„Wir befinden uns mitten im Krieg“
Die deutsche Außenpolitik militarisiert sich zunehmend. Das stößt bei vielen Menschen auf Unwillen, breite Gegenwehr und eine radikalpazifistische Position wird den Entwicklungen im Land dennoch nur selten entgegen gesetzt. Die „Antikriegskonferenz 2014“ vom 3. bis 5. Oktober in Berlin nimmt dies nun zum Anlass, „der Bevölkerungsmehrheit Argumente an die Hand (zu) geben, ihr ein Gesicht und eine Stimme (zu) verleihen – jener Mehrheit, die jede Art von Krieg, Waffengewalt, Rüstung und Militäreinsätzen im In- und Ausland ablehnt und ihr ein ‚Nein‘ entgegen setzt.“ Jens Wernicke sprach hierzu mit dem Politikwissenschaftler Rudolph Bauer, Mitglied der “Initiative Antikriegskonferenz Berlin 2014“ und Autor der Broschüre “Wir befinden uns mitten im Krieg. Militarisierung im Digitalen Zeitalter” [PDF – 7 MB].
Herr Bauer, in wenigen Tagen findet in Berlin die Antikriegskonferenz 2014 statt, die Sie mitorganisieren. Zu ihren Zielen erklären die Veranstalter auf ihrer Homepage, der großen Bevölkerungsmehrheit, die gegen Kriege eingestellt ist, Argumente und „intellektuelle Waffen“ gegen die zunehmende Militarisierung an die Hand geben zu wollen. Ein hehres Ziel. Aber wie soll das gehen?
Wir beobachten seit Langem, dass die Meinung der am Frieden interessierten Großzahl der Menschen in der Bundesrepublik von den allermeisten Medien übergangen, von der Wissenschaft ignoriert, von der Regierung nicht ernst genommen, von den Parteien klein geredet und vom Bundespräsidenten als ‚glückssüchtig‘ bezeichnet wird.
Das neomilitaristische Schwadronieren von weltweiter deutscher Verantwortung greift um sich und ruft kaum noch Widerspruch hervor. Kriege werden Bestandteil der Normalität; sie werden zum Politik- und Diplomatie-Ersatz. Dieser Entwicklung wollen, ja müssen wir die Stirn bieten.
„Die Stirn bieten“ – ist das denn wirklich notwendig? Zurzeit sind die Medien ja voll von Erinnerungen an den Beginn des Ersten Weltkriegs. Ist das denn kein Zeichen für eine vermehrte Empfindlichkeit, was die Gefahr von Kriegen anbelangt?
Nun, das Erinnern an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren verstellt uns den Blick auf die Besonderheiten und neuen Erscheinungsformen der Militarisierung, der Propaganda und der Kriegführung heute.
Unsere Kinder tragen keine Matrosenanzüge und Holzschwerter mehr, sondern sie werden mit Kriegs-Videospielen beschäftigt. Die Soldaten sitzen nicht mehr in schmutzigen Schützengräber, sondern sie befehligen von klimatisierten Einsatzzentren aus tödliche Killerdrohnen in das sogenannte Zielgebiet. Es werden Cyber-Kriege geführt, Wirtschaftskriege und die geheimen Kriege der Abhördienste. Private Firmen sind im Kriegseinsatz, und es wird gefoltert. All das ist neu, und wir sind dafür nicht hinreichend sensibilisiert.
Das werden also auch die Themen der Antikriegskonferenz sein?
Ja, das sind die zentralen Themen der Konferenz. Aber nicht nur. Selbstverständlich zeigen wir auch geschichtliche Parallelen auf zu 1914 und zu 1939. Auch die aktuelle, an den Kalten Krieg erinnernde Politik an der ukrainisch-russischen Grenze wird thematisiert.
Ferner die Rolle der Medien, der Parteien, der zivilgesellschaftlichen Organisationen, der Friedensbewegung. Weitere wichtige Themen sind die mediale Gewöhnung an das Grauen der Kriege, das Schüren von Angst und die sprachlichen Verdrehungen, wenn Kriege zu Friedensmissionen umgedeutet werden.
Die vielen, die mit den aktuellen Entwicklungen nicht einverstanden sind, werden ja leider allzu oft mit Totschlagargumenten, mit geschickter Rhetorik, mittels groß angelegter PR und anderem mehr und mehr mundtot zu machen versucht…
In der Tat. Dagegen kann sich kaum noch jemand vereinzelt und ohne die Solidarität und Zuarbeit – vor allem auch aus Kunst, Publizistik und Wissenschaft – zur Wehr setzen. Diese Zuarbeit und Solidarität zu leisten, in einem allerersten und hoffentlich erfolgreichen Schritt, ist unser Ziel.
Und wie genau soll das gehen; was planen und erhoffen Sie?
Unser Anliegen ist es zunächst einmal, die genannten Themen überhaupt erst einmal zur Sprache zu bringen, sie ins Bewusstsein zu heben. Wir wollen Menschen aus einem breiten gesellschaftlichen Spektrum ansprechen: Gewerkschafter, Journalisten, Ärzte, Juristen, Lehrer, Wissenschaftler und Studierende. In einer Wissensgesellschaft kommt es nicht zuletzt auch auf diese Berufsgruppen an.
Außerdem soll bei der Konferenz natürlich auch zur Sprache kommen, was alles bereits an antimilitaristischen Aktionen geschieht: der Protest der Schülerinnen und Schüler gegen das Auftreten von Bundeswehroffizieren an den Schulen, der Kampf für die Zivilklausel an den Hochschulen und Universitäten, das Engagement von Ärzten gegen den Atom- und jeden anderen Krieg, Projekte wie eines zur Steuerverweigerung, Friedeninitiativen unter Journalisten und bei anderen Berufen, antimilitaristische Kampagnen usw.
Und was ist Ihr persönliches Motiv für Ihr Engagement, Herr Bauer?
Mein Motiv? Ich bin Jahrgang 1939, geboren am Beginn des Zweiten Weltkriegs. Meine Generation hat den Krieg erlebt und sein Ende mit Schrecken. Meine Generation hat Wolfgang Borchert gelesen, sein Diktum gegen den Krieg: „Dann gibt es nur eins: Sag Nein!“ Meine Generation war entsetzt über die Millionen Toten – in den KZs, auf den so genannten Schlachtfeldern, bei Bombenangriffen, auf der Flucht. Meine Generation hat noch in den Ohren den Schwur: „Nie wieder Krieg!“ Wir sind den Toten und Opfern der Weltkriege gegenüber zum Antimilitarismus verpflichtet. Wir tragen eine besondere Verantwortung, gerade auch den jüngeren Generationen gegenüber. Aber auch der Menschheit gegenüber, selbst wenn das großspurig sich anhört. Ich hoffe, dass von der Antikriegskonferenz Berlin 2014 ein tragender antimilitaristischer Impuls ausgeht. 2015 sollen im ganzen Land regionale Antikriegskonferenzen stattfinden.
Wolfgang Borchert: Dann gibt es nur eins
Rudolph Bauer war bis 2002 Professor für Sozialpädagogik / Sozialarbeitswissenschaft an der Universität Bremen. Er ist wissenschaftlicher und literarischer Autor, Essayist, Publizist und Bildender Künstler.