewusst vor seinen Wortschöpfungen schützen. PISA und die Lebenserfahrung dokumentieren nun einmal das ausgeprägtere weibliche Bildungsbegehren und deren besseres Verständnis beim Erfassen von Texten. Übt Platzeck also Höflichkeit vor dem beleseneren Geschlecht?
Wir würden gern weiter über solche Sprachblüten kalauern, fürchten jedoch, das Problem liegt tiefer. Außerdem brauchen Aussagen wie diese nicht wirklich eine satirische Nachbearbeitung. Spätestens beim lauten Lesen in diesem Sprachverhau drängt sich der Eindruck von Realsatire auf. Logik, Sprachästhetik oder gar Grundgesetz – obwohl gegen all das in diesem Traktat Satz für Satz verstoßen wird – helfen uns allein formal auch nur bedingt weiter.
Die Ausführungen von Matthias Platzeck bieten uns nicht einmal einen besonderen Höhepunkt. Wir könnten uns auch jede X-beliebige Veröffentlichung der INSM oder auch einer CDU- Ortsgruppe vornehmen und würden auf ähnliche diskursive Inszenierungen treffen. Statt von Erkenntnis und Argumentation lebt der neoliberalen Politdiskurs spätestens seit der „Ruck-Rede“ von Roman Herzog allein vom Ressentiment, von der Verachtung der Bevölkerung, die sich noch immer nicht den Wonnen der „Globalisierung“ klaglos hingeben mag und deshalb (als Ewiggestrige, Besitzstandswahrer, Faulenzer, Sozialbetrüger, Parasiten, Parallelgesellschaften) zu beschimpfen ist. Dieses Ressentiment wird – mittlerweile fast ohne Gegenöffentlichkeit – endlos variiert.
Da das Grundgesetz aber bisher nur auf der Titelseite einer Nachrichtenillustrierten verbrannt werden durfte, können Vertreter und Vertreterinnen der politischen Eliten (noch) nicht offen mit der Zerschlagung des Sozialstaates und der Ausgrenzung und Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen „argumentieren“. Deshalb wählen die Propagandisten die versteckte Rede: das Ressentiment.
Zu den Tricks dieser diskursiven Operationen gehören immer: die Verkündung von „Weisheiten“, Anspielungen, gefertigt aus Neologismen (Wortneuschöpfungen) und einer Inflation von Adjektiven. Und auf der symbolischen Ebene stoßen wir nicht selten auf Allmachts-, ja sogar Gewaltphantasien.
Geradezu putzig wirkt die Vehemenz, mit der Platzeck seine „Weisheiten“ vorträgt:
Aber eine Gesellschaft ohne Kinder ist eine Gesellschaft ohne Zukunft“
Sozialdemokraten wollen eine Gesellschaft mit Lebenschancen für alle“
Gebraucht zu werden – das ist für Menschen das Entscheidende. Es schafft Lebenssinn, Zufriedenheit, sozialen Zusammenhang. In Wahrheit sind es nicht nur materieller Erwerb und Besitz, was Zufriedenheit schafft“
Die Gewinner wären die Menschen in unserem Land“ (also nicht die Tiere!)
Allerdings: Weniger Vision hatte die sozialdemokratische Partei wahrscheinlich noch nie. Aber die Elite der SPD möchte auch nichts mehr mit ihrer Geschichte zu tun haben. Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, Mitbestimmung, uneingeschränkte soziale Sicherheit für alle, gerade auch für die Schwachen, das ist ihre Sache schon lange nicht mehr. Vielmehr hat die SPD für ihr „Jahrhundertwerk“, das „Fordern“ von Arbeitslosen und Demütigen von Arbeitslosengeldbeziehern, die Verunsicherung von Arbeitsplatzbesitzern, Rentnern und Kranken, der Zerschlagung des Sozialstaates, in den letzten Jahren erfolgreich „Pakete geschnürt“, die immer mal wieder „ein- und ausgepackt“ wurden, sie hat den Lebemann Hartz daraus Module mit pseudomodernen Neuwörtern formulieren lassen, sich damit „gut aufgestellt“ und schließlich „Reformen“ „auf den Weg gebracht“. Nun aber ist endgültig Schluss mit der alten Identität. Platzeck will jetzt nämlich die nun im freien Fall befindliche Partei neu definieren: als „Bildungspartei in Deutschland“.
Die Anspielung
Natürlich können Parteimänner für das Grobe so massive Brüche mit Tradition und Geschichte nie begründen. Intersubjektiv nachvollziehbare Gedankenoperationen, die sich in den logischen Traditionen „Ursache-Wirkung –Evidenz“ bewegen, verpönen alle, die einen Bruch oder einen Systemwechsel herbeiführen wollen, grundsätzlich. Sie bevorzugen stattdessen die Technik der Anspielung, den Angriff aus dem Hinterhalt also. Platzeck verfährt in seinem „Zupacker“- Pamphlet so:
Zunächst einmal denunziert er Geschichte und Ursprung der ältesten, demokratischen Partei der Welt und usurpiert dann in vager Andeutung die großen Erfindung seines großen Vor-Vor-Vor-Vor-Vor-Vorsitzenden mit „der linken Mitte“, die „weltoffene Politik“ betreibe. Was das für Platzeck bedeuten soll, erfahren wir nicht, lediglich:
„Eine zeitgemäße Politik …. hält nicht sozialnostalgisch an uneinlösbar gewordenen Sicherheitsversprechen von vorgestern fest“
Da fragen wir uns natürlich: Was sind „Sicherheitsversprechen von vorgestern“? Ist damit das Grundgesetzgebot der Sozialstaatlichkeit gemeint oder gar das der Gleichberechtigung der Geschlechter? Ist damit der „demokratische Sozialismus“ eines Willy Brandt gemeint? Zum Wesen der Anspielung gehört immer ihr relativ unbestimmter, möglicher Raum für Assoziationen, die jedoch immer einem Bedürfnis der Verachtung, wenigstens der Ablehnung entspringen.
Zwischen den Punkten steht im Text noch „soziale Demokratie“. Darüber stolpern wir natürlich auch sofort; was wäre eine „unsoziale (asoziale) Demokratie“? Aber auch das ist falsch gefragt, denn auch der „weiße Schimmel“ gehört immer zum Aufgebot neoliberaler Diskurse. In diesem Zusammenhang sollten wir auch Platzecks Gebrauch des Begriffes „soziale Gerechtigkeit“ erwähnen. War es doch der Vor-Vor Generalsekretär der SPD, der semantische Operationen an der „Gerechtigkeit“ vorgenommen hatte, das Soziale entfernt und damit die Bedeutung des Begriffs im Jahre 2003 völlig ad absurdum geführt hatte.
Nun – hinten herum- findet eine Wieder- Vereinnahmung mithilfe des „weiße-Schimmel- Prinzips statt: „von sozialer Gerechtigkeit verstehen Sozialdemokraten ganz einfach mehr“.
Also droht uns nun von der SPD keine „unsoziale Gerechtigkeit“ mehr? Was will eigentlich der zurzeit amtierende Vorsitzende für seine Partei? Folgendes:
„Deshalb muss die SPD eine Partei zupackender und optimistischer Menschen sein“.
Nun fallen Neoliberale nie durch Kreativität auf, wie wir tagtäglich lesen, hören, sehen und fühlen können. Auch Platzeck hat nur ein bisschen weiter „angespitzt“ und kürzer formuliert als beispielsweise auch schon vor zwei Jahren Peer Steinbrück, der wiederum sich von Olaf Scholz, und vor allem dem Schöpfer des Jahrhundertwerks Agenda 2010 Gerhard Schröder und dem „Ruck“- Rufer als Bundespräsident, Roman Herzog, hat inspirieren lassen. Steinbrück damals in „Die Zeit“:
Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern.“
Das ist eine der möglichen „gedanklichen“ Vorlagen für den Kurz-Schluss: „sozialnostalgisch“
In jedem Fall lässt auch Platzeck keinen Zweifel: Um die, die keine Leistung bringen, also um die Schwachen und Erwerbslosen, muss sich eine sozialdemokratische Politik nicht mehr kümmern, sondern um die, die fleißig lernen, tüchtig arbeiten und mehr Kinder bekommen. Da fällt kein Wort über Ethik oder gar gesellschaftliche Werte.
Leistungspflicht oder gar Leistungsnachweis für das eigene politische Handeln gilt nicht für Neoliberale, so wie das Keuschheitsgebot auch für evangelikale Prediger selbst immer obsolet war. Faulenzer- und Schmarotzertum wird immer nur auf die „Anderen“, auf „die da unten“ projiziert.
Es ist Peer Steinbrücks „Verdienst“, für die deutsche Sozialdemokratie die Wahlen in NRW haushoch verloren zu haben. Dies dankte ihm die Partei mit dem Posten des Bundesfinanzministers. So sehen „Leistungsträger“ für die „Globalisierung“ aus. Dagegen nehmen sich die Wahlverluste, für die Platzeck verantwortlich zeichnet, noch bescheiden aus. Deshalb hat er vorerst nur den „Wanderpokal“ des SPD-Parteivorsitzes abbekommen.
Die politische Gegnerin taucht bei Platzeck noch ein weiteres Mal, allerdings namenlos in der Anspielung auf:
ebenso wie von den vermeintlich besonders “Linken”, die in Wirklichkeit zutiefst konservative Verfechter vorgestriger Vorstellungen sind“
Die Aussage ist wirr, was sollen wir unter „vermeintlich“, was unter „’Linken’“ in der Anführung, die „zutiefst konservative Verfechter … sind“ verstehen? Erliegen wir nicht dem freien Fall in die Projektion, kennen wir die Weite des Assoziationsraumes nicht, sehen wir in der Häufung der Anspielungen, das was sie ist: Fetzen einer Wahnvorstellung, einer in der Partei allerdings kollektiv geteilten.
Wir belassen es vorerst bei diesen Belegen für die größere Einheit der Anspielungen, die sich durch das gesamte „Zupacker“-Traktat ziehen. Sie sind immer aus dem Hinterhalt formuliert. So kann keine Auseinandersetzung mehr stattfinden, die auf Ursache-Wirkung- Argumentationen fußt. Schauen wir uns die Zutaten an.
Neologismen
Zu den wichtigsten „Wortarten“ der Anspielung, des Ressentiments, gehören die Neologismen, die in der Regel in keinem Wörterbuch stehen. Hier ist Platzeck durchaus gewitzt, bietet uns neben dem schon etwas abgestandenen „Reformprojekten“ (welche er komischerweise einem anderen nicht genauer genannten Gegner zuschiebt) in diesem Traktat unter anderem an:
- Zupacker
- Sicherheitsversprechen
- bildungsreiche Gesellschaften
- sozialnostalgisch
- bewegungsfreudig
- Unterjüngung
Womit wir nun endlich auch etwas genauer auf die vielleicht wichtigste Wortart eingehen müssen, ohne die sich, wie alle schon genannten Beispiele zeigen, die Kaskadeure dieser Heilswelten gar nicht mitteilen könnten: die Inflation der Adjektive.
Inflation der Adjektive
Grundschullehrerinnen kennen das Problem: Sie kommen mit ihrer vierten Klasse vom Ausflug zurück und am nächsten Tag schreibt eine kleiner Junge: „Wir haben schönes Wetter gehabt, niedliche Tiere gestreichelt und ich habe mich mit einem netten Mädchen unterhalten“. Intuitiv weiß sie aus Erfahrung sofort: Das innere Erleben dieses Schülers ist völlig unterentwickelt, es fehlt ihm an Phantasie und Vorstellungskraft. Sie wird sich dem Jungen besonders annehmen müssen, aber auch im Unterricht noch einmal sachlich über die Wortart „Adjektiv“, das „Wie-Wort“, aufklären, am besten mithilfe von Methoden des darstellenden Spiels. Dann erlebt vielleicht auch der lernschwache Junge bald, wie es ist, mit Neugierde auf die Welt und die eigenen Gefühle zu schauen und dafür die Sprache lustvoll zu nutzen.
In jeder Sprache birgt das Adjektiv ähnliche Gefahr: Nur bei sparsamen Gebrauch hält es den Fluss der Gedanken im Lauf. Wir brauchen das Wie-Wort dringend, um Unterscheidungen zu treffen, also wenn wir beispielsweise das „rote“ vom „blauen“ Haus unterscheiden wollen oder den „runden“ vom „viereckigen“ Tisch. Dagegen sagen uns das „schöne“ Haus oder der „schmucke“ Tisch gar nichts. Nur wenn auch die gegenteilige Eigenschaft „Sinn“ im Sinn der Logik macht, sind sie berechtigt. Adjektive als Ersatz für nicht ausgeführte Wertungen taugen weder für die Kommunikation im Alltag, noch für die der Politik.
Doch im neoliberalen Diskurs tauchen sie – ähnlich wie in privaten Hassreden oder in Gossenblättern und Heftchenromanen – als eine der häufigsten Wortarten auf. Warum? Mit diesem schlechten Sprachstil, gefertigt aus Surrogaten des Denkens, machen die Propagandisten viel Krach, Adjektive sind das Herz der Anspielung, sie drohen, jagen in ihrer Uneindeutigkeit Angst ein und helfen dem Sprecher, sich aufzuplustern. Im neoliberalen Diskurs zu sein, ist wie auf der Kirmes, immer rasanter drehen sich Rad und Geisterbahn, immer verzückter und rastloser beten die Prediger ihre Götzen „Globalisierung“ und „demographische Entwicklung“ an.
Proben aus Platzecks Schreibstube:
bewegungsfreudige, aufgeklärte und weltoffene Politik der linken Mitte“
Die erneuerte SPD hat allen Anlass zu erneuerter Zuversicht. Sie besitzt eine schlüssige und zuversichtliche Leitidee für unsere Zeit.“
Deshalb muss die SPD eine Partei zupackender und optimistischer Menschen sein. Unser Bild von Deutschland ist das eines zupackenden Landes – eines Landes der tatkräftigen Erneuerung“ (…)
Entwickelt die SPD ihren Leitgedanken vom fruchtbaren Wechselverhältnis wirtschaftlicher Dynamik und erneuerter Sozialstaatlichkeit systematisch weiter, dann haben wir alle Chancen, zur gesellschaftlich prägenden Kraft der kommenden Jahrzehnte zu werden.“
Setzen Sie einfach mal das jeweils Gegenteilige ein, dann spüren Sie, wer mit jedem dieser Adjektive denunziert werden soll!
Eines in diesem Traktat sollte uns beruhigen, vorerst. Für Sozialdemokraten – bzw. für die neue „Bildungspartei“- haben (noch) alle Menschen ein Lebensrecht:
Sozialdemokraten wollen eine Gesellschaft mit Lebenschancen für alle“
Wie lange noch?
Das Ressentiment hält zwar nie einer Prüfung stand, die intersubjektiv nachprüfbaren Regeln der Logik oder der Sprache folgt. Dennoch entwickelt das Ressentiment eine unheimliche Macht: Durch die fortwährende Wiederholung im Diskurs, in Parlamenten und Medienmaschinen, besetzt es Gedanken und Seelen. Das Ressentiment wird schließlich als „Wahrheit“ identifiziert und entwickelt durchaus normative Kraft.
Der Sozialphilosoph Walter Benjamin hatte bereits zu Beginn der Weimarer Republik die deutsche Sozialdemokratie gewarnt: „Es gibt nichts, was die deutsche Arbeiterschaft in dem Grade korrumpiert hat, wie die Meinung, sie schwimme mit dem Strom.“ Wie gern würden wir seiner messianischen Voraussage widersprechen wollen.